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Vogelpark Walsrode
Die emotionale Seite der Natur

Der Weltvogelpark Walsrode in der Lüneburger Heide ist nach eigenen Angaben der größte seiner Art weltweit. Mehr als 4.000 Vögel aus über 600 Arten tummeln sich in den Volieren und Tropenhäusern. Der Leiter des Parks, Geers Scheres, sagt, das Wichtigste, was hier vermittelt werde, sei der Respekt vor der Natur.

Von Franz Lerchenmüller | 01.05.2016
    Ein Restaurant an einem See im Vogelpark Walsrode.
    Ein Restaurant an einem See im Vogelpark Walsrode. (imago/Metodi Popow)
    "Schönen Guten Morgen hier. Mein Name ist Cindy und wir wollen jetzt die Pinguine füttern. Sie sehen schon: Auf der Anlage hier ist so ein bisschen Flaute. Wir kriegen jetzt gerade noch eine Gruppe Pinguine zusammen, die hier im Wasser schwimmt, denn unsere Pinguine sitzen derzeit in ihren Höhlen und auf ihren Nestern. Die bereiten sich für die Brut vor und das heißt auch, sie müssen ihre Höhle natürlich besetzen, ansonsten sitzt da nachher wer anders drin."
    Tierpflegerin Cindy Quade füttert die Pinguine heute nicht allein. Sie hat einen Helfer mit, einen Kurzzeitpraktikanten – mich. Aber die eigentlichen Protagonisten sind hier natürlich die Vögel.
    "Übrigens haben wir hier Humboldt-Pinguine, das ist eine von 17 verschiedenen Pinguinarten. Von der Größe und dem Gewicht liegen sie genau im Mittel, denn sie werden knapp 45 Zentimeter groß und knapp viereinhalb Kilo schwer. Dadurch, dass wir nicht so viele sind, werde ich sie mal auf die Mauer holen, dass sie Sie aus nächster Nähe anschauen können. Schwimmen können sie natürlich perfekt im Wasser."
    Punktemuster unterscheiden die Pinguine
    Acht, neun Pinguine sind nach vorne gewatschelt und stürzen sich ins Wasser, als Cindy die ersten Lodden hineinwirft. Wie elastische Torpedos schießen die 30, 40 Zentimeter langen Vögel über- und untereinander hin und her und schnappen sich blitzschnell die silbrigen Fischlein. Von den Übrigen ist immer noch nichts zu sehen. Und so komme ich zu meinem ersten Einsatz – als Lodden-Lieferservice: Zusammen mit der Pflegerin steige ich über das Mäuerchen, kauere mich vor den kleinen Höhlen nieder und schwinge Fische über Schnäbeln, die hungrig zuschnappen.
    Junger Riesentukan im Weltvogelpark Walsrode
    Junger Riesentukan im Weltvogelpark Walsrode. (picture alliance / dpa / Weltvogelpark Walsrode / Sonja Buchhop))
    Währenddessen erklärt Cindys Kollege Tony Hinz den Zuschauern, dass man die Pinguine ganz genau unterscheiden könne. "Ja, am Punktemuster. Vorne die haben Punkte drauf. Der eine Pinguin hat mehr, der andere weniger, und das bleibt. Auch wenn der Vogel zehn Jahre ist und zehn Mausern hinter sich hat, das bleibt immer gleich wie ein Fingerabdruck."
    Aber die Vögel sind nicht nur äußerlich verschieden. Jeder sei ein ganz eigener Typ, meint der erfahrene Pfleger. "Die haben hier alle andere Charaktere: Der eine beißt dich gleich ins Bein, der andere lässt sich streicheln. Man muss auch die Gestik ein bisschen ... Wenn er den Kopf so dreht und dich so anguckt, dann bleib weg, dann beißt er dich. Ein bisschen Feeling musst du schon dafür haben."
    Er ist seit vielen Jahren dabei, und die Vögel sind ihm längst ans Herz gewachsen. "Es ist halt nicht so ein Job wie in der Fabrik, wo man den Hammer einfach fallen lässt. Man baut auch Beziehungen auf zu den Tieren und die liegen einem natürlich am Herzen."
    Über 4.000 Vögel aus über 600 Arten
    Der Weltvogelpark Walsrode in der Lüneburger Heide ist nach eigenen Angaben der größte seiner Art weltweit. Über 4.000 Vögel aus über 600 Arten tummeln sich in den Volieren und Tropenhäusern, paddeln über die Teiche und wachsen in den Aufzuchtstationen heran. Geer Scheres, ein 58-jähriger Holländer, leitet den Park seit 2009. Mit dem schmalen Gesicht, den wachen Augen und der gebogenen Nase erinnert er selbst ein wenig an einen flinken Falken. Vögel begeistern ihn seit seiner Kindheit.
    "Vögel haben eine extra Dimension. Das fliegt, das ist frei, das hebt ab vom Boden. Vögel haben eine wahnsinnige Vielfalt. Ein Reiher ist anders gebaut wie ein Sichler, oder ein Spatz ist anders wie 'ne Meise, diese Faszination, die großen Truppen von Kranichen, die drüberfliegen, die Laute, die die machen, der Klapperstorch, der anwesend ist auf dem Kirchturm im Dorf – das hat mich immer fasziniert."
    Man lernt, die Natur zu respektieren und auch zu schützen
    Natürlich, sagt er, müsse die Anlage auch Geld verdienen. Aber viel wichtiger sei ihm, die Besucher und vor allem die Kinder für die Großartigkeit der Natur zu gewinnen. "Wenn so ein Condor ganz nah über dem Kopf fliegt, und der hat eine Spannweite von zwei Metern, drei Metern, und man spürt die Luft, den Wind in den Haaren, das ist eine Emotion, die wird man nie vergessen. Man lernt die Natur auf eine Weise kennen, man lernt die Vögel auf eine Weise kennen, die emotionell ist, die packt, und die den Weg, wie du die Natur siehst, ändert. Und dann fängst du an, das zu mögen und zu respektieren und auch zu schützen – und das ist das Allerwichtigste, was hier passiert."
    Besonders stolz ist der Direktor auf die Kolibri-Zuchtanlage. Hier wird seit fünf Jahren Nachwuchs aufgezogen. "Kolibris sind von sich aus sehr territorial und leben alle einzeln. Es bilden sich keine Pärchen. Das Weibchen baut ein Nest, wenn die Eiablage kommt, vorher sucht es ein Männchen und toleriert ein Männchen in seiner Umgebung, aber nur für die Kopulation. Man kann Kolibris eigentlich nur einzeln halten. Wenn man die zusammenhält, mit mehreren, bleibt immer nur einer über, denn die schlagen sich untereinander tot. Das heißt: Man braucht Anlagen, die so artgerecht auch sind, und das sind diese hier. Wir haben oft Zuchtresultate, dass hier Kolibris geboren werden und dass wir die auch groß kriegen und das ist sehr selten auf der Welt in zoologischen Gärten."
    Der Weltvogelpark Walsrode
    Der Weltvogelpark Walsrode (Claudia Kalusky)
    Am Gehege der Paradiesvögel ist gerade Tierarzt Andreas Frei beschäftigt. Wie kamen die farbenprächtigen Federträger aus Neuguinea eigentlich zu ihrem poetischen Namen? "Die ersten Paradiesvögel wurden als Bälge, als tote Vögel nach Europa gebracht. Und da hat man gedacht, weil die keine Füße hatten, die wurden da schon weggenommen, dass es Vögel sind, die sozusagen im Paradies leben, weil sie immer fliegen, die müssen nicht auf dem Boden sitzen, das war so der Grund, wieso man früher schon gesagt hat, es sind Paradiesvögel. Das Typische an Paradiesvögeln ist, dass sie wunderschön aussehen, vor allem die Männchen sind prächtig gefärbt. Es gibt eigentlich keine Vogelart, die ähnlich bunt gefärbt ist. Also es ist eine ganz, ganz besondere Vogelart."
    Vor dem nächsten "Arbeits"-Einsatz bleibt noch Zeit, den Park auf eigene Faust zu erkunden. Der Rundgang führt von einem Prachtexemplar von Vogel zum nächsten. Regungslos steht der Schuhschnabel im Schilf, ein in Ehren ergrauter Herr, der nur das Nötigste an Bewegung vornimmt. Auf einem Ast zerlegt die Harpyie, die sich im Regenwald gern mal einen Affen aus den Baumkronen krallt, genüsslich eine Ratte. Und in der Flughalle picken Inkaseeschwalben mit weißem Schnurrbart den Besuchern Mehlwürmer aus der Hand. Allein die Namen vieler Gefiederter lesen sich wie ornithologische Lyrik: Sichelvanga, Mohren-Klaffschnabel, Schwarzgesichtlöffler...
    Flugshow am Nachmittag
    Doch nun wird es Zeit für die Vorbereitung der Flugschau. Falkner Michael Lenzgen wartet schon auf den Praktikanten.
    "Hier sind die ganzen Showtiere, die wir haben. Zum einen haben wir hier unsere Kranichgruppe, die Kronenkraniche. Im hinteren Bereich, das sind die Ibisse, zum einen die Roten Sichler, die Schwarzen Waldraben, die auch im Alpenraum vorkommen, und die ganz Weißen, die ganz Großen, die hinten noch irgendwo dazwischen sitzen, das sind heilige Ibisse, die kommen ursprünglich aus Afrika, und die sollen alle heute nachmittag in der Flugshow mitfliegen."
    Aber das erfordert natürlich eine genaue Organisation – und dabei komme ich wieder zum Einsatz. "Die Vorbereitung der Flugshow ist, dass wir die Papageien jetzt in die Flugboxen reinsetzen, dass wir die Greifvögel wiegen und nach oben bringen für die Show, und dass wir das Futter natürlich fertigschneiden."
    Rattenstücke sind ungefähr so wie Pralinen
    Das Futter, natürlich. Die Vögel machen bei den Flügen oder Kunststücken ja nur mit, weil sie zwischendurch immer mal wieder einen leckeren Happen bekommen. "Wir haben zum einen Eintagsküken, die wir klein schneiden, das ist für die Greifvögel wie das Wasser und Brot. Dann haben wir Rinderfleisch mit dabei, das bekommen wir von einer Notschlachterei, das ist ganz gut für die Geier, die freuen sich über so ein bisschen Gulasch. Und dann haben wir noch Mäuse- oder Rattenstücke mit dabei, das ist ungefähr so wie Pralinen, das ist also so eine extra Belohnung. Dann haben wir noch Fische mit dabei: Stinte, Rotauge, Heringe und Lodde. Das sind die Fische für die Pelikane, die wir auch gleich in der Flugshow einmal zeigen werden."
    Kakadus, Steppenbussarde, Falken, Gaukler und Condor sind mittlerweile in ihren Flugboxen, eine letzte Besprechung der Tierpfleger schafft Klarheit über den Ablauf. Dann ist es soweit: Vögel und Falkner sind auf ihren Posten, Musik erklingt, und Tierpfleger Marcel Schweiger begrüßt die Gäste. "Einen wunderschönen guten Tag und herzlich Willkommen zu unserer zweiten Vogelshow im Weltvogelpark Walsrode." Ausverkaufte Hütte, strahlender Sonnenschein und tosender Applaus von der ersten Sekunde an. - Und ein kleiner Eintagespraktikant sitzt still im Publikum und kann sagen: Ich war dabei – ich hab mein Teil heute dazu beigetragen.