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Vogelschlag
Tod im Regierungsviertel

Das Berliner Regierungsviertel ist architektonisch von modernen Gebäude geprägt, oft mit großen Glasfronten und grünen Innenhöfen. Was für viele Menschen ästhetisch ansprechend ist, ist für Vögel häufig eine Todesfalle. Sie erkennen das Glas nicht, fliegen dagegen und sterben. Dabei gäbe es längst Lösungen.

Von Christiane Habermalz | 24.05.2019
Das Paul-Löbe-Haus (links) und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (rechts) im Berliner Regierungsviertel durchzogen von der Spree.
Das Paul-Löbe-Haus (links) ist für Vögel schwierig zu erkennen - häufig knallen Tiere an die Glasscheiben. (picture alliance / Daniel Kalker)
An diesem Tag waren die Fensterputzer schon da. Die riesige Glasfassade des Paul-Löbe-Hauses, in dem die Abgeordneten des Bundestages ihre Sitzungssäle und Büroräume haben, spiegelt in der Sonne. Vergeblich sucht Claudia Wegworth die Fassade des Gebäudes mit dem Fernglas ab. Normalerweise könne man hier regelmäßig die Abdrücke zerschellter Vögel an den Scheiben sehen, sagt sie. Doch jetzt ist alles blitzsauber.
Doch sie hat Fotos, die sie an anderen Tagen aufgenommen hat: Kein schöner Anblick. Wie geisterhaft sind die Umrisse der Vögel im Augenblick ihres gewaltsamen Todes zu sehen: Flügelspitzen, Federreste, manchmal Blut.
"Was da an der Scheibe bleibt, das ist der Talg aus dem Gefieder. Das ist so eine Talgschicht, die hat der Vogel um sich zu schützen, vor Wasser und so weiter. Und das bleibt einfach an der Scheibe kleben. Das macht diese weißen Abdrücke."
Glas ist Sinnbild für Transparenz - und tödlich für Vögel
Claudia Wegworth ist Vogelschutzreferentin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), und sie hat sich angewöhnt, moderne Architektur mit kritischen Augen zu betrachten. Denn deren liebster Baustoff ist Glas.
Schätzungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten zufolge sterben allein in Deutschland zwischen 100 und 115 Millionen Vögel pro Jahr, weil sie mit Glasscheiben kollidieren. Das Regierungsviertel mit seinen Neubauten aus den 1990er Jahren, architektonisches Sinnbild für Transparenz und Moderne, steht da nur stellvertretend für einen Bauboom, der die gläserne Rundumsicht beim Wohnen und Arbeiten feiert.
Grün hinter Glas: Die ultimative Vogelfalle
Die Vögel hinterlassen Talg-Abdrücke an den Scheiben
Die Vögel hinterlassen Talg-Abdrücke an den Scheiben (Deutschlandradio/Claudia Wegworth)
Man möchte möglichst hautnah an der Natur sein. Doch was schön ist für die Menschen, bedeutet den Tod für Millionen von Vögeln. Himmel und Bäume spiegeln sich in den Fassaden, das suggeriert den Vögeln freien Flug in die Landschaft. Noch schlimmer sind begrünte Innenhöfe hinter Glasfassaden. Wie beim Kanzleramt, direkt gegenüber vom Paul-Löbe-Haus.
"Das ist natürlich eine tolle Architektur, mit diesen Sichtbetonfassaden. Aber dazwischen sind diese großen Bänder aus Glas, und auch dahinter ist ein wundervoller Park: Wenn man da mal drin war, am Tag der offenen Tür kann man das schön sehen, ganz schön begrünt. Und das ist natürlich ein Problem für Vögel. Grün und Glas passt einfach überhaupt nicht zusammen."
Ist das Verbauen von Glasflächen "absichtsvolles Töten"?
Bauherren und Architekten wissen oft wenig über die Gefahren, die von ihren Glaskonstruktionen ausgehen. Nur selten führt die Intervention der Naturschutzorganisationen dazu, dass Pläne geändert oder Gebäude nachgerüstet werden.
"Viel besser wäre es, wenn Vogelschutz von Anfang an in den Baurichtlinien fest verankert wäre, ähnlich wie der Brandschutz", sagt Wegworth. Eigentlich ist die gesetzliche Grundlage dafür gelegt: Im Naturschutzgesetz gilt für geschützte Tiere - und das sind in Deutschland so gut wie alle Vögel - ein Tötungsverbot. Doch am Ende ist es eine Frage der Interpretation, ob das Verbauen von großen Glasflächen an besonders problematischen Standorten unter die Kategorie "absichtsvolles Töten" fällt.
Vogelsilhouetten bringen nichts
In der Bundesregierung sieht man jedenfalls noch keinen Anlass zum Handeln. Dabei gibt es längst Lösungen: Durch aufgedruckte Muster kann Glas für Vögel sichtbar werden. Mit ein paar Greifvogelsilhouetten, wie sie seit den 1970er Jahren wohlmeinend auf Wohnzimmerfenster geklebt wurden, ist es hingegen nicht getan, die haben sich in wissenschaftlichen Tests als völlig wirkungslos erwiesen.
"Sie wirken an der Stelle wo sie kleben, und zwar als Hindernis, dass der Vogel weiß, dort kann ich nicht vorbei, dann fliegt er halt rechts oder links daneben vorbei und knallt dann da gegen die Scheibe."
Ebenso unwirksam: Das extra entwickelte, mit UV-Licht markierte Vogelschutzglas, das lange vom Naturschutzbund Deutschland empfohlen wurde. Bleiben nur die Muster: Streifen, Punkte, Delphine, Paragraphen - der Gestaltung sind keine Grenzen gesetzt.
Rache der Vögel?
Immerhin: Das erst vor fünf Jahren neugebaute Bundesbildungsministerium, das mit seinem begrünten und verglasten Innenhof regelrecht zur Todesfalle für Vögel geworden war, ist vor kurzem mit bemustertem Glas vogelschutztechnisch nachgerüstet worden.
Unterdessen greifen die Vögel an der CDU-Parteizentrale zur Selbsthilfe. Die schlauen Krähen haben entdeckt, dass es schöne Geräusche macht, wenn man kleine Steine auf das Glasdach wirft. Schon mehrfach mussten dort gesprungene Scheiben ausgetauscht werden. Transparenz hat eben ihren Preis.