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Vogelsterben könnte weitergehen

Zoologie.- Im Spätsommer 2011 fielen mehr als 100.000 Amseln und andere Vögel in Südhessen und der Pfalz einem tropischen Krankheitserreger zum Opfer, dem Usutu-Virus. Nun haben Forscher festgestellt, dass das Virus den Winter überstanden hat.

Von Joachim Budde | 07.05.2012
    Die Nördliche Hausmücke Culex pipiens kommt überall in Deutschland vor. Sie überwintert in Kellern oder Schuppen, in denen sie vor Frost geschützt ist. In einer solchen Mücke, die sie im Februar in einem Keller in der Nähe von Mannheim aufgespürt haben, konnten Wissenschaftler der Universität Heidelberg und des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin das Usutu-Virus nachweisen. Dieser tropische Erreger bedroht vor allem Vögel: Wenn sich etwa eine Amsel mit Usutu infiziert, stirbt sie fast immer nach wenigen Tagen, sagt Dr. Stefan Bosch, Fachbeauftragter Ornithologie und Vogelschutz beim Nabu-Landesverband Baden-Württemberg. Nur wenige Vögel überleben eine Usutu-Infektion.

    "Im Oberrheingraben von Karlsruhe bis ins Rhein-Main-Gebiet und zwischen Kaiserslautern und Mosbach in so einem rautenförmigen Gebiet wurden überwiegend Amseln aber auch andere Vogelarten betroffen. Es gab Regionen, in denen die Amsel völlig ausgestorben war im Spätsommer, und man konnte dann recht schnell nachweisen, dass diese Amseln durch eine Infektion mit dem Usutu-Virus verstorben sind."

    Offenbar sind Amseln im Sommer besonders gefährdet, denn dann sind sie in der Mauser, sie erneuern also ihr Gefieder. In dieser Zeit ist das Immunsystem der Vögel geschwächt.

    Die Beobachtungen am Oberrhein decken sich mit denen österreichischer Ornithologen. In Wien hat es 2001 den ersten Usutu-Ausbruch in Europa gegeben. Nach fünf Jahren war das Amselsterben beendet, weil die Vögel gegen das Virus immun geworden waren, sagt Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, der am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg für Virusdiagnostik verantwortlich ist.

    "Einen ähnlichen Verlauf wie in Österreich erwarten wir auch in Deutschland."

    Ein weiterer Ausbruch 2008 und 2009 in Italien hat vor Augen geführt, dass auch Menschen sich mit dem Virus anstecken können, wenngleich meist mit weniger ernsten Folgen.

    "Wir gehen davon aus, dass der Mensch das gar nicht mitbekommt oder dass die Symptomatik so schwach ist, das heißt ein bisschen Fieber, man fühlt sich abgeschlagen und müde, sodass die Menschen, die diese Symptomatik haben, gar nicht zum Arzt gehen und dass auch gar nichts diagnostiziert wird. Man muss aber aufpassen bei immunsupprimierten Patienten, bei Patienten, die zum Beispiel Krebs haben oder Diabetes. Dort kann es zu schwerwiegenden Verläufen kommen, die eben mit einer Gehirnentzündung einhergehen."

    Damit ist das Usutu-Virus der erste für Menschen gefährliche Krankheitserreger, der in Deutschland von Mücken übertragen wird, seit in den 50ern hierzulande die Malaria ausgestorben ist. Auf der Suche nach solchen Erregern in Stechmücken sind Jonas Schmidt-Chanasit und seine Kollegen seit mehreren Jahren. Für die Forscher bietet der Usutu-Fund eine besondere Chance, sagt der Virologe.

    "Das Usutu-Virus ist ganz eng mit dem Westnil-Virus verwandt, dass Westnil-Virus benutzt genau die gleiche Stechmücke, um eben auf Vögel oder auf den Menschen sich zu übertragen. Wir hatten hier die einmalige Gelegenheit in diesen Ausbruch sozusagen hineinzuuntersuchen, wir haben eben Daten von 2009, wo das Virus eben gar nicht hier gewesen ist, 2010 der erste Nachweis und jetzt 2011 der Ausbruch, und das ist also eine einmalige Möglichkeit, so einen Ausbruch, den es bisher in Deutschland noch nie gegeben hat, eben genau zu untersuchen, Schlüsse daraus zu ziehen und sich auf andere schwerwiegende Viren vorzubereiten."

    Am Usutu-Ausbruch haben die Wissenschaftler beispielsweise verfolgen können, dass sich das Virus hauptsächlich entlang der Flusstäler ausbreitet. Jetzt wollen sie herausbekommen, welche klimatischen und landschaftlichen Gegebenheiten der Erreger bevorzugt und ob sie das Virus zurückdrängen können, wenn sie die Stechmücken bekämpfen.

    Die Amseln werden wohl binnen weniger Jahre gegen das Virus immun, können die Immunität jedoch nicht weitervererben. Spätere Amselgenerationen werden wieder anfällig sein – und das hat langfristige Konsequenzen, sagt Stefan Bosch.

    "Wir werden vermutlich in den nächsten Jahrzehnten immer wieder Ausbrüche mit Usutu-Viren und Todesfälle unter den Singvögeln haben, und es gibt Hochrechnungen, dass die Amsel bis zum Ende unseres Jahrhunderts wahrscheinlich dauerhaft einen Bestandsrückgang um 30 Prozent etwa haben wird."

    Wie es dieses Jahr weitergeht, hängt ganz vom Wetter ab: Zwar war der April viel kälter als in den vergangenen beiden Jahren. Doch je heißer die kommenden Monate werden, desto besser für das Virus und desto größer die Gefahr für die Amseln.