Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Voigt: Guantanamo-Problem zu lösen ist auch in deutschem Interesse

Karsten Voigt (SPD), Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Beziehungen, befürwortet deutsche Hilfe bei der von Barack Obama avisierten Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo. Man könne aber keine mit Auflagen versehenen Häftlinge übernehmen, die mit eigenen rechtsstaatlichen Prinzipien nicht einzuhalten seien, so Voigt.

Karsten Voigt im Gespräch mit Bettina Klein | 21.01.2009
    Bettina Klein: Barack Obama ist etwas mehr als 13 Stunden jetzt im Amt und neuer US-Präsident und sorgt in diesen Minuten bereits für aktuelle Meldungen. Offensichtlich hat er eine Aussetzung aller Terrorismus-Verfahren im umstrittenen Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba bereits angeordnet. Demnach soll die Verfügung zunächst für 120 Tage gelten.
    Fragen dazu jetzt an Karsten Voigt (SPD), Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Guten Morgen, Herr Voigt.

    Karsten Voigt: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Sind Sie erleichtert, angesichts dieser Meldung?

    Voigt: Hoch erfreut. Das beweist, dass er nicht nur Wahlversprechungen gemacht hat, sondern dass er jetzt beginnt, seine Wahlversprechen in Taten umzusetzen. Das ist erfreulich. Damit setzt er nicht mehr primär auf Amerika als Macht, als Militärmacht, sondern er will den Einfluss der USA wieder stärken, indem er das Ansehen stärkt, indem er wieder Amerika als Idee, die für Freiheit und Menschenrechte steht, glaubwürdig macht.

    Klein: Eine entscheidende Frage dabei: Was soll mit den Gefangenen geschehen? Wohin sollen sie gebracht werden? Außenminister Steinmeier hatte angedeutet, das prüfen zu wollen, ob eventuell auch Deutschland Gefangene aufnehmen könnte. Der Innenminister, Wolfgang Schäuble, hat ihn dahingehend aufgeklärt, das komme nicht in Frage und gehöre auch nicht in das Amtsgebiet des Außenministers. Was ist Ihre Position?

    Voigt: Zuerst einmal: Natürlich ist es erst mal eine Sache der USA selber, das Problem, das sie geschaffen haben, zu lösen. Aber das ändert ja nichts daran, dass wir bereit sein sollten zu helfen. Und natürlich muss man jeden Einzelfall prüfen. Man muss auch erst mal sehen, ob die USA überhaupt mit entsprechenden Forderungen an uns herantreten. Und dann muss man auch sehen, welche Sicherheitsprobleme damit verbunden sind und was wir wirklich tun können. Aber ich finde, man sollte sich von vornherein nicht dagegen sperren, sondern offen sein für solche Wünsche, falls sie aus Washington kommen, denn das, wofür Obama steht, die Schließung des Guantanamo-Lagers, das ist eine Idee, die uns mit ihm verbindet. Wir haben das immer gefordert und deshalb sollten wir bei allen Vorbehalten, dass es durch die Amerikaner, durch die Bush-Administration geschaffen worden ist, nicht von Vornherein abseits stehen. Im Übrigen ist das eine dieser in Koalitionen üblichen Meinungsverschiedenheiten, aber ich bin da eher der Meinung des Bundesaußenministers.

    Klein: Können Sie uns vielleicht ein Beispiel geben, an welchen Bedingungen Sie es festmachen würden? Unter welchen Bedingungen könnte Deutschland sich dafür entscheiden, solche Gefangenen aufzunehmen?

    Voigt: Ich will mal umgekehrt etwas sagen. Wenn zum Beispiel die Amerikaner sagen würden, wir geben euch jemanden, der soll sich bei euch aufhalten, gegen den haben wir zwar keine akuten Vorwürfe, die ihr vor Gericht verwenden könnt, aber wir bitten euch darum, dass ihr ihn von morgens bis abends überwacht, dann würden natürlich unsere Gerichte von Vornherein früher oder später sagen, das geht nicht, wenn gegen jemand was nicht vorliegt, dann können wir ihn nicht von morgens bis abends überwachen. Da müssen wir also aufpassen, dass wir nicht mit Auflagen versehene Personen übernehmen, die wir nachher aufgrund unserer eigenen rechtsstaatlichen Prinzipien nicht einhalten können und dürfen.

    Klein: Sie haben gerade angedeutet, das ist Meinungsverschiedenheit, die sei normal innerhalb einer Koalition. Aber wir haben ein Wahljahr. Können wir davon ausgehen, dass sich an diesem Punkt auch noch mal ein handfester Koalitionsstreit festmachen lassen wird?

    Voigt: Das glaube ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass solche Dinge wahlentscheidend sind. Aber es geht ja hier nicht um Wahlen, sondern wie man auf die amerikanische Administration zugeht. Ich sehe bei allen Differenzen, die auch in Zukunft zwischen einer europäischen Regionalmacht, wie sie es Deutschland ist, und einer Weltmacht, wie es die USA ist, mit allen Konflikten und unterschiedlichen Sichtweisen, die auch bleiben werden, diese Wahl von Obama als eine große Chance und wir sollten die Chance nutzen zur Vertiefung der Zusammenarbeit und zur gemeinsamen Lösung von Problemen. Guantanamo war ein Problem, das zwar durch die Amerikaner geschaffen worden ist, aber das auch wir als Problem benannt haben und an dessen Lösung wir auch interessiert sind.

    Klein: Sie haben die Rede von Präsident Obama gestern verfolgt. Was ist 0für Sie die entscheidende Botschaft mit Blick auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen?

    Voigt: Das ist, dass er sieht, dass er Partner braucht bei der Lösung von Problemen. Und wenn ein Land Partner haben will und Partner braucht, dann geht das mit Verbündeten anders herum. Das heißt, wir können uns darauf einstellen, dass wir ernsthafter konsultiert werden und nicht nur über amerikanische Entscheidungen informiert werden. Aber natürlich wird es immer so sein, dass wir um Einfluss in Washington ringen müssen, und die werden sich in Washington immer fragen, wie handlungsrelevant sind die Deutschen, die Europäer wirklich bei der Lösung von Problemen. Das wird bleiben.
    Für mich war so spannend, wie dieser Präsident einer Weltmacht nie von "ich" gesprochen hat, sondern immer von "wir", und gleichzeitig nicht nur davon gesprochen hat, welche Regierungsmacht er hat, sondern er hat immer gleichzeitig als Präsident einer Bewegung zur Erneuerung Amerikas und dann der Welt geredet.

    Klein: War für Sie inhaltlich etwas ganz Neues dabei?

    Voigt: Nein, das war es nicht, sondern es war die Tonlage, es war die Ansprache an das eigene Volk, wir können es schaffen. Da hat er sich auf den amerikanischen Traum berufen, auf die amerikanischen Erfahrungen. Dann hat er natürlich die Wirtschaftskrise genannt, das war die innenpolitische Ansprache. Und nach außen hat er die Hand ausgestreckt. Beim Klimawandel war er erfreulich präzise bis hin zur Erwähnung der Solarenergie. Bei der Politik gegen den Klimawandel, beim Thema Umweltschutz, wo wir ja als Deutsche und Europäer Vorreiter sein wollen, da haben wir jetzt einen Partner und da haben wir eine Chance, wenn wir zusammenarbeiten mit den Amerikanern, dass wir dann vielleicht auch die Chinesen, die Inder und die Russen für eine aktive Klimapolitik mit an Bord kriegen können.

    Klein: Herr Voigt, Sie werden nicht nur mit Barack Obama zu tun haben, sondern auch mit Hillary Clinton. Sie wird sehr wahrscheinlich neue Außenministerin sein. Bestätigt ist sie noch nicht ganz offiziell. Sie hat damals für den Irak-Krieg gestimmt und sie ist wie ihre Vorgänger auch eng mit dem Staat Israel verbunden. Was ist eigentlich der wichtigste Unterschied zu ihren Amtsvorgängern, den Sie erwarten?

    Voigt: Ich glaube einfach, dass sie auch eine andere Person ist. Sie ist ausgesprochen klug. Sie ist sehr selbstbewusst und sie wird auch in der Lage sein, harte Entscheidungen zu treffen. Sie ist eine Außenministerin mit einer eigenen Machtbasis in der demokratischen Partei und in der amerikanischen Gesellschaft und das gibt ihr eine besondere Stärke in der Regierung und auch gegenüber ihren Partnern, mit denen sie verhandelt. Mit diesem Selbstbewusstsein wird sie auch uns gegenüber auftreten. Also man muss auch gegenüber ihr ganz sicherlich sagen okay, dort und dort stimmen wir überein, aber wenn man mal eine Meinungsdifferenz hat, dann muss man sich auch ganz schön anstrengen, um sich mit seiner eigenen Meinung Gehör zu verschaffen in Washington. Damit rechne ich.

    Klein: Sehr hohe Erwartungen richten sich an die neue Regierung, natürlich auch was die mögliche potenzielle Lösung des Nahost-Konfliktes angeht. Mit welchen ersten konkreten Schritten der Obama-Administration rechnen Sie?

    Voigt: Zuerst einmal rechne ich damit, dass sie sich vom ersten Tag ihrer Amtszeit an aktiv um den Nahost-Konflikt kümmern. Die Amerikaner sind unverzichtbar, um den Nahost-Konflikt zu lösen. Sie können ihn aber den Konfliktparteien vor Ort nicht aufzwingen. Wenn die Konfliktparteien vor Ort nicht zum Frieden bereit sind – und dazu gehört nun mal die Zwei-Staaten-Lösung und zur Zwei-Staaten-Lösung gehört, dass Israel einen palästinensischen Staat anerkennt und dass die Palästinenser (also auch die Hamas) Israel anerkennen -, solange das nicht gegeben ist, wird es sehr schwer sein, einen dauerhaften Frieden zu machen. Aber jetzt geht es erst mal darum, den Waffenstillstand dauerhaft zu machen, und da haben wir ja die Lage, dass die Israelis dazu bereit sind, die Hamas zurzeit nur einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand bereit ist zu unterstützen. Da muss eine amerikanische Regierung mit Unterstützung der Europäer versuchen, aus einem bisher nur kurzfristigen Waffenstillstand eine dauerhafte Waffenruhe zu machen. Dazu gehört unter anderem auch der Wiederaufbau im Gaza-Streifen, aber natürlich erst recht – das muss man ganz nüchtern sagen – die Unterbindung vom Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen hinein.

    Klein: Und Iran und Syrien wird von US-Präsident Obama stärker und anders als bisher mit einbezogen werden?

    Voigt: Man wird mit ihnen reden, aber natürlich wird man dabei amerikanische Standpunkte vertreten. Ich sehe große Chancen für einen auch ergebnisreichen Dialog mit Syrien. Mit Iran, muss ich ganz nüchtern sagen: die Amerikaner werden mit denen reden, aber wenn der Iran seine Politik nicht verändert in Bezug auf das Streben nach Nuklearwaffen und die Unterstützung auch von terroristischen Organisationen, dann werden die Amerikaner ihre Politik gegenüber dem Iran auch wieder verschärfen, einschließlich von schärferen Sanktionen.

    Klein: Karsten Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Bundesregierung. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Voigt.

    Voigt: Auf Wiederhören!