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Voigt: Verhalten der USA muss sich ändern

Der frühere Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen Karsten Voigt, zeigt sich schockiert über die Abhöraffäre. Er fragt sich, wie die Reaktion wäre, wenn "der Bundesnachrichtendienst so etwas in den USA oder in Washington betrieben hätte."

Karsten Voigt im Gespräch mit Gerd Breker | 01.07.2013
    Gerd Breker: Am Wochenende hat das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter Berufung auf Unterlagen des Informanten Snowden berichtet, die NSA spähe gezielt Einrichtungen der Europäischen Union in Brüssel, Washington und New York aus, daneben im Visier der Späher besonders die Bundesrepublik Deutschland.

    Wir sind nun telefonisch verbunden mit dem ehemaligen Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, mit Karsten Voigt. Guten Tag, Herr Voigt!

    Karsten Voigt: Schönen guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Voigt, haben Sie dieses von Ihren Freunden jenseits des Atlantiks erwartet?

    Voigt: Ich habe immer die Vermutung gehabt – und nicht nur ich alleine -, dass entgegen aller Absprachen und eigentlich entgegen der Regeln, die zwischen Freunden und Verbündeten herrschen sollten, die Amerikaner auch auf deutschem Territorium, ohne den Verfassungsschutz und den BND zu informieren, operativ tätig waren. Aber dass sie in diesem Umfange abgehört haben und faktisch ja Spionage gegen einen Freund und Verbündeten betrieben haben, das schockiert mich doch außerordentlich.

    Breker: Wenn ein Freund wie ein Feind behandelt wird, reicht da Empörung als Reaktion aus?

    Voigt: Nein! Es müssen Änderungen des Verhaltens herbeigeführt werden. Ich stelle mir mal vor, wie die Reaktion wäre, wenn so etwas heraus käme, dass der Bundesnachrichtendienst so etwas in den USA oder in Washington betrieben hätte. Dann wäre ein großer Aufruhr in Washington, dann würde es Anhörungen im Kongress geben, und es ist ganz sicher, dass der Regierungschef und der zuständige Minister (in unserem Fall wäre das Frau Merkel und Herr Friedrich) eindeutig und öffentlich Stellung genommen hätten. Dazu hätten sie schon der Kongress und auch die öffentliche Meinung getrieben.

    Breker: Sollte denn die Angela Merkel jetzt bei Obama anrufen und sagen, mein lieber Barack, so geht das nicht?

    Voigt: Ich habe das nicht verstanden.

    Breker: Sollte Frau Merkel mit Präsident Obama reden und ihm sagen, mein lieber Präsident Obama, so geht das nicht?

    Voigt: Ich glaube, letzten Endes muss das auf der Ebene der Regierungschefs und der zuständigen Minister geklärt werden und nicht auf der Ebene der Abteilungssachen, denn es handelt sich ja um grundsätzliche Fragen des Umgangs zwischen Freunden und Verbündeten. Aber es geht ja auch um die Frage, wie man öffentlich reagiert. Ich bin erstaunt eigentlich darüber, dass versucht wird, alles auf der Ebene der internen Beratungen und der Stellungnahmen oder der Kontakte auf Abteilungsleiterebene zu halten.

    Breker: Wir haben gelernt in einem Brief, mit dem die Bundesregierung bei der britischen Regierung versucht hat, Auskunft zu erlangen, dass die sagen, wir geben keine Informationen darüber, was unser Geheimdienst macht, da müssen sie sich schon direkt an den Geheimdienst wenden. Ist nicht Ähnliches auch aus Amerika zu erwarten, denn die amerikanischen Freunde sehen das ja etwas anders mit der Überwachung?

    Voigt: Die Frage ist nicht, ob etwas zu erwarten ist, sondern die Frage ist, wie man selber darauf reagiert. Es ist doch dies ein Verhalten, das letzten Endes unter Freunden und Verbündeten so nicht hinnehmbar ist, und es geht auch darum, dass die Deutschen offensichtlich schlechter behandelt werden als die Briten, obwohl wir genauso Verbündete sind. Ich finde, hier stellen sich viele, viele Fragen, die man nicht einfach übergehen kann und die auch nicht nur technische Fragen sind, sondern die politische Fragen sind des Umgangs zwischen Freunden und Verbündeten und erst recht, nachdem wir ein souveränes Land geworden sind.

    Breker: Aufklärung verlangen reicht aus?

    Voigt: Aufklärung ist eines. Wenn diese Meldungen auch nur den leisesten Hinweis haben, dass sie richtig sind, muss es auch eine eindeutige politische Bewertung durch Regierungschef und zuständigen Minister geben und es muss geändert werden, es muss sich etwas ändern. Denn sonst ist ja das Vertrauen gegenüber unseren Verbündeten erschüttert und das kann doch auch nicht im Interesse der deutsch-amerikanischen Beziehungen sein.

    Breker: Was sollte die Bundesregierung drohen? Womit soll sie drohen? Etwa die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aussetzen?

    Voigt: Ich bin immer gegen Sanktionen. Ich halte auch in diesem Fall von Sanktionen oder Androhung von Sanktionen nichts. Aber ich bin sehr der Meinung, dass man klar bewertet, was vorgefallen ist, dass man das auf die politische Ebene hievt und nicht nur auf die administrative Ebene, und ich bin nach meinen zugegebenermaßen nicht hinreichenden Kenntnissen auch der Meinung, dass dieses den Absprachen widerspricht, denn es hat ja früher schon hier und dort mal im Einzelfall aber nur ein tätig werden von amerikanischen Nachrichtendiensten auf deutschem Boden gegeben, ohne dass unsere zuständigen Dienste und Regierungsstellen informiert worden sind. Das ist aber immerhin als ein Problem wahrgenommen worden und darüber hat es ja auch Presseberichte gegeben. Aber hier handelt es sich ja nicht um ein Überschreiten dieser Regeln im Einzelfall, sondern im erheblichen Umfange um eine Regelverletzung, wie Verbündete und Freunde miteinander umgehen.

    Breker: Nun hat Präsident Obama, als er bei uns hier in Deutschland war, ja diese Abhöraktionen damit gerechtfertigt, dass man damit auch Terrorakte verhindert hätte. Als Beispiel gilt die Sauerland-Gruppe. Ist das überzeugend genug?

    Voigt: Das kann sein, aber das erklärt nicht, warum man uns anders als Großbritannien behandelt und warum weniger in Großbritannien abgehört werden als bei uns, denn Terrorgefahr besteht dort gleichermaßen. Und wenn Sie die regionale Konzentration angucken, dann deckt sich das ungefähr mit dem Bereich, wo amerikanische Truppen in Deutschland stationiert waren oder sind, und ungefähr auch mit dem Gebiet der ehemaligen Besatzungszone. Ich sage, ohne dass ich das weiß – das ist nur eine rein spekulative Sache, aber doch nicht ganz unwahrscheinlich -, dass hier eigentlich Praktiken, die noch aus früheren Zeiten stammen, als Deutschland noch nicht souverän war, einfach fortgeführt und modernisiert worden sind.

    Breker: Dann wäre es ja jahrzehntelang nicht bekannt gewesen?

    Voigt: Dann wäre es auch dringend Zeit, dies jetzt endlich zu revidieren und endlich Vereinbarungen zwischen Deutschen und Amerikanern herzustellen, die dem Verkehr zwischen souveränen Staaten und zwischen Verbündeten und Freunden gerecht werden.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung des ehemaligen Koordinators für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, von Karsten Voigt. Herr Voigt, danke für dieses Gespräch.

    Voigt: Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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