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Vojvodina in Serbien (2/5)
Spuren des Hasses in Hrtkovci

Der Ultranationalist Vojislav Seselj kauft ein Haus in Hrtkovci. Dort, wo er 1992 durch eine Hassrede zur Vertreibung der Kroaten beitrug. Seselj ist vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Aber er stachelt weiter auf.

Von Leila Knüppel | 18.12.2018
    „Dies ist das Haus von Vojislav Seselj“ steht an dem Haus inmitten des Orts Hrtkovci - in Leuchtschrift, die nachts weithin zu sehen ist.
    „Dies ist das Haus von Vojislav Seselj“ steht an dem Haus inmitten des Orts Hrtkovci - in Leuchtschrift, die nachts weithin zu sehen ist. (Deutschlandradio / Leila Knüppel)
    Paulic Mirko möchte nicht lange vor dem Haus stehenbleiben.
    "Rechts steht: Das ist das Haus von Vojislav Seselj. Und diese Schriftzüge sind beleuchtet. Nachts leuchten sie sehr weit."
    Das Haus des serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt wurde: Vor einigen Monaten wurde das Gebäude eingeweiht.
    Frisch, blau gestrichen und solide steht es nun da, mitten im 3000-Einwohner-Ort Hrtkovci. "Ich bleibe lange hier", verspricht es – wie der Hass und die Angst hiergeblieben sind.
    "Für mich ist das irgendwie lustig. Es ist sehr provokativ. Aber ich kann es nicht wirklich ernstnehmen. Und ich denke, normale Leute kümmern sich nicht um das Haus. Das ist einfach nur primitiv."
    Trotzdem geht Paulic Mirko schnell weiter.
    Wer weiß, es könnte ja Ärger geben. Denn was vor 26 Jahren hier geschah, ist bis heute nicht vergessen. Damals, am 6. Mai 1992, kam Seselj nach Hrtkovci und in die Nachbarorte. Die Dörfer wurden damals überwiegend von Kroaten bewohnt, bis Seselj verkündete: Für sie gabe es keinen Platz mehr.
    "Sie bauten große Lautsprecher vor dem Kulturhaus auf. Und ein Nachbar hatte ein Schild: Willkommen, Duce. Duce – das ist der Spitzname von Šešelj, den ihn seine Unterstützer gegeben haben. Und dann schlugen die Glocken von der Kirche um fünf. Und Šešelj sagte: Oh es ist schon fünf und sie sind immer noch da."
    Kroaten mit Drohanrufen eingeschüchtert
    Mit Drohungen und Gewalt wurden die meisten kroatischen Dorfbewohner damals vertrieben, aus Hrtkovci und aus rund zwei Dutzend anderen Vojvodina-Dörfern.
    "Sie riefen an und manche kamen zu unserem Haus, um uns zu erinnern: Wenn wir nicht gehen, werden sie Bomben auf unser Haus werfen."
    Mirko geht am Dorfcafé vorbei. Einige Männer sitzen davor, trinken Bier. Aus den Lautsprechern zucken die gleichmäßigen Rhythmen über die kopfsteingepflasterte Dorfstraße: Turbofolk. Musik der 90er. Der Soundtrack des Krieges.
    Mirko erinnert sich noch an die Drohanrufe, die er, sein Bruder und seine Mutter damals erhielten, damit sie ihr Dorf verlassen.
    "Ich habe die Stimmen erkannt. Leider waren das wohl Leute von hier." – "Also sind sie noch ihre Nachbarn?" – "Ja, sie sind noch da. Aber sie verhalten sich jetzt anders." – "Wie geht ihr damit um?" – "Wir versuchen, das Thema zu meiden."
    In die Nachbarhäuser der geflohenen Kroaten zogen Flüchtlinge: Serben, die zuvor in Kroatien gelebt hatten, von dort vertrieben wurden. Waren früher 40 Prozent im Dorf Kroaten, sind es jetzt gerade einmal sieben Prozent der etwa 3.000 Einwohner.
    Porträt des Kroaten Paulic Mirko
    Der Kroate Paulic Mirko erinnert sich noch gut an die Drohanrufe, die er und seine Familie in den 90er-Jahren erhielten. (Deutschlandradio / Leila Knüppel)
    Mirko biegt in einen der Höfe ab: Hier wohnen Freunde, Kroaten, die wie Mirko geblieben sind.
    Auf ihren Stock gestützt sitzt die 86-Jährige Anna auf einem Bänkchen im Hof, ihre Ur-Enkelin auf dem Schoß.
    Ihr Sohn und ihr Enkel sind gerade dabei, Dung für die Felder abzuladen. Sie unterbrechen ihre Arbeit nicht.
    Er habe schon mal mit Journalisten gesprochen, erzählt Annas Sohn beim Vorbeigehen. Und danach habe er Probleme bekommen. Jetzt möchte er nichts sagen. Dann bleibt er doch kurz stehen, zeigt auf seine Enkelin.
    "Wenn sich hier in Serbien nichts ändert, wird sie vermutlich das Land verlassen, vielleicht nach Deutschland gehen."
    Ob er denn glaube, dass etwas wie in den 90ern wieder geschehen könne? – Klar, meint er.
    Während wir noch im Hof stehen, schaut ein Mann kurz vorbei, grüßt. Der Nachbar. Ein Serbe, der aus Kroatien fliehen musste, erzählt Ur-Oma Anna.
    Er lädt uns in seinen Hof, gegenüber, ein, stellt einige Plastikstühle hin. Seine Frau kommt heraus, bringt Wasser.
    Sie seien aus Zagreb hierhergekommen.
    Erzwungene Umsiedlung
    Dragica Dragic zeigt ein Bild von ihren Töchtern, vor ihrem selbst gebauten Haus in Kroatien. Jobs, zwei Kinder, ein Haus. Das Leben endlich gemütlich eingerichtet. Da begann der Krieg zwischen Kroatien und Serbien.
    "Sie haben Häuser von Serben angezündet, Bomben geschmissen. Wir hatten keine Wahl. Wir konnten nicht warten, bis sie uns töten – oder mich in ihre Armee stecken."
    Damals tauschten viele Flüchtlinge aus Serbien und Kroatien ihre Häuser, mit allem, was sich darin befand. Einrichtung, Möbel. "Humane Umsiedlung" wurde dies euphemistisch genannt.
    "Was hast du mitgenommen?" – "Nur persönliche Sachen. Alles gegen alles. Nur Persönliches darf man mitnehmen. Wir kamen hierher und hatten keinen Job, nichts, nur ein Haus und einen Hof. Einen Ort zum Leben. Aber Wände kann man ja nicht essen."
    Seit 26 Jahren stecken sie nun in diesem getauschten Leben, das sie nie haben wollten.
    "Wir haben das nicht freiwillig akzeptiert. Und nun müssen wir in diesem Haus leben, das wir nicht selbst gebaut haben."
    Nein, dies werde nie ihr Zuhause sein, meint Dragica Dragic.
    Einige Schwalben fliegen durch die hereinbrechende Dunkelheit. Die Leuchtschrift an Seseljs Haus strahlt weit ins Dorf.