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Volksbühne Berlin
Von Lowtzow und Pollesch machen Oper

Dirk von Lowtzow ist der Sänger der stilprägenden Tocotronic, René Pollesch preisgekrönter Dramatiker. Zusammen haben sie eine Oper erschaffen, die mit Oper nicht viel zu tun hat. Gute Sänger, gute Musik, gutes Bühnenbild, aber überraschen dürften die beiden mit "Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte" kaum jemanden.

Von Michael Laages | 13.03.2015
    Die Verpackung stimmt, ja. So fühlt sich Oper an: Das große Orchester sitzt im Graben vor der Bühne, Dirigent Oliver Pohl wird brav wie in der richtigen Oper mit Beifall begrüßt und mit massiven Tutti-Sequenzen geht's los, fast als wär's eine Ouvertüre. So weit, so Oper. Denn das war's dann schon.
    Ab hier nämlich beginnt ein Pollesch-Flash wie viele andere, unterbrochen in mehr oder weniger einleuchtenden Momenten durch Musik: Songs vom "Tocotronic"-Chef Dirk von Lowtzow, wie meistens merkwürdig pathetisch überhöht, bis an die Grenze zum Kitsch, aber intellektuell allemal kräftiger aufgeladen als fast alles, was deutschsprachige Pop-Musik hervor gebracht hat seit Anfang der 90er-Jahre. Und die Erinnerung an die Zeiten, da so was wirklich neu war, tut im Leerlauf der Gegenwart schon ganz gut.
    Die Pollesch-Sprecher singen die Songs - Lilith Spangenberg mit elegischer Jungmädchen-Stimme sowie mit Kinderchor, Martin Wuttke erstaunlich und erfreulich sicher; als Sänger ist gemeinhin weniger bekannt. Franz Beil, der dritte im Darsteller-Bund, hält sich zurück, und das ist sicher gut so; schon sein Holzschnitt-Spiel ist ziemlich anstrengend. Im Finale einer großen Freiheits- und Unabhängigkeitsfantasie aus von Lowtzows Werkstatt kommt dann noch ein "richtiger" Sänger hinzu; und gelegentlich, aber sehr selten, unterlegt das Orchester auch gesprochenen Text. "Oper" also ist das nicht; so ernst war das naturgemäß nicht gemeint zwischen den alten Bekannten, die einfach nur mal die verschiedenen Talente zusammenschmeißen wollten, ohne notwendigerweise von den gleichen Dingen zu erzählen.
    Pollesch tut, was er gut kann - und offenkundig auch nur noch bedingt variieren mag: Er lässt Menschen gedanklich vor sich hin mäandern, diesmal über den Verlust von Liebe und Realität. Frau und Mann, einst ein Paar, treffen einander nach zehn Jahren Trennung; ein anderer Mann ist dabei, vielleicht ist er der Lover in der Zwischenzeit gewesen, vielleicht auch das "alter ego" des Ex. Klar ist das nicht. Er, Martin Wuttke, bejammert unablässig den Realitätsverlust, und dass sich auch verwirklichte Träume nicht wirklich gut anfühlen. Dazu wandert er tatsächlich weniger über Wasser, als durch einen kleinen Theater-See in der Mitte der Bühne. Ulkig.
    Sie hingegen, Lilith Stangenberg, sehnt sich nach einer Art Wiedergeburt. Derweil kommt ein monströser Orca-Killerwal vom Bühnenhimmel geschwebt; das Maul steht offen, und das Tier lächelt breit und fröhlich, wenn das Ensemble einsteigt, an den Zähnen vorbei, und wie der biblische Jona drinnen weiter spielt, von Video-Kameras beobachtet nach Art des Hauses. Das Tier ist hinreißend, jedenfalls origineller als Bert Neumanns soundsovieltes Bühnenbild aus Lametta-Vorhängen, diesmal in Schwarz - aber dem tollen Tier hat der Rest des Abends bald eben auch nicht mehr viel entgegen zu setzen. Auch nicht im Bemühen, den Titel-Scherz zu beglaubigen - irgendwann geht's mal eine Minute lang um die Miete, dann auch nicht viel intensiver darum, "das Fürchten zu lernen".
    Auch generell wird Text immer flacher im Angesicht des grinsenden Wals, beginnt bald in Schleifen zu kreisen; gefühlt mindestens doppelt so lang wie in Wirklichkeit. Und auch von Lowtzows Orchester-Musik hat mindestens drei Schlüsse. So sind Autor und Komponist brav bei ihren Leisten geblieben; irgendein ein künstlerischer Mehrwert der Begegnung aber war nicht auszumachen. Und schon gar keine Oper.