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Volksverhetzung und Beleidiung

Für den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders ist der Islam keine Religion, sondern eine Ideologie, gleichbedeutend mit Terror. Wilders provoziert, absichtlich. Mit volksverhetzenden Parolen, die zu mehr als einer Anzeige, zu Todesdrohungen und Polizeischutz führten. Der nun beginnende Prozess gegen ihn wird eher zu seiner Popularität beitragen.

Von Kerstin Schweighöfer | 20.01.2010
    Ein Wintermorgen im Grachtengürtel der alten Rembrandtstadt Leiden. Die ersten Fußgänger schlendern über die Brücken, während Ladenbesitzer ihre Geschäfte öffnen. Alle bedauern, dass es angefangen hat zu tauen und das Eis auf den Grachten schmilzt. Auch die schlechte Wirtschaftslage ist wie so oft ein Thema. Und natürlich Geert Wilders, der sich wegen seiner islamfeindlichen Sprüche ab heute vor Gericht verantworten muss:

    "Bei uns gilt doch das Recht auf Meinungsfreiheit!" meint eine alte Frau. Ihr Mann gibt ihr Recht: "Ein Prozess ist fehl am Platze", finden die beiden, das sei reine Zeit- und Geldverschwendung!"

    Eine Studentin ist anderer Meinung: Was dieser Mann von sich gebe, sei strafbar. "Ein Politiker hat Vorbild zu sein", betont sie. "Aber ich glaube, Wilders findet es gar nicht so schlimm, auf der Anklagebank zu sitzen. Er genießt es, dass wieder mal alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet sind!

    Wo hört die Meinungsfreiheit auf und fangen Beleidigungen an? Wie viel darf sich ein Politiker in der Öffentlichkeit herausnehmen? Und was ist, wenn jemand eine Religion beleidigt - beleidigt er damit auch alle Gläubigen?

    Um diese Fragen geht es im Prozess gegen Geert Wilders. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Muslime wegen ihrer Religion und nichtwestliche Immigranten wegen ihrer Rasse diskriminiert zu haben. Auch habe er Hass gegen sie gesät und die Muslime als Bevölkerungsgruppe beleidigt, indem er den Koran mit Hitlers "Mein Kampf" vergleicht. Diesen Vergleich lässt er sich nicht nehmen, erst recht nicht jetzt, so kurz vor dem Prozess:
    "Ich werde dafür kämpfen, dass ich das weiterhin sagen darf! Und dass andere das sagen dürfen!"

    In der Tageszeitung "de Pers" rief Wilders dazu auf, die Grenzen zu schliessen und keinen Islamisten mehr herein zu lassen. Im "Volkskrant" betonte er, das kriminelle Verhalten marokkanischer Jugendlicher gehe auf ihre Kultur und Religion zurück; Islam und Kriminalität liessen sich nicht von einander trennen. Der Koran ist für ihn ein faschistisches Buch, das verboten werden muss. Geert Wilders:
    "Wir trauen uns das zu sagen, was andere Parteien sich nicht zu sagen trauen: Dass der Islam weniger eine Religion ist, sondern eine Ideologie - eine Ideologie, die nichts taugt und die gefährlich ist. Die Immigration aus muslimischen Ländern muss stoppen. Je mehr Islam, desto weniger Freiheit."
    Der Politiker mit dem weißblond gefärbten Haarschopf betont allerdings immer wohlweislich, dass er den ISLAM ablehne - nicht die Muslime. Dieser kleine, aber wichtige Unterschied könnte im Prozess eine große Rolle spielen, sagt Strafrechtsexperte Jeroen ten Voorde von der Universität Leiden:

    "Die höchste juristische Instanz der Niederlande, der Hohe Rat, hat im letzten Jahr geurteilt, dass die Beleidigung einer Religion nicht automatisch auch die Beleidigung aller Gläubigen ist. Es ging um einen Mann, der ein Plakat in seinem Fenster aufgehängt hatte mit den Worten: "Stoppt das Krebsgeschwür Islam!" Damit hatte er sich jedoch nicht strafbar gemacht, denn eine Gruppe von Menschen, in diesem Falle gläubige Muslime, so fand der Hof, hatte er dadurch nicht beleidigt."

    Auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Strassburg werden beim Prozess eine Rolle spielen: Darin wird Oppositionspolitikern mehr Raum gegeben, ihren Standpunkt deutlich zu machen als den Regierungsparteien: Sie dürfen sich mehr herausnehmen, da sie eine Minderheit sind mit weniger Mitteln, um an die Öffentlichkeit zu treten - und Wilders "Partei für die Freiheit" PVV IST eine Oppositionspartei. Aber, so Strafrechtsexperte ten Voorde:

    "Wenn solche Äusserungen die politische Stabilität und den sozialen Frieden bedrohen, muss ein Politiker doch mit einer Verurteilung rechnen. Das hängt immer vom Kontext ab."

    Geert Wilders muss im schlimmsten Falle mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen. Er hat die Anklage gegen ihn als "schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit" bezeichnet, die niederländische Justiz mit der von Nordkorea verglichen - und geht unverdrossen davon aus, dass er freigesprochen wird.