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Volkswirt: Haushaltsüberschuss ist vor allem eine Folge der guten Konjunktur

Die Konjunktur in Deutschland werde aller Voraussicht nach nicht einbrechen, sagt der Volkswirt Clemens Fuest. Doch bei einem Wachstumsrückgang müsse die deutsche Regierung Kurs halten und keine radikalen Sparprogramme initiieren.

Clemens Fuest im Gespräch mit Sarah Zerback | 15.01.2013
    Sarah Zerback: Während die Rezession unsere europäischen Nachbarn wie Spanien und Italien immer fester im Griff hat, schlägt das jetzt auch auf Deutschland aus. Zum Ende des Jahres ist die deutsche Wirtschaft deutlich geschrumpft. Dafür verantwortlich sind neben der Flaute in der Eurozone auch Probleme in wichtigen Absatzmärkten wie China, Indien und Brasilien. Aber immerhin: Auf Jahressicht ist das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen, noch um 0,7 Prozent gestiegen und für den deutschen Fiskus war 2012 sogar ein besonders gutes Jahr. Der Staat hat gleichzeitig einen satten Überschuss erzielt, zum ersten Mal seit fünf Jahren. Und wie diese Zahlen zu bewerten sind und was sie für die Zukunft bedeuten, darüber möchten wir jetzt sprechen. Ich begrüße dazu am Telefon Clemens Fuest. Der Volkswirt lehrt an der Universität Oxford und ist der designierte Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Guten Tag, Herr Fuest!

    Clemens Fuest: Guten Tag, Frau Zerback.

    Zerback: Dieser Milliardenüberschuss, von dem gerade die Rede war, das ist doch ein ganz schönes Polster. Kann sich denn Herr Schäuble darauf jetzt ausruhen?

    Fuest: Ausruhen kann er sich nicht. Das ist natürlich erfreulich, dass es dazu gekommen ist. Aber der Überschuss kommt eben doch von der guten Konjunktur, die wir bis vor Kurzem noch in Deutschland hatten. Im kommenden Jahr sieht es jetzt schon anders aus. Insofern kann der Überschuss auch schnell wieder weg sein. Und hinzu kommt, das wurde vorhin gesagt: Es muss ja die Schuldenschranke eingehalten werden. Das heißt, wir brauchen einen ausgeglichenen Haushalt spätestens bis 2016. Jetzt will die Regierung das schon bis 2014 erreichen, das ist auch richtig. Also große Spielräume bestehen da nicht.

    Zerback: Sie nennen das richtig. Ist es denn auch möglich, ist das wahrscheinlich?

    Fuest: Ja, da muss man abwarten. Die Konjunktur wird ja aller Voraussicht nach in Deutschland nicht einbrechen, und wenn es keinen Konjunktureinbruch gibt, dann kann die Regierung das eigentlich erreichen, wenn sie einfach Kurs hält. Das heißt, man muss jetzt keine radikalen Sparprogramme oder ähnliche Dinge auflegen, sondern man muss Kurs halten. Das heißt, man muss jetzt die Finger lassen von großen neuen Ausgabenprogrammen, dann kann man das auch bei bescheidenem Wachstum erreichen.

    Zerback: Keine großen Ausgabenprogramme. Wo soll denn da die Schere angesetzt werden, weil Ausgaben bedeuten ja auch wieder Re-Investitionen beziehungsweise Wachstumsförderung?

    Fuest: Ja, aber zunächst mal geht es weniger darum, die Schere anzusetzen, sondern das Verteilen neuer Wohltaten zu begrenzen. Gerade ist ja schon die Lebensleistungsrente angesprochen worden. Wenn man überlegt, wofür man Geld ausgeben kann, dann fällt einem immer alles Mögliche ein, was nett ist. Aber wir müssen eben die Situation des Haushalts sehen. Es hilft ja nichts, jetzt mehr Geld rauszuwerfen, selbst wenn das vielleicht bei der Konjunktur ein kleines Strohfeuer entzündet, um dann später umso stärker kürzen zu müssen. Es ist also vernünftiger, eine verlässliche Politik zu machen, die Ausgaben einigermaßen konstant hält und dann auch wirklich die Schuldenschranke einhalten zu können. Wir dürfen ja auch nicht vergessen: Das ist nicht nur eine Frage der Schuldenschranke oder irgendwelcher Rechtsregeln. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Demografie ja doch, ich sage mal, ab 2020 sehr große Belastungen für den Staat bereithält. Wenn wir also jetzt ausgeglichene Haushalte haben, dann ist das schon sehr gut, denn spätestens ab 2020 laufen die automatisch in Defizite, wenn dann viele Menschen in Rente gehen und die Sozialkassen mehr ausgeben müssen und die Pensionslasten steigen.

    Zerback: Ein Überschuss, das ist ja auch immer ein gutes Signal der Wirtschaft. Das kommt natürlich auch bei den Bürgern gut an. Waren denn diese Etatziele von vornherein zu niedrig angesetzt, um jetzt im Nachhinein als Sparmeister dazustehen? Wie schätzen Sie das ein?

    Fuest: Ja, darüber kann man jetzt lange reden. Sicherlich hat man da nicht so etwas gemacht, wie sich ein besonders ehrgeiziges Sparprogramm vorgeben, und man muss auch sagen, dass natürlich dieser Überschuss vor allem eine Folge der guten Konjunktur ist, also der zumindest noch im ersten Teil des Jahres guten Konjunktur. Insofern kann man nicht sagen, dass das Ergebnis jetzt einer tollen Sparpolitik wäre. Man muss natürlich auch sehen, dass die ganze Zeit von außen der Druck auf Deutschland und die Bundesregierung sehr groß war, eben genau nicht zu viel zu sparen. Insofern ist es wahrscheinlich ganz vernünftig, dass man gesagt hat, na ja, wir sparen jetzt nicht so viel, wie wir vielleicht tun würden, wenn es die Eurokrise nicht gebe, sondern wir machen sozusagen einen Kompromiss zwischen den Forderungen von außen, die lauteten, mehr Geld ausgeben, und vielen Forderungen aus Deutschland, die lauteten, mehr sparen.

    Zerback: Sparen nicht, Konjunkturprogramm erst mal auch nicht. Trotzdem ist das Wirtschaftswachstum von nur 0,4 Prozent ja drastisch unter den bisherigen Erwartungen zurückgeblieben. Müssen wir uns denn in Zukunft Sorgen machen?

    Fuest: Ja, im nächsten Jahr wird es schon etwas kritisch, und auch danach wird es schwierig. Das liegt in erster Linie an der Eurokrise und an den mauen Aussichten im Rest der Eurozone. Die große Hoffnung ist der Export in Länder außerhalb Europas, also die Schwellenländer und so weiter, aber auch da gibt es natürlich Risiken. Es kann sein, dass da der Boom weitergeht; es kann aber auch sein, dass es da mal eine Abschwächung gibt. Die deutsche Wirtschaft ist eben sehr exportabhängig, das ist eine Stärke, wenn die Weltwirtschaft gut läuft. Aber wenn es schlechter läuft, dann spürt man das eben auch sehr stark. Das heißt, Deutschland ist in Europa in einem schwachen Umfeld und hängt jetzt sehr stark an den USA und an den Schwellenländern, China, Brasilien und so weiter, und wenn da der Aufschwung kommt, wenn es in den USA, wo ja die Konjunkturzeichen gemischt sind, gut läuft, dann könnte es auch besser laufen in Deutschland, als derzeit die Bundesregierung erwartet. Aber wenn das nicht so kommt, wenn zum Beispiel in den USA die Parteien sich nicht darauf einigen, die Schuldengrenze zu erhöhen, und die Steuern dort ansteigen, dann kann es wirklich kritisch werden für Deutschland.

    Zerback: Professor Clemens Fuest war das von der Universität Oxford. Der Volkswirt ist auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Vielen Dank für das Gespräch.

    Fuest: Ich danke Ihnen.


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