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Volkswirt: Juristen können die Anleihekäufe nicht beurteilen

"Wir vergessen immer wieder, dass Volkswirtschaftslehre keine exakte Wissenschaft ist", sagt Carsten Brzeski. Es gebe in der Wirtschaft oft kein richtig oder falsch. Der Chefvolkswirt der DiBa-Bank glaubt deshalb, dass Juristen "auch keine Aussage darüber machen können".

Carsten Brzeski im Gespräch mit Christiane Kaess | 13.06.2013
    Christiane Kaess: Korrespondenten in Karlsruhe bezeichneten es gestern schon als volkswirtschaftliches Seminar, was sich dort am Bundesverfassungsgericht abspielte. Das Gericht prüft, ob Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank, kurz EZB, grundgesetzwidrig sind, weil sie ein Risiko für die Steuerzahler darstellen und vom EZB-Mandat womöglich nicht gedeckt sind. Am zweiten Tag der Hauptverhandlung gestern kritisierten Sachverständige die Maßnahmen der EZB deutlich. Die EZB auf der anderen Seite hat den Kurs der Währungshüter noch einmal verteidigt. Umstritten ist vor allem das Programm OMT, das steht für Outright Monetary Transactions, und damit könnte die EZB unter Bedingungen theoretisch unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten kaufen.

    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Carsten Brzeski, er ist Chefvolkswirt der DiBa-Bank und Europaexperte des niederländischen Finanzkonzerns ING, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Carsten Brzeski: Guten Morgen.

    Kaess: Herr Brzeski, die Ankündigung der EZB, im schlimmsten Fall unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen, die wird ja von vielen als Wendepunkt in der Finanzkrise gesehen. Ist Ihnen wohl dabei, wenn jetzt juristisch beurteilt werden soll, was sich eigentlich in der Praxis bewährt hat?

    Brzeski: Ganz ehrlich muss man sagen: Wir vergessen immer wieder, dass Volkswirtschaftslehre keine exakte Wissenschaft ist. Es gibt hier nicht richtig oder falsch. Von daher denke ich auch, dass Juristen hier auch keine Aussage darüber machen können. Wir hoffen halt in Deutschland immer so gerne, dass uns jemand Deutlichkeit geben kann, dass es Geradlinigkeit gibt. Aber in diesem Falle ist es ganz deutlich: Wir werden hier auch wieder zehn Volkswirte in einen Raum setzen können. Wir werden mindestens zehn, wenn nicht sogar elf verschiedene Meinungen bekommen.

    Kaess: Die Juristen werden ja nicht auf die Psychologie der Märkte schauen. Was befürchten Sie denn?

    Brzeski: Ganz ehrlich denke ich, dass die Juristen doch feststellen müssen, dass es ein paar Probleme gibt. Erstens, dass die EZB gar nicht unter das deutsche Grundgesetz fällt, sondern dass wahrscheinlich hier höchstens Luxemburg, nämlich der Europäische Gerichtshof eine Aussage darüber machen könnte. Und zweitens denke ich auch, dass Karlsruhe sich halt nicht darüber auslassen wird, was nun die volkswirtschaftliche Argumentation der EZB ist. Ganz ehrlich denke ich, dass es hier in einigen Monaten einfach ein grünes Licht geben wird für die Aktion der EZB.

    Kaess: Wie eindeutig, glauben Sie dennoch, wird das Bundesverfassungsgericht oder eventuell, wie Sie es gesagt haben, auch der Europäische Gerichtshof belegen können, ob die EZB ihre Grenzen überschritten hat und doch kriselnde Eurostaaten gestützt hat, wenn auch über den Sekundärmarkt die Anleihen gekauft wurden?

    Brzeski: Man kann das nicht eindeutig sagen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass im Augenblick noch gar keine einzige Staatsanleihe gekauft wurde unter diesem OMT-Programm. Es war bisher nur eine psychologische Ankündigung, die eine enorme Wirkung entfacht hat auf den Finanzmärkten. Von daher denke ich wirklich, dass hier Juristen keine konkrete Aussage darüber machen können. Es bleibt doch in der Unabhängigkeit der EZB, hierüber zu entscheiden, und ich denke wirklich, dass die EZB sich auch bewusst ist, dass sie in der Zukunft nicht Staaten finanzieren wird. Ich denke, dass wir uns in Deutschland keine Sorgen vor einer Hyperinflation machen müssen.

    Kaess: Aber es bleibt ein theoretisches Risiko, und davor warnen ja auch Wirtschaftswissenschaftler. Der Präsident des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, der hat gestern das OMT-Programm als "kostenlose Versicherung für Anleger" bezeichnet, wenn der Staat Pleite geht.

    Brzeski: Natürlich gibt es Risiken, aber es gibt überall Risiken. Wir dürfen nicht vergessen - das wird oft in Deutschland in der Diskussion vergessen -, dass die EZB ja auch gesagt hat, dass dieses Programm nur unter Auflagen kommen würde. Das heißt: Länder, die Staatsanleihenkäufe haben möchten von der EZB, müssten unter so ein Rettungspaket fallen, à la Griechenland, à la Portugal. Das heißt, das kommt mit starken Auflagen. Ich denke, dass wir uns auch keine Sorgen darüber machen müssen, dass die EZB hier wirklich verantwortungslos damit umgeht. Wenn wir in die Vergangenheit zurückschauen: Heute vor 20 Jahren hat die Bundesbank auch an Devisenmärkten interveniert, damals, als es noch keinen Euro gab. Das hätte auch schief gehen können, es hätte auch Risiken mit sich bringen können für das deutsche Parlament, für den deutschen Steuerzahler. Wir müssen ganz ehrlich zugeben, auch in der jetzigen Euro-Krise gibt es keine risikolosen Aktionen.

    Kaess: Aber das hört sich jetzt so an, als würden Sie zugeben, dass das OMT-Programm in der Tat ein Plan ist, um das Verbot der direkten Staatsfinanzierung zu umgehen?

    Brzeski: Nein. Das OMT-Programm hat deutlich zwei Ziele. Das erste Ziel ist es, als letztes Jahr der Euroraum wirklich kurz vorm Auseinanderfallen war, wegen den Spannungen auf den Finanzmärkten, um diese Spannungen da rauszuholen.

    Kaess: Da sagen die Kritiker, das ist ein Totschlagargument.

    Brzeski: Nein! Ich denke, dass es hier einfach darum ging, dass die Spekulationen auf ein Ende des Euroraums hiermit unterbunden wurden. Es heißt weiterhin: Es gibt hier starke Bedingungen, die Länder müssen noch immer ihre Hausaufgaben machen, es gibt keinen Freifahrtsschein und es gibt hier keine Finanzierung von Staatsschulden. Denn noch einmal: Die EZB hat ja im Augenblick gar keine einzige Staatsanleihe gekauft.

    Kaess: Machen die Länder ihre Hausaufgaben?

    Brzeski: Die Länder machen ihre Hausaufgaben. Ich denke, das muss man sich auch anschauen. Wenn wir uns die südeuropäischen Länder anschauen: Wir sehen, dass da doch einige Reformen durchgeführt worden sind. Wenn wir uns zum Beispiel die Lohnkostenentwicklung anschauen in Ländern wie Spanien, wie Portugal, wie Griechenland, ist da einiges passiert.

    Kaess: In Griechenland scheint das nicht zu wirken nach den aktuellen Darstellungen der Situation vor Ort.

    Brzeski: Das Problem ist natürlich, dass das wirklich noch ein langer Weg ist. Da müssen wir auch ganz ehrlich sein. Es wirkt schon. Es wirkt schon, dass die Lohnkosten deutlich gesunken sind. Heißt aber natürlich auch, dass das nicht sofort mit Wachstum zusammengehen wird, sondern dass wir hier noch einige Jahre nötig haben, bevor wir wieder Wachstumszahlen oder wieder normale Wachstumszahlen in den südeuropäischen Ländern sehen. Ich denke, wir müssen nicht vergessen, dass wirklich die Reformanstrengungen und Bemühungen nie so schnell, wie wir uns das wünschen würden, wirken, aber immer stückchenweise passiert doch etwas in den südeuropäischen Ländern. Ich denke, im Augenblick könnte man sich eher Sorgen machen über die großen Länder, die auch noch nicht unter irgendwelche Rettungspakete fallen. Denken wir mal an unseren Nachbarn im Westen, an Frankreich, wo zum Beispiel noch ein großer Reformstau herrscht, und da müsste in den kommenden Jahren etwas passieren.

    Kaess: Noch mal zurück zum Bundesverfassungsgericht und der EZB. Ist das jetzt eine Hängepartie für die Finanzmärkte bis zu einer Entscheidung des Gerichts?

    Brzeski: Im Augenblick, ganz aktuell gestern und vorgestern, war das wirklich mehr ein deutsches Medienspektakel, was die Finanzmärkte doch eigentlich relativ kalt gelassen hat. Sobald wir wissen, wann Karlsruhe dann wirklich das Urteil verkünden wird, dann, denke ich, wird es doch wieder Unsicherheit und Unruhe geben an den Finanzmärkten, weil wir wissen natürlich nicht, was die Juristen entscheiden werden. Sobald wir das Datum der Ankündigung wissen, dann wird es im Anlauf dahin deutlich wieder Spannung und Unruhe geben an den Finanzmärkten. Im Augenblick erst mal nicht.

    Kaess: Es wird ja tatsächlich nicht erwartet, dass die Richter zu dem Ergebnis kommen, dass die EZB sich komplett auf verbotenem Terrain bewegt. Aber möglich wäre es, dass das Gericht zum Beispiel dem jeweiligen Bundesfinanzminister auferlegt, im sogenannten Gouverneursrat des Rettungsschirm ESM eine bestimmte rote Linie einzuhalten, und die EZB will ja Staatsanleihen nur aufkaufen, wenn sich ein Land beim ESM meldet. Wie würden denn die Märkte bei so einer Gerichtsentscheidung, bei so einer Linienziehung reagieren?

    Brzeski: Diese Linienziehung, die gab es ja letztes Jahr auch schon mal ganz deutlich. Der deutsche Finanzminister im Rettungsschirm, im ESM, hat ja auch schon diese rote Linie bekommen. Das heißt, wenn das mehr oder weniger bestätigt wird, dann denke ich, dass die Finanzmärkte hier relativ entspannt darauf reagieren werden, weil auch noch mal ganz deutlich gemacht wird, der Bundestag hat keine Verfügung über die EZB. Weder Karlsruhe noch der Bundestag haben wirklich die Möglichkeit, einzugreifen in das, was die EZB macht. Das heißt, dass diese psychologische Wirkung des OMT-Programms nicht unterlaufen wird, und damit, denke ich, würde auch an den Finanzmärkten nicht diese Unruhe zurückkehren, die wir letztes Jahr gesehen haben.

    Kaess: Die Einschätzungen von Carsten Brzeski, er ist Chefvolkswirt der DiBa-Bank und Europaexperte des Finanzkonzerns ING. Danke für das Interview.

    Brzeski: Gerne geschehen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.