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Voll Kampfgeist und Lust zur Widerrede

Christian Friedrich Daniel Schubart war Dichter, Organist und Journalist. Klingt recht harmlos, doch er war auch ein Mann der Ausschweifungen, voll emotionaler Heftigkeiten und Eskapaden, aber auch ein Genie der Wort- und Tonerfindungen. Der Tübinger Kulturwissenschaftler Bernd Jürgen Warneken hat nun eine Biografie vorgelegt, die den Rebellen aus den Fängen des Fabulösen befreit.

Von Harro Zimmermann | 10.05.2010
    /"Drum wünsch ich, dass du Glücke / in diesem Jahr erlangst. / Dass du an keinem Stricke / Dies Jahr am Galgen prangst. / Friss nicht wie Schaf und Rinder / Gras, Stroh und dürres Heu, / es hau dir auch der Schinder / den Schädel nicht entzwei, / kein bloßer Hintern fahre, / dir in das Angesicht, / es hol in diesem Jahre, / dich auch der Teufel nicht."

    So lautet eines der Skandalgedichte, die man dem jungen Schubart zugesprochen hat. Ein Mann der Ausschweifungen, voll emotionaler Heftigkeiten und Eskapaden, aber auch ein Genie der Wort- und Tonerfindungen ist er zeitlebens gewesen. Schon in seiner ersten Zeit als Schulmeister, Musikdirektor und Organist im schwäbischen Geislingen fällt er ebenso als Komponist, Schriftsteller und musikalisch-poetisches Unterhaltungsgenie auf, wie als politisierender Berserker, Weiberheld und umtriebiger Säufer. Berühmt-berüchtigt ist Schubart bald in ganz Deutschland, ein Rebell mit Feinsinn, aber auch voller Ängstlichkeit. Noch bevor er 1769 nach Ludwigsburg, oder "Lumpenburg", wie es heißt, berufen wird, wo Landesvater Karl Eugen mitsamt aristokratischem Anhang einer mehr als verschwenderischen Hofhaltung frönt, wäre Schubart fast als Jugendverderber seines Amtes verlustig gegangen. Gewiss, auch in der neuen Umgebung erwirbt er beachtliche Verdienste als Komponist, Musiklehrer und Klavier- und Orgelvirtuose, als Verfasser einer berühmten "Ästhetik der Tonkunst" und als Deklamator der großen zeitgenössischen Literatur, allem voran der "Messias"- und Odendichtung Klopstocks. Aber er lässt sich wiederum mit hübschen Schülerinnen ein, prügelt sein Eheweib, wird vom Schwiegervater deshalb vor Gericht gezerrt, schmählich in Haft gesetzt, sodann exkommuniziert, und schließlich des Dienstes und sogar noch des Landes verwiesen.

    "Ich bin in Deutschland geboren, und bin doch in Deutschland ein Fremdling – ich bin in Schwaben erzogen, und bin doch in Schwaben ein Fremdling – ich bin ein Reichsstädtler und keine einzige Reichsstadt erkennt mich für seinen [!] Bürger. Können Sie dies Rätsel erraten? – Tausendmal denk’ ich nun, welch ein Glück es sei, ein Vaterland zu haben, wo man doch dem Vieh sein Futter gibt und dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbindet."

    Doch Schubart, der so oft gescholtene und seiner Ämter und Orte verwiesene, macht etwas aus der erzwungenen Freiheit, er zieht durch die deutschen Lande, wird von vielen berühmten Köpfen der Zeit, auch an etlichen Höfen empfangen, weiß mit seiner musikalischen und poetischen Kunst zu begeistern, und kann sich schließlich als Zeitschriftenherausgeber und politischer Journalist über Wasser halten. Immer wieder nimmt es seine "Deutsche Chronik" mit der katholischen Orthodoxie und ihrem virulenten Exorzismus und vor allem mit den Jesuiten auf, und natürlich wird der Herausgeber auch seinerseits bedroht und bekämpft, nicht selten sogar verhaftet. Aber er gibt nicht klein bei, möchte er doch einem "Volksblatte deutscher Nation" zum Überleben verhelfen. Schubart zeigt sich nun immer mehr als Mann und Lehrer des Volkes, als Kunstschaffender im Geist der niederen Stände und als feuriger deutscher Patriot. Dreise Einreden wider die Aristokratenherrlichkeit, Kritik an fürstlichen Kabinettskriegen, an Soldatenhandel und Kolonialismus, auf der anderen Seite beredte Propaganda für die Aufklärung und Emanzipation der Bauern sowie lautes Freiheitspathos für die amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer – musste die "Deutsche Chronik" nicht geradewegs hineinführen in die Kerkerhaft? Im Jahre 1777 locken die Schergen Karl Eugens den inkriminierten mit Arglist auf württembergisches Hoheitsgebiet und man sperrt ihn kurzerhand ein für zehn finstere Jahre im Hohenasperg, dem so genannten "Demokratenbuckel".

    "Jetzt rasselte die Türe hinter mir zu, und ich war allein – in einem grauen, düstern Felsenloche allein. - Ich stand und starrte vor Entsetzen, wie einer, den die donnernde Woge verschlang, und dessen Seele nun im schaurigen Totenreich erwacht. – Hier in dieser Schauergrotte, in diesem Jammergeklüft sollt’ ich dreihundertsiebenundsiebzig Tage verächzen! – Die Mandarins sagen: es gibt nur eine Hölle – das Gefängnis. Diese Hölle schlug nun ihre Flügel über mir zusammen; hüllte mich ein in ihre schreckliche Nacht und geißelte mich mit ihren Flammen!"

    Vielen ist es damals eine Genugtuung, dass der "Malefizkerl" endlich hinter Schloss und Riegel sitzt. Und doch war es ein Unrechtsakt gegenüber einem freiheitlich gesinnten, unbotmäßigen politischen Publizisten und Künstler. Warneken legt Wert auf den gut begründeten Beweis, dass der Rebell Schubart sich am Ende nicht der Fürstenwillkür gebeugt, sondern seinen Kampfgeist und die Lust zur Widerrede nicht verloren hat. Von Schiller, Nicolai und anderen Aufklärerköpfen wird er immer wieder besucht, mehrere Gedichtanthologien des Inhaftierten machen die Runde, der Hohenasperg entwickelt sich zu einer Art Wallfahrtsort der Aufklärungsfreunde, eine Amnestiebewegung kommt schließlich ins Rollen und bald muss der gestrenge Fürst seinen Delinquenten grollend wieder entlassen.

    Mit fürstlichen Gnaden wird Schubart 1787 zum Direktor des Stuttgarter Theaters ernannt, doch lässt er sich auch dieses Mal nicht zur Hofschranze degradieren. Zwar agiert er nun vorsichtiger, findet zum Lob des christlichen Glaubens zurück, auch seine "Vaterländische Chronik" übt politische Zurückhaltung und nur gelegentlich muss er seiner Forschheit abschwören, aber er hat jene "hundsföttischen Oligarchen" nicht aus dem Zornesblick verloren. Die Französische Revolution, deren Anfangsphase er noch miterleben darf, wird ihn ein letztes Mal befeuern, der "Geist von Freiheit und Größe" ist immer der seine gewesen, ein allgemeiner Aufbruch in eine bessere Welt scheint nahe gekommen. Welch ein Lehrstück für die "krummen und sehr gebückten Deutschen". Schubarts Stuttgarter Stammlokal, der "Adler", bildet um 1790 den Treffpunkt aller revolutionsbegeisterten Schüler und Professoren der berühmten Karlsschule, die einst auch Schiller besucht hatte. Hier, wie an zahlreichen Orten im Lande, weht ein neuer und zukunftsfähiger Geist der Freiheit, und der führt einen bedeutenden Namen mit sich - Schubart.

    Bernd Jürgen Warneken: Schubart. Der unbürgerliche Bürger. Die Andere Bibliothek. Eichborn Verlag 2009, 416 S