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Vollbeschäftigung in Musik

Der britische Musiker Steven Wilson, Kopf der Neo-Progressive-Band Porcupine Tree, ist noch in vielen anderen Bands aktiv. Und auch als Solokünstler: Sein neues Projekt thematisiere das Übernatürliche - mit humanistischem Anspruch, sagt Wilson.

Das Gespräch führte Thomas Elbern | 02.03.2013
    Thomas Elbern: Herr Wilson, Sie scheinen einer der beschäftigsten Künstler auf diesem Planeten zu sein: Sie spielen in mehr als drei Bands, arbeiten viel im Studio und sind ansonsten auf Welttournee. Wie kombinieren sie all das? Haben sie überhaupt noch ein Privatleben?

    Steven Wilson: Es ist gar nicht so schwierig was allerdings mit drei Dingen zu tun hat: Ich schaue kein Fernsehen, spiele keine Computerspiele und habe keine Kinder. Es ist unglaublich, wie viel Zeit Sie dadurch gewinnen. Ich habe eine Menge Freizeit ... ich höre mir Musik an, ich schaue Filme und treffe mich mit Freunden ... also ganz normale Sachen, die man so macht. Ich habe allerdings auch eine starke Arbeitsethik, weil ich das liebe was ich tue und meine Leidenschaft gleichzeitig auch meine Arbeit ist.

    Elbern: Wo sehen sie selbst den Unterschied zwischen einem Porcupine Tree und einem Steven Wilson Soloalbum ?

    Wilson: Es gibt schon einen massiven Unterschied. Wenn man in einer Band spielt, muss man so etwas wie einen gemeinsamen Nenner finden. Man muss sich auf einen Stil einigen , den man spielen will. Es ist so, dass ich viele Stücke für Porcupine Tree schreibe. Aber ich tue das mit dem Wissen im Hinterkopf was die Bandmitglieder spielen wollen und was nicht. Bei meinem Soloprojekt fallen sämtliche Grenzen flach. Ich kann experimentieren wie ich will und es ist so etwas wie eine befreiende Erfahrung. All die Musik ins Spiel zu bringen, die ich auch selbst gerne höre und die meine verschiedenen geschmacklichen Terrains verbindet.

    Elbern: Wenn ich mir ihr neues Album "The raven that refused to sing" anhöre, fallen mir direkt einige Referenzen ein, speziell, wenn ich den ersten Track "Luminol" höre. Crosby, Stills, Nash , dann King Crimson, dann wieder frühe Genesis und dann wiederum Momente, die man nur vom Münchner Jazzlabel ECM Records kennt. Wie komponieren sie all diese verschiedenen Elemente ?

    Wilson: Sie haben absolut recht mit ihren Vergleichen, aber wenn ich komponiere, dann ist mir das überhaupt nicht bewusst. Ich liebe all die Gruppen, die Sie erwähnt haben, all das steckt in meiner musikalischen DNA. Ständig höre ich mir diese Musik an. Es ist also natürlich, wenn man einen so speziellen Input hat, dass all das, was dabei herauskommt, auch davon geprägt ist. Wenn ich also Musik des ECM Labels oder Crosby, Stills, Nash höre oder ein spezielles Progressive Rock Album, dann ist mein Kopf voll mit dieser Musik. Es ist keine bewusste Entscheidung eine Art Patchwork zu schaffen. 20 Prozent davon 50 Prozent hiervon - nein, es ist schon eher ein natürlicher Prozess. Am Ende kommt meine Musik dabei heraus. Niemand kommt von nirgendwo, alles hat seinen Ursprung in etwas Anderem in der Vergangenheit. Und bei mir sind es die Gruppen, die Sie erwähnt haben. Meine Musik hat hoffentlich eine sehr eigene Note, doch die Einflüsse kann man deutlich heraushören.

    Elbern: Welche Idee steckte dahinter, Alan Parsons als Produzent auszuwählen?

    Wilson: Ich wollte von vorneherein eine musikalische Palette präsentieren, von der Sie sagen würden, das sie zeitlos ist: Fender Rhodes Piano, akustische Gitarre, Hammond Orgel, all diese Instrumente gehören keiner speziellen Zeit an, sondern sie transzendieren auch in der modernen Musik. An der Spitze meiner Wunschliste stand Alan. Warum? Alan hat das Album produziert, von dem immer noch viele sagen, dass es das am besten klingende Album aller Zeiten ist: "Dark side of the moon" von Pink Floyd. Ob man es mag oder nicht, es ist ein organisches, unglaublich gut klingendes, zeitloses Meisterwerk. Alan hat dieses Album aufgenommen und glücklicherweise auch Zeit und Interesse gefunden, um für mich zu arbeiten.

    Elbern: Ich habe in meiner Karriere als Musikjournalist eine Menge Musiker getroffen. Aber nur einen einzigen, der sich dermaßen sowohl mit moderner Musik als auch mit klassischer Rockmusik auskennt und dem man das sogar noch anhören kann. Das ist Steven Wilson.

    Wilson: Danke dass Sie das so sagen... Ich wünschte es gäbe mehr von meiner Sorte, das würde mein Leben einfacher machen. Ich hab oft das Gefühl, alleine auf weiter Flur zu sein. Wenn man Teil einer speziellen Szene ist, dann können die Dinge einfacher sein. Die einzige Szene, der man mich immer wieder zuordnet, ist die Metal und Progressive Rock. Die Progressive Rock Szene ist relativ klein, wogegen die Metalszene schon riesig ist und die Vergleiche hier auch schnell hinken. Vieles aus diesem Genre ist mir auch zu vorhersehbar und zu einfach gestrickt. Auf der anderen Seite sollte ich dankbar sein, dass ich jetzt da bin, wo ich bin, denn ich habe über die Jahre eine gewisse Langlebigkeit bewiesen.

    Elbern: Was inspiriert sie zu ihren Texten ?

    Wilson: Bei diesem Album hatte ich die Idee Geschichten zu erzählen, die sich mit Übernatürlichem befassen, die aber gleichzeitig einen humanistischen Anspruch haben. Um ein Beispiel zu geben: eine Story auf dem Album nennt sich "Luminol". In dieser Geschichte geht es um einen Straßenmusiker, den es tatsächlich in meiner Stadt gibt. Jeden Tag sitzt er mit seinem Hund an der gleichen Stelle und singt seine Songs. Egal ob es schneit, regnet, die Sonne scheint, er ist immer an der gleichen Stelle und so etwas wie eine Art Fixstern, obwohl ihn die Leute komplett ignorieren. Und er ist furchtbar, er wird auch nicht besser, er scheint einfach kein Talent zu haben. Er singt einfach weiter diese Coldplay und Oasis Lieder. Ich dachte bei mir, was würde passieren, wenn er einfach tot umfällt weil er beispielsweise erfroren ist. Selbst das würde ihn nicht abhalten, den nächsten Tag wieder an der gleichen Stelle zu stehen und diese Songs zu singen. Dahinter steckt die Idee eines Geistes, der seine Routine im Leben hat, und die läuft auch nach dem Tod weiter. Also die Idee des Straßenmusikers, der plötzlich stirbt, aber am nächsten Tag immer noch da ist, doch die Leute ignorieren ihn immer noch.

    Elbern: In all ihren musikalischen Projekten gibt es stets diesen melancholischen Unterton. Ist das typisch englisch oder ist das typisch Steven Wilson ?

    Wilson: Also für mich ist das so: Wenn sie über einen gewissen Intelligenzquotienten verfügen und sie schauen sich in der Welt um, dann ist es schwierig, nicht ein wenig melancholisch oder traurig zu werden. Ich habe die Idee mit den Geistergeschichten auf diesem Album verwendet, um einen Weg zu finden, mit der Sterblichkeit klarzukommen. Die Angst vor dem Tod und der Gedanke, dass wir offenbar die einzige Spezies sind, die sich darüber bewusst ist, dass wir vergänglich sind.

    Elbern: Abschließend gefragt : gibt es so etwas wie den größten Wunsch im Leben von Steven Wilson ?

    Wilson: Ich würde gerne Filmmusik machen. Das ist seit einigen Jahren mein größter Wunsch. Ich möchte mit einem guten Regisseur zusammenarbeiten, der einen spannenden Film macht und dafür die Musik konzipieren. Das ist mein größter Traum.