Vom Ausstellungsort zum Forschungscampus

Die vergessenen Museen

43:48 Minuten
Treppenaufgang zum Eingang des Museums für Europäische Kulturen. Vorne rechts steht eine rotes Schild mit der Aufschrift "MEK Museum Europöischer Kulturen", dahinter ist ein Teil des Gebäudes zu sehen.
Das Museum Europäischer Kulturen in Berlin Dahlem © Andreas Wassermann
Von Aureliana Sorrento · 14.05.2021
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Große graue Schränke stehen in den Hallen des Museumskomplex Berlin-Dahlem. Sie bergen die Objekte der ethnologischen Sammlungen, die bis vor kurzem hier gezeigt wurden und nun auf den Transfer ins Humboldt Forum in Berlin Mitte warten. Aber was passiert mit den ehemaligen Musemsräumen? Eine Erkundung.
Katharina Steegmans mischt Farbkleckse auf einer Fliese. Die Farben sind angetrocknet während sie in der Mittagspause war, jetzt muss die Restauratorin sie mit Äthylacetat auffrischen. Vor ihr auf dem Tisch steht eine türkisblaue Schale in der Größe einer Salatschüssel, die mit Blumen und Rankenmustern verziert ist. Mit einem feinen Pinsel tupft Steegmans Farbe in die Kerben auf der Oberfläche der Schale und erzählt: "Eigentlich machen wir in der Regel nur notwendige Maßnahmen, eine präventive Konservierung. So, dass das Objekt sich möglichst wenig verändert; aber zur besseren Lesbarkeit der Objekte macht man Ergänzungen und Retuschen für Ausstellungszwecke."
Katharina Steegmans sitzt an einem Arbeitstisch und restauriert eine blaue Schale. Über ihr und der Schale hängt eine Lampe und sie selbst trägt blaue Plastikhandschuhe, sowie einen weißen Kittel. Links neben ihr steht ein Rollwagen in dem sich bauchige, historische Vasen befinden
Katharina Steegmans bei der Arbeit an einer blauen Schale aus der historischen Region Turkestan© Aureliana Sorrento

Aufbewahrt aber nicht archiviert

Steegmans ist eine von mehreren Restauratorinnen und Restauratoren, die derzeit in den Werkstätten im ehemaligen Ethnologischen Museum beschäftigt sind. Schon zwei Jahre arbeiten sie daran, 6000 Objekte aus der ethnologischen Sammlung für den großen Auftritt im Humboldt Forum fit zu machen. Das ist zwar ein Viertel aller Ausstellungsstücke des neuen Museums, aber nur gut ein Prozent der insgesamt zirka 500 000 Teile, die die Sammlung umfasst. Die Ausstellungsstücke werden gereinigt, konserviert, restauriert, fotografiert, dokumentiert, verpackt und schließlich nach Berlin Mitte transportiert. Ende 2021 soll dann alles im Humboldtforum bereitstehen. Zeit für Nachforschungen über die einzelnen Stücke bleibe da nicht, sagt Steegmans.

Die Restaurierungsstraße

Die Werkstätten befinden sich in einer ehemaligen Ausstellungshalle des Ethnologischen Museums. 1300 Quadratmeter groß, etwa 100 Meter lang, ist die Halle durch Stellwände in Werkstattkojen aufgeteilt worden. Den Werkstätten gegenüber steht eine Flucht grauer Schränke. Weil Stellwände und Schränke einen langen, geraden Flur bilden, wird das ganze "Restaurierungsstraße" genannt.
Stellwände und Schränke bildeneinen langen, geraden Flur. Man kann hinter den linken Stellwänden erkennen, dass sich dort die Werkstattkojen befinden. Auf den Stellwänden hängen und lehnen schwarz-weiß Fotos und Plakate von Pyramyden. Am Ende des Flur befindet sich eine Tür.
Die "Restaurierungsstraße" der ehemaligen Ausstellungshalle © Andreas Wassermann
Am Ende des Flurs blitzt ein altes Treppengeländer hinter Stapeln blauer Kisten und weißer Kartons hervor. Es ist das einzige, was hier noch an den alten Museumsschauraum erinnert. Die Restaurierungsstraße wirkt ansonsten wie eine Mischung aus Labor und Baustelle. Auf Tischen und Rollwagen liegt allerhand Werkzeug; in den Werkstätten stehen Flaschen und Laborgläschen, Handschuhe, Trichter, Pipetten, Kanülen und Richtlampen herum.
Während Katharina Steegmans an zwei Tongefäßen weiterarbeitet, führt Melanie Münchau, die Leiterin der Werkstätten, durch die einzelnen Stationen der Restaurierungsstraße. Es gibt einen Raum für labortechnische Untersuchungen, einen Raum, in dem jedes Objekt fotografiert und in die Datenbank aufgenommen wird, und eine Abteilung, in der Sonderverpackungen für die Objekte angefertigt werden. Von den Werkstätten durch drei Stufen und eine schwere Glastür getrennt ist der so genannte "Schwarze Bereich". Da werden die Objekte, die den Depots oder den Ausstellungsvitrinen entnommen wurden, erst einmal von Schadstoffen gereinigt. "Vor hundert Jahren war es üblich, organische Objekte zur Schädlingsbekämpfung mit Bioziden zu behandeln, mit einem Cocktail aus verschiedenen Chemikalien," erklärt Münchau. "Die wollen wir entfernen, soweit es geht. Wir saugen die Objekte ab, stauben sie ab, wir pusten sie zum Teil ab, und dieser kontaminierte Staub wird abgeführt, so dass er nicht an der Oberfläche des Objektes haftet, und damit weniger Gefahr für den bearbeitenden Restaurator darstellt und auch in der Vitrine nicht mehr ausgasen kann." Die Restaurierungsstraße ist eine provisorische Einrichtung. Sobald die Exponate restauriert und ins Humboldt Forum transportiert worden sind, wird man sie auflösen. Aber im künftigen Forschungscampus, der in Dahlem entstehen soll, werden weiterhin auch Restauratorinnen und Restauratoren tätig sein.
Links steht die Leiterin der Werkstätten Melanie Münchau die von der Autorin Aureliana Sorrento interviewt wird. Beide tragen FFP2-Masken.
Melanie Münchau, die Leiterin der Werkstätten, führt unsere Reporterin durch die Restaurierungsstraße© Andreas Wassermann

Ein Museum mit zwei Gesichtern

Der Museumskomplex Dahlem liegt auf einem Erdhügel. Wenn man das Gebäude umrundet, zeigt es zwei Gesichter: Die nördliche Seite besteht aus drei massigen und kantigen Bauten aus Stein, Stahl und Glas, die rechtwinklig aber asymmetrisch ineinandergreifen. Eine schwarze Granittreppe führt zu einem Vorbau mit Glasfront, auf den das Obergeschoß wie ein schweres Vordach gesetzt ist: der Nordeingang der Museen. Im Rücken dieses modernen Gebäudes erstreckt sich ein historischer Bau mit Seitenflügeln, Giebeln, Gesimsen, Halbsäulen und Kapitellen – ein krasser Gegensatz zum Baustil der Neuen Sachlichkeit der 1970er Jahre. Vom Gesims des Altbaus – nach seinem Architekten Bruno Paul genannt – hängen zwei rote Transparente herab. In weißen Lettern sind auf dem einen die Titel von laufenden oder geplanten Ausstellungen zu lesen. Auf dem anderen steht "MEK": Museum europäischer Kulturen – das einzige der drei Museen, das in Dahlem bleiben wird.
Alexis von Poser, der stellvertretende Direktor des Ethnologischen Museums, und Patricia Rahemipour, Direktorin des Instituts für Museumsforschung, sind beide Sprecher des Lenkungskreises, der die Weichen für den Forschungscampus stellen soll. Sie stehen im Foyer des ehemaligen Ethnologischen Museums und des Museums asiatischer Kunst, wo ein verwaister Ticketschalter an vergangene Tage erinnert. Rechts von der Tür steht ein Schaukasten, der ein Gipsmodell der Museumsanlage in Puppenhausgröße zeigt. Die Geschichte der Anlage begann um 1900. Ein preußischer Ministerialbeamter hatte ein "deutsches Oxford" im Sinne: Im dörflichen Dahlem sollte ein Wissenschaftszentrum entstehen, mit Universität, wissenschaftlichen Instituten und Museen. Als 1910 der Umzug des Botanischen Gartens mit dem Botanischen Museum von Schöneberg auf einen Dahlemer Kartoffelacker abgeschlossen wurde, begannen auch die Arbeiten am Bruno-Paul-Bau. Wegen des Krieges mussten sie aber unterbrochen werden; das Gebäude wurde erst Anfang der 1920er Jahre fertig gestellt.
"Ursprünglich waren vier solcher Gebäude geplant, für vier Erdteile," weiß Alexis von Poser. "Asien, das war der Bau der schon begonnen worden war, es sollte aber auch für Ozeanien und die Amerikas und Afrika jeweils ein solches Gebäude geben, aber tatsächlich fertig gestellt wurde in den 20er Jahren nur dieser eine Bau." Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten in Dahlem alle preußischen Sammlungen Platz finden, die während des Krieges in Westdeutschland gelagert worden waren und nun nach Berlin zurückgebracht wurden. Das machte eine Erweiterung des Bruno-Paul-Baus nötig. 1970 wurde der von den Architekten Wils Ebert und Fritz Bornemann entworfene Neubau eingeweiht. "So konnten alle Sammlungen unter ein Dach kommen, erzählt der stellvertretende Direktor. "Der Standort hat sich eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg sehr entwickelt, er ist ja auch gar nicht schlecht angebunden. Es ist eine U-Bahn direkt in der Nähe, es sind Buslinien… der ganze Komplex hier wurde recht gut angenommen." Patricia Rahemipour ergänzt: "Damals war Dahlem sehr viel präsenter im Denken der Menschen, die in West-Berlin wohnten, als es heutzutage der Fall ist. Diese Verschiebung, die 1989 mit der Wiedervereinigung stattfand, ist für uns eigentlich nicht mehr klar spürbar."

Das Depot

Das Gebäude des früheren Ethnologischen Museums und des Museums für asiatische Kunst hat zwei oberirdische Geschosse und ein Untergeschoß. Die Restaurierungsstraße befindet sich im ersten Obergeschoß, das Ozeaniendepot im Untergeschoß. Das klingt übersichtlicher als es ist. Alexis von Poser navigiert durch ein Labyrinth von langen Fluren, Treppenhäusern, Treppenabsätzen, Durch- und Übergängen. Quasi das Skelett des Museumsbaus, das fürs Publikum unzugänglich ist.
Etliche Türen und Gänge später bleiben wir vor einer Tür stehen. Ihr gegenüber hängt eine Karte Ozeaniens. Sie zeigt die vielen kleinen Inseln nördlich und östlich von Australien. "Hier sind im Prinzip alle Bereiche des Pazifik abgebildet, die entweder deutsche Kolonien waren oder auch nicht", sagt von Poser, als er den schummrigen Raum betritt. "Deutschland besaß Kolonien im so genannten Deutsch-Neuguinea, zu dem gehörte der Nordteil der Insel Papua-Neuguinea, sowie vorgelagerte Inseln und Samoa. Zudem in Mikronesien einige Inselbereiche." Nach dem Versailler Vertrag 1919 musste Deutschland auf alle Kolonien verzichten. Aber das Interesse an der Südsee blieb bestehen. Reisende und Forscher brachten weiterhin Souvenirs aus den pazifischen Inseln nach Berlin und die Sammlungen wuchsen kontinuierlich weiter.
Das erste Regal neben der Tür ist vollgestopft mit geometrisch bemalten, langen Tafeln. Der Vitrinenschrank gegenüber ist voll von kleinen Booten. "Das sind Modellboote," erklärt von Poser. "Sie wurden fast ausschließlich für Sammler angefertigt, weil ein großes Boot natürlich nicht in den Reisekoffer gepasst hätte. So wurden Modellboote für den Sammler, für die Sammlerin angefertigt, um Objekte mitnehmen zu können. Das zeigt auch, dass es durchaus Objektaustausch gab, der nicht mit Gewalteinwirkung, nicht mit Strafexpeditionen zu tun hatte."
Auf dem Boden liegt eine schwarze Holzskulptur. Sie zeigt drei Männer, die auf den Schultern des jeweils anderen stehend ein Krokodil umklammern. Eine Schlange hat sich in den Schwanz des Krokodils verbissen. Wahrscheinlich stamme sie von den Admiralitätsinseln, sagt von Poser. Sie werde – wie der Großteil der Sammlung – im Depot bleiben und nicht ausgestellt werden. Aber vielleicht werden sich bald Forscherinnen aus der ganzen Welt über sie beugen, erzählt Patricia Rahemipour: "Natürlich forschen hier nicht nur Forscherinnen und Forscher des Ethnologischen Museums oder des Museums für asiatische Kunst. Auch internationale Experten werden hier vor Ort sein und mit den Objekten arbeiten."
Ein langer Flur in einer Lagerhalle mit Fluchpunkt auf eine Tür. Auf beiden Seiten stehen große graue Schränke.
Hier warten die restaurierten Ausstellungsstücke auf ihren Transport ins Humboldt Forum.© Andreas Wassermann

Die Zukunft der Museen

Der Sachbuchautor, Journalist und Architekturkritiker Nikolaus Bernau hat als Kind oft die Museen Dahlem besucht. Damals war er besonders fasziniert von der Südsee-Sammlung. Aber auch die anderen Ausstellungsräume, in denen auf eine künstlerisch-ästhetische Inszenierung mit Kunstlicht Wert gelegt wurde, haben bleibende Eindrücke hinterlassen. So wurde der westlichen Welt vermittelt "Kunst aus Indien ist gleich viel wert wie Kunst aus Europa", sagt Bernau.
Die Museen Dahlem seien ein Produkt des Kalten Kriegs und der deutschen Teilung gewesen. Dahlem liegt weit weg vom Berliner Zentrum, sein Bedeutungsverlust als Museumsstandort nach der Wiedervereinigung sei unvermeidlich gewesen. Die Entscheidung, die außereuropäischen Schausammlungen nach Mitte zurückzubringen, findet Bernau daher richtig und zwingend – obwohl er kein Verfechter vom Humboldt Forum mit seinen nachgebauten Barockfassaden ist. Doch obwohl die Ausstellungsstücke aus dem Berliner Süden nach Mitte wandern, sagt er dem Berliner Standort eine große Zukunft voraus: "Diese riesigen Depots müssen geöffnet werden, müssen demokratisiert werden!" Im künftigen Dahlemer Forschungscampus sieht Nikolaus Bernau die Chance, die riesigen Sammlungen auch Laien zugänglich zu machen, neue Ausstellungsformate auszuprobieren und so das Wissen über die Sammlungsgegenstände zu vertiefen.
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