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Vom Dunst zur Kunst

Es gibt längst nicht von allen namhaften deutschen Unternehmerdynastien auch eine Firmen- oder gar Familiengeschichte, und zum exklusiven Zirkel solcher historiographischer Phantome gehörten bisher auch die Reemtsmas, Gründer und langjährige Eigentümer eines der größten deutschen Zigarettenkonzerne.

Von Uwe Pralle | 30.11.2007
    " Jan Philipp Reemtsma sagte mir ganz dezidiert, er wollte nie einen beauftragen, der sozusagen von ihm finanziert eine Familiengeschichte schreibt. Weil das ganz klar dann den Ruf des Apologetischen haben könnte oder von der Öffentlichkeit angegriffen wird nach dem Motto: Ein Hofschreiber hat hier das Schönste ausgelassen, oder das Schlimmste. "

    Erik Lindner, Historiker, Jahrgang 1964, einige Jahre Leiter des Archivs der Axel Springer AG und so mit den Eigenheiten, aber auch Tücken von Unternehmenshistorik wohlvertraut, hat erstmals die Möglichkeit gehabt, nicht nur Firmenakten und private Dokumente der Reemtsmas zu sichten, sondern auch mit einigen Nachfahren der drei Brüder zu sprechen, die den Konzern aufbauten und allesamt - wie noch der Kulturmäzen Jan Philipp Reemtsma - den altehrwürdigen Beinamen "Fürchtegott" trugen. Ohne persönliche Kontakte ist keine Geschichte einer Unternehmerdynastie möglich, auch wenn das Motto von Lindners Buch verrät, dass es mit dem Sprudeln solcher Quellen so eine Sache sein kann: "Wir sind eine ausgesprochen schweigsame Familie", lautet dieses Motto, das einen der Nachfahren zitiert.

    " Man merkt, diese Reemtsmas sind nicht gewohnt, Interviews über persönliche Sachen zu geben. Das gehört nicht dazu. Vielleicht kommt das daher, dass sie a) Hanseaten sind, die b) aus Friesland stammen, also durchaus zugeknöpft. "

    Aber nicht nur deshalb liegt der Schwerpunkt von Lindners Buch darauf, ein Panorama vor allem der Firmengeschichte zu entwerfen, von der Gründung einer ersten kleinen Fabrik in Erfurt kurz vor dem Ersten Weltkrieg über die Expansion durch geschickte Geschäftsstrategien bis hin zu den Geheimnissen von Tabakeinkauf und -mischung. Vielmehr ist jede deutsche Unternehmensgeschichte, die sich durchs gesamte 20. Jahrhundert zieht, immer auch ein Politikum, und dieses - nämlich die Firmenpolitik angesichts des Nationalsozialismus - spielt auch hier eine überragende Rolle. Dagegen nimmt der Aufstieg der Reemtsmas zum Branchenführer der deutschen Zigarettenindustrie ein eher kurzes, allerdings auch nicht ganz unspektakuläres Kapitel ein.

    " Sie müssen sich die Zigarettenindustrie in Deutschland vorstellen als eine sehr junge Branche, die in der Kaiserzeit erst Anlauf nimmt. Damals ist die Zigarettenindustrie recht klein, sie nimmt dann einen unglaublichen Aufstieg, und Zuwächse wie in keiner anderen Branche, kann man sagen, sind damals in dieser Industrie möglich. Große Firmen, kleine Firmen, alle konkurrieren miteinander. An die tausend Unternehmen gibt es in der Kaiserzeit, und dann geht es in einem unglaublichen Konzentrationsprozess Schlag auf Schlag. Und die, die übrig bleiben, sind so eine Handvoll größerer und großer Unternehmen, und zu denen gehören die Reemtsmas. "

    Dieser Konzentrationsprozess vor allem in den 20er Jahren, der unter anderem dazu führte, dass die paar Großfirmen den lukrativen Markt in einem Kartell unter sich aufteilten, hatte für die Reemtsmas trotz des kometenhaften Aufstiegs allerdings schon einige recht prekäre Nebenwirkungen. Lindner:

    " Viele der untergegangenen kleinen und mittleren Unternehmer beschuldigen nun mit Publizisten in der Presse die Reemtsmas, mit unsauberen Methoden ihren Aufstieg durchgefochten zu haben. Und da kommen dann Vorwürfe, dass man meinetwegen im Finanzministerium Bestechungsgelder gezahlt habe, damit Reemtsma die eine oder andere Firma übernehmen darf, die Steuerschulden hatte - Batschari in Baden-Baden ist so ein Fall gewesen. Und da gibt es tatsächlich Verleumdungsprozesse, da gibt es Erpressungen - die Reemtsmas haben auch Schweigegelder gezahlt in den späten 20er Jahren. Alles unschöne Dinge, die dann auch aktenkundig vorlagen. "

    Diese "unschönen Dinge" sollten das Unternehmen noch in eine höchst fatale Lage bringen, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen - obwohl sich diese bereits in der Weimarer Zeit auf die Hamburger Firma eingeschossen hatten und sie in ihrer Parteipresse keine Werbung treiben ließen.

    " Die Nazis haben das nicht gemacht, weil nämlich Reemtsma jüdische Geschäftspartner hatte, und das war für Reemtsma ärgerlich. Reemtsma inserierte in sozialdemokratischen, in kommunistischen Zeitungen auch und genauso gut in der bürgerlichen Presse, sei es Ullstein-Zeitungen, also auch in jüdischen Verlagen hier in Berlin. Das alles war normal, und Reemtsma hat sich daran gestört, dass die Nazis nun sagten, wegen der jüdischen Geschäftspartner, die Reemtsma als Firma hat, nehmen wir keine Anzeigen auf von dieser Firma. "

    Es lässt sich als geschäftspolitischen Realismus, aber auch als Paradefall für vorauseilenden Opportunismus ansehen, wie die Reemtsmas, obwohl sie selbst demokratisch ausgerichtet gewesen sein mögen und jedenfalls in der Weimarer Zeit auch demokratische Parteien unterstützt hatten, sich schon vor der Machtergreifung - nach dem Scheitern des Kabinetts Brüning - in die kompromittierende Situation lavierten, die NSDAP kräftig mitzufinanzieren:

    " Reemtsma hat mit Hitler verhandelt, das war im Juni 32 - in einer Zeit, in der die NSDAP unglaublich viel Geld brauchte für ihre Wahlkämpfe. Das war das politische Entscheidungsjahr. Wissen wir heute, aber damals wusste man das vielleicht nicht so sehr. Aber Reemtsma hat, wie viele andere Unternehmer auch, damals erkannt, dass die Nazis immer wichtiger werden. Er setzt sich mit dem Mann zusammen, nicht um den jetzt einzuseifen mit vielleicht einer halben Million Mark für Anzeigenaufträge, sondern einfach um ein Geschäft zu machen. Reemtsma wollte Zigaretten verkaufen, und auch Nationalsozialisten, die ja immer mehr wurden, SA-Leute und andere, die sollten Zigaretten von Reemtsma rauchen, eben R6, Senoussi, Salem oder wie sie alle hießen, Eckstein No. 5 - und das wollte man eben mit Anzeigen im "Völkischen Beobachter" oder in den anderen Gau-Zeitungen befördern. Die Nazis haben zugestimmt, und Reemtsma hat schon Mitte 1932 ganz massiv eingezahlt in die Kasse dieses Parteiverlags der NSDAP. Und das ist etwas, was eklatant ist; wenn ich jetzt frage: Was hat man denn an Brüning gezahlt oder demokratische Kräfte in der Weimarer Zeit, das ist leider in Reemtsmas Akten nicht dokumentiert. Aber man weiß tatsächlich, das hat auch Brüning nach dem Krieg geschrieben: Reemtsma gehörten zu denjenigen, die uns als Demokraten unterstützt haben. "

    " Die wirtschaftlichen Kalküle von Reemtsmas Verständigung mit Hitler und Hess mochten aufgehen, doch verstrickte das den Konzern nur um so tiefer, als die NSDAP schließlich die Macht übernahm. Denn nun wurde er prompt mit den Korruptionsvorwürfen aus den 20er Jahren unter Druck gesetzt. "

    " Die Nazis brauchten sich nur in den Archiven der Staatsanwaltschaften in Berlin oder Karlsruhe bedienen und haben daraufhin Material in Fülle gehabt, um die Reemtsmas juristisch angreifen zu können. Und das ist genau 1933 vorbereitet worden, und dem wollten die Reemtsmas zuvorkommen, indem sie Göring baten, dieses Ermittlungsverfahren niederzuschlagen.
    "

    Was folgte, wurde nicht nur für den Konzern, sondern auch die Brüder Reemtsma persönlich nach dem Ende des NS-Regimes zu einer schweren Belastung, zeigt aber auch die Mafia-Methoden, deren sich etwa Hermann Göring bediente, als der Konzern im April 1933 auf einer sogenannten "Korruptionsliste" auftauchte:

    " Daraufhin geht Philipp Fürchtegott Reemtsma zu Hermann Göring, nicht persönlich, er schickt einen Emissär und bittet den Göring, der preußischer Ministerpräsident ist zu dieser Zeit, ihm zu helfen - Altona nämlich, wo die Firma Reemtsma sitzt, bei Hamburg, ist damals noch eine eigenständige Stadt in Preußen. Und Reemtsma bittet ihn, den Göring, doch etwas zu tun, dass die Justiz und auch die SA endlich das Feuer einstellen und diese Firma, die ja auch Arbeitsplätze bietet, zu schützen. Und die Nazis entscheiden sich tatsächlich damals so Mitte des Jahres 1933, verschiedene Firmen nicht mehr anzugreifen, weil sie ja als erstes Ziel auch haben, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Und aufgrund dessen tritt etwas Ruhe ein, aber im Fall Reemtsma doch noch nicht. Reemtsma geht deswegen noch mal persönlich zu Göring, spricht mit ihm, und Göring sagt dann Ende 1933: OK, wir können etwas machen, und Anfang 1934 kommt es dann dazu, dass Göring das Ermittlungsverfahren der Justiz niederschlagen lässt, die SA wird zurückgepfiffen. Allerdings muss Reemtsma an Göring drei Millionen Reichsmark zahlen. Das ist eine immense Summe. Damit hat Göring viel Geld in die eigenen Kassen bekommen, angeblich für den deutschen Wald, für den Forst, für die Theater, aber eher wahrscheinlich für Görings barocken Lebensstil. Das Ganze hat Göring noch auf die Spitze getrieben, dass er von Reemtsma jedes Jahr, das folgte, eine Million Reichsmark forderte. Und das war dann wirklich etwas Einmaliges, so hat sich wohl kein (anderer) deutscher Unternehmer melken lassen von der Nazi-Spitze, und Göring war der zweitmächtigste Mann im Reich. Aber damit konnte man dann sagen, war auf einmal Reemtsma der Protegé von Hermann Göring. "

    Nach dem Ende des NS-Regimes, als die Reemtsmas zunächst interniert wurden und der Konzern unter Treuhänderschaft der britischen Besatzungsmacht gestellt, kam es schließlich auch zu gerichtlichen Untersuchungen, ob die Reemtsmas nun Göring bestochen oder dieser sie erpresst hatte.

    " Diese Frage ist nach dem Krieg in einem Verfahren vor deutschen Gerichten nicht endgültig geklärt worden. Letztlich hat man die Reemtsmas angeklagt deswegen, aber nicht verurteilt. Man wusste also nicht: war es Erpressung oder Korruption, man konnte nur sagen: es war eine "gewünschte Erpressung", so hat's ein Staatsanwalt formuliert. Reemtsma hat sich von Göring - in Anführungszeichen - so "über den Tisch ziehen lassen", um den Rücken freizubekommen, um mit seiner Firma im "Dritten Reich" tatsächlich weiter Zigaretten verkaufen zu können. "

    Erik Lindners Fazit zur Haltung der Reemtsmas nach dem Krieg ist in seinem bestechend kenntnisreichen Buch angemessen nüchtern:

    " Was bereut man denn nun nach 45? Eigentlich in Bezug auf das "Dritte Reich" und das eigene Verhalten so gut wie nichts. Man addiert die positiven Dinge, an die man sich erinnert: dass man jüdischen Geschäftspartnern bei der Emigration geholfen hat, dass man das eine oder andere getan hat, was nicht unbedingt auf der Linie des Reiches war, meinetwegen einer der Reemtsmas förderte den verfemten Künstler Barlach, was durchaus schon ein Statement war. Gut, das war dann auf der positiven Seite zu verzeichnen. Man möchte Material sammeln, mit dem man sich entlasten kann, darum geht es den Reemtsmas, und letztlich dann, als sie 1948 im Herbst entnazifiziert sind, können sie ihre Firma wieder übernehmen. Sie werden dann wieder einer der großen Mitspieler in der Zigarettenindustrie in Westdeutschland. Sie erringen in den 50er Jahren schon wieder über vierzig Prozent des Marktanteils, und damit werden die Reemtsmas wieder reich. "

    Letztlich ist es erst der 1952 geborene Jan Philipp Reemtsma gewesen, der 1980 mit seinem spektakulären Schritt, die vom Vater geerbten Mehrheitsanteile am Konzern zu verkaufen, auch eine praktische Antwort auf diese Firmengeschichte gab; und indem er so seinen kulturellen Ambitionen folgte, entsprach er - wie Erik Lindner herausgefunden hat - sogar den Wünschen des Vaters:

    " Ich habe eine Quelle gefunden von 1939, da schreibt sein Vater, er hoffe, dass seine Söhne sich einst doch ein ganz eigenes Feld erobern werden. Und genau das hat nun Jan Philipp Reemtsma ab 1980 - sagen wir mal - getan, indem er den Schriftsteller Arno Schmidt gefördert hat, oder eben das Hamburger Institut für Sozialforschung oder Alice Schwarzer und die Erforschung des Feminismus. Eine ganz, ganz interessante Wendung, die er genommen hat, die - wie gesagt - durchaus einmalig scheint. Und das macht es vielleicht auch spannend, sich mit den Reemtsmas zu beschäftigen, weil darin etwas enthalten ist, was etwas vom klassischen Wirtschaften bis zum linksintellektuellen Forschen und Fördern beinhaltet, etwas, was Sie sonst in Deutschland, denke ich, sehr selten finden würden. "

    Erik Lindner, Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie. 592 Seiten, Hoffmann & Campe, Hamburg 2007. 25,00 Euro