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Vom Erdöl zum Medikament

Chemie. - Katalysatoren sind die Heinzelmännchen der Chemie: Wo ansonsten eine Reaktion nur unter erheblichem Anstoß von außen ablaufen würde, helfen die kleinen Moleküle den Reaktionspartnern über die Schwelle zur Vereinigung - ohne dabei selbst abgenutzt zu werden. Ein solches Wunderkind der Chemie erleichtert jetzt die Gewinnung von Aminen als Nebenprodukte der Ölraffinierung und vereinfacht so die Herstellung beispielsweise von Pharmaprodukten.

10.09.2002
    Nicht nur als Kraftkonzentrat für unsere Stahldroschken ist Erdöl unverzichtbarer Grundstoff - auch Farben, Kunststoffe und Arzneien werden aus dem schwarzen Gold gewonnen. Der Trick ist dabei relativ simpel: die langen Kohlenstoffketten des Erdöls werden zuerst in unterschiedliche kürzere Fragmente zerlegt - Cracken heißt das im Jargon der Chemie. Weil aber kaum etwas in dieser Welt von allein in annehmbarer Zeit geschieht, muss dabei nachgeholfen werden: Katalysatoren verringern den Energiebedarf der chemischen Reaktionen und erleichtern sie so. Dabei werden die Hilfsmoleküle selbst nicht verbraucht. Auf dem Weg zu "Super-bleifrei" fallen dabei allerlei Anhängsel und Nebenverbindungen an, die ja selbst gewinnbringend genutzt werden könnten, so dachten sich Chemiker vom Institut für Organische Katalyseforschung in Rostock. Abgesehen hatten die Wissenschaftler es vor allem auf einen universalen Rohstoff der Pharmazie - die so genannten Amine. "In der Natur finden wir Amine in Aminosäuren sowie in der Erbsubstanz. Technisch werden die stickstoffhaltigen Verbindungen als Vorprodukte für polymere Werkstoffe sowie für Pharmazeutika und Agrochemikalien genutzt", erklärt Institutsdirektor Professor Matthias Beller.

    Die Rostocker Forschern zielten auf eine bestimmte Klasse von Aminen mit einer recht schlichten Molekülstruktur. Eine lohnende Beute, denn die jährliche Produktionsmenge dieser Verbindungsklasse beträgt deutlich mehr als eine Million Tonnen. Sie stammen aus so genannten Olefinen, Überbleibseln des Rohbenzins nach der Herstellung von Motorenbenzin. Dazu Beller: "Olefinmischungen sind die wesentlichen Ausgangsprodukte für die chemische Industrie. Die Mischungen werden nach entsprechenden Komponenten getrennt und diese jeweils einzeln weiterverarbeitet, wie etwa zu Aminen." Allerdings kann nur ein Teil der Olefine direkt verwendet werden, dagegen müssen die so genannten "nicht-reaktiven Olefine" erst in mehreren Reinigungsstufen aufwändig aufgetrennt und gereinigt werden. Genau das macht die Rostocker Patentidee jetzt überflüssig. "Basierend auf Grundlagenarbeiten mit der Industrie konnten wir unser Katalysatorsystem gezielt so verändern, dass es jetzt erstmals diese Abfolge von verschiedenen Reaktionsschritten in besonders selektiver Weise ermöglicht", resümiert Matthias Beller, ohne zuviel über die zum Patent angemeldete Entwicklung zu verraten.

    Besonders praktisch an dem Design-Kat aus Rostock ist, dass es gleich den gesamten Olefin-Mix zu Aminen verarbeitet. "In unserem Verfahren reagieren besonders die unreaktiven Olefinkomponenten, die kostengünstig sind, weil sie in großen Mengen anfallen, aber normalerweise nicht direkt zu den Aminen umgesetzt werden können." Insgesamt spart die neue Methode zwei von drei Produktionsschritten komplett ein und senkt den Aufwand an Energie und Zeit drastisch. Weil Amine so wesentlich günstiger und überdies umweltfreundlicher gewonnen werden können, ist Beller und seinem Team weltweite Aufmerksamkeit gewiss. Daneben verfolgt auch die Fachwelt die Entwicklung gespannt, denn der neue Katalysator brachte ganz nebenbei auch neue Reaktionen hervor, die bislang noch nie beschrieben worden waren.

    [Quelle: Regine Rachow]