Donnerstag, 25. April 2024

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Vom Feudalismus in die Moderne
Die vielen Gesichter des Oman

Verschleierte Frauen, Wüste und Kamele: Wer mit diesem Bild im Kopf in den Oman reist, wird überrascht sein. Unter der 50-jährigen Herrschaft des Anfang 2020 verstorbenen Sultans Qabus ibn Said hat sich das Land im Osten der arabischen Halbinsel verändert. Doch auch die alten Zeiten sind noch sichtbar.

Von Eva Firzlaff | 09.02.2020
Die Sultan Qaboos Moschee in Maskat, Oman
Die Sultan Qaboos Moschee in Maskat, Oman (Sebastian Kahnert / dpa-Zentralbild / ZB)
"Das hört sich ja so ein bisschen nach Gespenstern an." – "Ja, man hört richtig wie die Wellen da unten gegen klatschen. Bis hierhin ist das schon unterhöhlt, also gute 20 Meter ist das Gestein ausgehöhlt, bricht dann auch wieder ab. Das verändert sich von Jahr zu Jahr."
Ganz im Süden an den Kalksteinklippen nagt die Brandung, wäscht Höhlen aus, bohrt Löcher in deren Decken. Die Wellen lassen Luft durch diese Löcher fauchen, Gischt spritzen und mitunter auch Wasser-Fontänen aufsteigen.
Der Oman bietet ganz verschiedene Welten. 1.700 Kilometer Küste, bis zu 3.000 Meter hohe Gebirge mit tiefen Schluchten, Wüste, Wüste und wieder Wüste. Wer vieles davon sehen will, ist mit dem Jeep unterwegs und muss sich auf lange Fahrten einstellen. In der Antike war die Region berühmt für ihren Weihrauch, der kam per Schiff und Karawane über die Weihrauchstraße nach Norden. Bis nach Alexandria und Rom.
Sonnenaufgang über den Felsen und dem Altstadtviertel Mutrah von Muscat im Golf von Oman
Sonnenaufgang über den Felsen und dem Altstadtviertel Mutrah von Muscat im Golf von Oman (picture-alliance/ ZB)
Ein Harz, das heilen kann
In einer trockenen Schlucht sehen wir knorrige Bäume. Jochen Meyer, unser Begleiter, ritzt mit einem Messer an der Rinde.
"Wenn man die jetzt anritzt, kommt die Milch raus, die weiße Milch, die man aber nicht als Duftharz benutzt."
Erst zwei Wochen später wird dann das eigentliche Harz geerntet.
"Das ist eben diese gute Qualität, dieser Baum, und den gibt es nur im Oman eigentlich, also mehr im Oman als im Jemen, wobei damals hat das ja zusammen gehört, dieses Arabia Felix. Und das ist ein uraltes Heilmittel, desinfiziert auch. Die Römer haben das schon zu ihren Zeremonien gebraucht, die Griechen. Das wurde wirklich mit Gold aufgewogen, deswegen war diese Gegend auch sagenhaft reich damals."
Der Souk: Zwischen traditionellem Markt und Tourismus-Magnet
In jedem Souk gibt es gleich mehrere Weihrauch-Lädchen, vor der Tür quiemt eine Probe vor sich hin, drinnen stapeln sich Schachteln und Tüten mit den kleinen Harz-Klumpen. Überhaupt der Souk. Getrennt in Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse, Gewürze und was man sonst noch braucht. Ein Fest der Farben und Gerüche. Fisch und Fleisch werden gleich küchenfertig zerhackt.
Ein besonderes Spektakel sind die Ziegenmärkte. In Bahla und Nizwa. Auf einem Platz drängen sich hauptsächlich Männer in ihren langen meist weißen Gewändern, ein Tuch kunstvoll um den Kopf geschlungen. Sie bilden ein kreisrundes Spalier, durch das die Besitzer ihr Zicklein auf dem Arm tragen oder die große Ziege am Strick ziehen
"Das ist eine Auktion, das heißt, die Ziegen werden hier in der Runde herum geführt. Und dann wird der Preis gesagt, den man haben möchte. Wer Interesse hat, der sagt 'komm her', dann befühlt er die Ziege und guckt und sagt 'nee, ich gebe dir aber nur den Preis'. Dann sagt der andere "nein" und geht weiter, so lange eben, bis man sich dann einig wird. Das sind einheimische Ziegen, die haben dieses lange Fell und sind sehr begehrt."

Nizwa ist die frühere Hauptstadt, eine große Oase geschützt im Landesinnern, hinter dem Hadjar-Gebirge. Etwa 400 Jahre alt ist die gewaltige Festung mitten in der Stadt, mit einem dicken hohen Turm. Rückzugsort für den Fall, dass ein Feind doch die äußeren Mauern überwindet.
"Da hatten sie dann sieben Türen, im Zickzack angelegt, das heißt, da konnte man auch keinen Rammbock ansetzen. Von dieser Plattform hier oben konnten sie runter schießen, oder eben diesen Dattelsirup runter gießen auf die Feinde. Was die Feinde auch nicht wussten, wenn sie die Tür aufbekommen haben, hinter der Tür war eine riesige Fallgrube."
Das Fort von Nizwa in Nizwa, Oman
Das Fort von Nizwa in Nizwa, Oman (Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/ZB)
Der Persische Golf, die Straße von Hormus und der Golf von Oman in einer Satellitenaufnahme (undatiert).
Der Persische Golf, die Straße von Hormus und der Golf von Oman in einer Satellitenaufnahme (undatiert). (picture alliance / dpa)
Alles andere als eine unwirkliche Landschaft
Schon beim Überflug von der Hauptstadt im Nordosten nach Salalah nahe der Süd-Grenze zum Jemen war der lange Gebirgsrücken zu sehen, der sich parallel zur Küste entlang zieht. Nun am Boden zeigt sich, dass die von oben öde wirkende Landschaft doch nicht ganz unwirtlich ist. Von der Küste ziehen sich Täler und Schluchten landeinwärts, Wadi genannt.
Wir wandern im Wadi Darbat, ein recht breites Tal. Ein paar Tümpel sind die Reste eines Sees. Kamele mampfen die Wasserpflanzen. Und mittags pünktlich um 12 ziehen lange Reihen Kühe, Ziegen, Kamele dicht an uns vorbei zu den Wasserstellen. Wo kommen die nur alle her? Ab und zu ruft ein Kamel. Begrüßt es die anderen? Oder sagt es, hier ist mein Platz?
Im Wadi Shab, einer engen Schlucht, sieht man den ausgewaschenen riesen-hohen Wänden die Kraft des Wassers an. Einst haben sich mächtige Sturzbäche in den Fels gefräst. Wind, Sand und Wasser haben die Felswände zerlöchert und Höhlen gegraben. Jetzt tanzen kleine Wasserfälle über Steine, in der Talsohle glitzert türkisblaues Wasser und lädt ein zum Baden.
Häuschen, Strom und Wasser kostenlos
Nachdem Jochen den Jeep eineinhalb Stunden bergauf gequält hat, auf einem steilen, steinigen Weg, hart am Abgrund, gucken wir von oben in die Schlucht, in der wir eben noch gebadet haben. Nur eine schroffe Steinwelt ist zu sehen. Auch hier oben gibt es ein paar Winzig-Dörfer. Wer in der kargen Gegend bleibt und nicht runter ans Meer zieht, bekommt Häuschen, Strom und Wasser kostenlos. Auch der ebenfalls kostenlose Schulbus fährt bis auf den allerletzten Berg.
Hier - im Nichts – gibt es kein Hotel. Also schlagen wir wieder mal die Zelte auf und kochen selbst das Abendessen. Am nächsten morgen Tumult. Eine Ziegenherde rangelt um Bananenschalen und Gemüseabfälle. Andermal tapst nachts ein Esel durch das kleine Zeltlager, stibitzt Melone und Brot. Und in der Wüste holen Kamele nach dem Abendessen die Gemüsereste und fressen sie mitsamt dem Pappkarton. Wer dorniges Gestrüpp frisst, der verträgt auch Pappe.
Weit oben in den Bergen dient uns der Rand eines gemauerten Wassergrabens als Wanderweg. In vielen Schluchten verwandeln solche Gräben steinige Hänge in fruchtbare Oasen. Immer nach dem gleichen Muster: Quellwasser wird in einem Hauptkanal zum Dorf geleitet, der verzweigt sich in viele kleine Kanäle, die die Terrassen an den Steilhängen bewässern.
"Der Faladj, ein uraltes Bewässerungssystem. Die Perser waren die ersten, die das erfunden haben. Faladj heißt auf Arabisch "verteilen". Und die Omanis haben das dann im Zuge der Islamisierung im siebten Jahrhundert nach Nordafrika gebracht. Dann haben es die Araber rüber gebracht nach Spanien, die Spanier wiederum nach Madeira. Levada nennt man es dort. Und letztendlich die Spanier und Portugiesen auch nach Südamerika. Dort findet man die gleiche Art von Bewässerungssystemen."
Der Grand Canyon des Oman
Die Terrassenfelder reichen mitunter einige hundert Meter tief in die Schlucht. Dort wachsen Dattelpalmen, Gras für die Tiere, Gemüse, Rosen, aus denen Rosenöl gewonnen wird. Noch vor einigen Jahren waren viele dieser Orte nur auf Eselspfaden zu erreichen. Wo keine Straße oder wenigstens Schotterserpentine gebaut werden konnte, hat man die Dörfer verlassen. Die sind nun Wanderziel, wie im Wadi Nakhar. Die 1.000 Meter tiefe Schlucht nennt man auch den Grand Canyon des Oman. Weit oben an der Wand klebt ein verlassenes Dorf, winzige Lehmhäuser versteckt unter einem überhängenden Felsen. Dorthin führt nur ein schmaler Weg dicht am Abgrund.
"Die stehen schon ewig. Das sind auch wieder solche Ortschaften, die versteckt in den letzten Wadis sind, aber sie hatten genug Wasser, dass sie autark waren. Die gehen auf die Perser-Zeit zurück, also vor dem Islam."
Es war nicht nur das Verkehrsproblem. Auch unten in den Ebenen führten die primitiven Wohnverhältnisse dazu, dass Jahrhunderte alte Siedlungen aufgegeben wurden und daneben moderne entstanden. So steht zum Beispiel das alte Al Hamra leer, verwinkelte Gassen mit verfallenden Lehmhäusern. Ein Haus aber lädt ein zum Besuch.
"Hier zum Beispiel hat man die Datteln gelagert, hier ist so ein Sack aus Ziegenleder, ein Wassersack. Die Matte, die geflochtene aus Palmenzweigen, zum Essen hat man darauf gesessen. Das war ein ganz normales Wohnhaus, aber schon ein besseres, direkt beim Wasserkanal, beim Faladj."
Die Familie wohnt nicht mehr hier, hat jedoch ihr altes Haus wieder hergerichtet und zeigt traditionelles Leben. Der Enkel schenkt aromatischen Kaffee ein, Oma streicht flüssigen Teig auf eine heiße Platte, das wird omanisches Brot.
"Das kannst Du auch probieren. Das ist typisch, das ist so dünn wie Papier. Das wird mit der Hand aufgetragen, das zerbricht Dir in der Hand, das ist das originale omanische Brot, was man eigentlich nirgendwo mehr bekommt."
Knusprig ist es und eben hauchdünn.
Übernachten unterm Sternenhimmel
Weit sind die Wege. Zwischen Bergen und Wüste übernachten wir in einer grauen weiten Ebene. Harter Sand und viele Steine, in jeder Richtung, sonst nichts. In der Dunkelheit blinken ein paar Lichter am Horizont. Wir sind doch nicht ganz alleine.
Dann die Rub al Khali. Das leere Viertel. Der Oman hat an der Grenze zu Saudi Arabien nur einen kleinen Teil dieser riesigen Sandwüste, doch schon der ist gewaltig. Sand, Sand, nichts als Sand. Tagelang.
"Ich hab noch nie so viel Sand gesehen, wie in dieser Wüste. Dabei war ich doch schon in vielen unterwegs. Es ist unglaublich, wir fahren fast nur auf Sand."
Mal gibt es im Tal eine festgefahrene Fahrspur im Sand, doch meist treibt Jochen den Jeep die Dünenhänge hoch und runter, fährt sich auch mal fest im tiefen Sand. Dann hilft Al Azar mit dem zweiten Auto.
"Navigationsmittel wie GPS sind letztendlich auch nur Hilfsmittel, denn was nutzt es mir, wenn ich weiß, wie ich von A nach B komme, aber nicht weiß, wie ich über die Düne drüber komme. Und das kann man – denke ich – nicht so einfach von heute auf morgen lernen. Das ist einfach dann das Auge: aha die Düne, wie kann ich sie anfahren, wo könnte der Durchgang sein."
Wolken über der Wüste Wahiba im Oman
Nur vier Millionen Menschen leben im Oman, die meisten davon in der Nähe des Meeres (imago / Wolfgang Zwanzger)
Statussymbol Kamel
Die bis zu 150 Meter hohen Sanddünen sind am Tag sandgelb und ocker, leuchten rot in der Abendsonne. Elegant geschwungene, immer neue schönste Fotomotive. Der Sand ist noch feiner als am Ostseestrand. Tief sinken die Füße ein beim Laufen.
Und auch hier treffen wir auf Kamele, die laufen frei, gehören aber jemandem.
"Für ein normales Kamel muss man schon 1.000 Rial rechnen, also 2.000 Euro. Also kein Rennkamel, einfach nur ein Kamel, das Milch gibt, die Stute. Fleisch macht man eben auch, aber wirklich nur zu besonderen Anlässen. Man liebt die Kamele auch sehr. Man kann es eigentlich gar nicht erklären, denn brauchen tun sie die gar nicht mehr. Es ist also reines Statussymbol."

Abends in der Wüste läuft Sternenkino, so viele Sterne…. Die Mondsichel hängt waagerecht am Himmel. Der große Wagen steht auf der Deichsel, kippt über Nacht auf seine Oberseite. Und die Milchstraße verdient hier wirklich ihren Namen.
Blick auf die Altstadt der osmanischen Hauptstadt Maskat mit dem Sultanspalast Al Alam (Mitte), aufgenommen 2001.
Blick auf die Altstadt der osmanischen Hauptstadt Maskat mit dem Sultanspalast Al Alam (Mitte), aufgenommen 2001. (picture alliance / dpa / Angela Merker)
Zwischen Tradition und Kreuzfahrt-Tourismus
Nach Sandwüste, Bergen und Schluchten ist die Hauptstadt Muscat eine völlig andere Welt. Nein, keine Wolkenkratzer und Einkaufstempel, trotzdem eine moderne Stadt, mit Stadtautobahn, einem blitzenden Bankenviertel, Hotels am Strand, Sultanspalast und Prachtstraße.
"2010, das war der 40. Nationalfeiertag, da ist die Queen zu Besuch gekommen. Da wurde eine riesige Parade veranstaltet mit Omanis, die auf weißen Kamelen sitzen, auf den schönsten Araberpferden und Dudelsack spielen. Da hat die Queen mit Sicherheit mit den Ohren geschlackert."
Die Stadt zieht sich an der Küste entlang, in mehreren Buchten, die durch schroffe Felsen getrennt sind. Orientalisches Flair bietet nur noch der Souk im Stadtteil Muttrah, allerdings legen dort die Kreuzfahrer an, entsprechend touristisch ist der Markt. Doch auch die Einheimischen kommen zum Einkauf. Vorneweg der Vater mit Baby auf dem Arm, hinter ihm eine oder zwei Frauen, selten verschleiert, meist aber in langer schwarzer Abbaja, ein buntes Tuch um den Kopf. Der 28-jährige Al Azar erzählt, dass sein Vater mit vier Frauen verheiratet war, gleichzeitig. Das wäre auch jetzt noch ganz legal, will er aber nicht.
"Nein, ich nicht. Es ist alles so teuer geworden. Die Familie der Braut bekommt eine Menge Geld, die Hochzeit kostet. Und ganz wichtig, man muss seine Frauen alle gleich behandeln, auf dem Markt für jede das gleiche kaufen."
Mittlerweile gibt es in den Universitäten eine Männer-Quote, weil so viele Frauen studieren. Frauen in moderner Kleidung sind auch nichts Besonderes. Und von Reisenden wird nur erwartet, dass sie nicht gerade schulterfrei und im kurzen Rock daher kommen. Nur in der Moschee sind lange Ärmel Pflicht und ein Tuch um den Kopf. Der Oman ist sozusagen vom Feudalismus in die moderne gesprungen.