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Vom Fossil zum Genom

Biologie.- Die Paläogenetik beschäftigt sich mit der Genetik nicht mehr existierender Organismen. Mithilfe immer feiner werdenden Methoden lassen sich aber auch Fragen beantworten, die sich rein über die Archäologie nicht klären lassen - etwa die zu den Wanderungsbewegungen menschlicher Populationen.

Von Michael Stang | 25.06.2012
    In ihren Anfängen wurde die Paläogenetik vielerorts belächelt. Man könne nur das Geschlecht von Eiszeitjägern oder Pharaonenköniginnen bestimmen, war einer der typischen Sprüche. Bis vor einem Jahrzehnt waren die Methoden auch noch recht limitiert: die Paläogenetiker brauchten viel Knochenmaterial, lieferten im Gegenzug aber nur spärliche Ergebnisse. Denn untersucht wurde anfangs nur die ringförmige, mitochondriale DNA, die von der Mutter auf die Kinder vererbt wird. Damit ließ sich aber nur ein kleiner Teil der genetischen Informationen untersuchen, die in einem Organismus vorhanden sind. Von Zellkern-DNA, in der das ganze Erbgut gespeichert ist, war die Forschung noch weit entfernt. Doch dies hat sich in den vergangen Jahren geändert, sagt der britische Genetiker Robin Alaby von der University of Warwick in Coventry auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Molekulare Biologie und Evolution (SMBE) in Dublin.

    "Die ganzen Techniken überschlagen sich geradezu, da sie immer schneller immer bessere Daten liefern. Wir sprechen mittlerweile schon von ganzen Daten-Generationen. Wir warten jetzt dringend auf neue Computertechnologien, die diese Daten zu handhaben in der Lage sind, damit wir auch ganze Genome analysieren und vergleichen können."

    Dank Technologien wie der Hochdurchsatz-Sequenzierung, der so genannten NextGeneration-Methode, konnten ganze Genome von Mammut, eines Inuit, des Neandertalers, der Gletschermumie Ötzi und eines Aborigines sequenziert werden. Robin Alaby:

    "Wir profitieren natürlich alle von diesen technischen Neuerungen und die nächste neue Technik steht schon wieder vor der Tür. Die nächste Generation wird das Sequenzieren einzelner Moleküle sein. Bald werden wir auch mit Nanoporentechnologien arbeiten. Das sind alles grundverschiedene Techniken, die enorme Datenmengen produzieren. Dabei haben alle nur geringe Fehlerraten und das alles auf Basis einzelner Moleküle."

    Mit zunehmenden Datenmengen und neuen Analysetechniken trage die Paläogenetik mehr und mehr eine große Verantwortung und müsse viele Regeln beachten – und damit sind nicht nur wissenschaftliche Laborprotokolle gemeint, warnt der dänische Molekularbiologe Eske Willerslev. Denn die Ergebnisse betreffen nicht nur ausgestorbene Organismen, sondern auch heute lebende Menschen, deren Vorfahren untersucht werden.

    Bei der genetischen Analyse bestimmter Ethnien werden automatisch auch Bereiche wie Religion, Kultur und Politik tangiert. Willerslev verdeutlicht dies an einem Beispiel. Im vergangen Jahr hatte der Paläogenetiker zusammen mit seinen Kollegen von der Universität von Kopenhagen aus einer 100 Jahre alten Haarlocke das Erbgut eines australischen Aborigines entziffert. Die Haarlocke stammt aus dem Besitz des britischen Zoologen Alfred Haddon (1855-1940), der sie dem Museum der Universität Cambridge vermacht hatte. Auf seinen Reisen durch Asien und Australien hatte er an einem Bahnhof im Südwesten Australiens Halt gemacht. Dort traf er einen jungen, männlichen Aborigines, den er um eine Haarprobe bat und diese auch bekam. Ein Dokument des Museums belegt diese Begebenheit.

    "Das wichtige Ergebnis war, dass es überhaupt möglich war, das Genom eines australischen Ureinwohners zu bekommen, die keinerlei moderne Vermischung mit Asiaten oder Europäern aufwies."

    Die Daten verrieten aber noch mehr: Sie zeigen, dass die Vorfahren der australischen Ureinwohner entgegen der bisherigen Lehrmeinung direkte Nachfahren von Menschen sind, die als erste den afrikanischen Kontinent verließen, um die Welt zu erobern. Demnach waren die ersten Australier rund 50.000 Jahre allein, bevor in einer zweiten Einwanderungswelle erneut Menschen nach Australien kamen. Alle Asiaten und Europäer stammen von den Vertretern der zweiten Auswanderung Afrikas ab, die erst vor rund 40.000 Jahren begann. So weit zu den wissenschaftlichen Ergebnissen. Der Ansatz, die genetische Vergangenheit der Australier herauszufinden, ist jedoch nicht neu, nur seine Art und Weise. In den vergangenen 30 Jahren gab es immer wieder Projekte, bei denen Forscher dies ebenso klären wollten, meist jedoch mit geringem Erfolg.

    "Die Aborigines sind sehr sensibel, was genetische Untersuchungen angeht, dazu haben sie viel zu viele schlechte Erfahrungen auch noch in der jungen Vergangenheit gemacht. Deshalb bin ich allein nach Australien gefahren, um mir die Erlaubnis zu holen, die Haarlocke zu analysieren und die Daten zu veröffentlichen. Viele Kollegen hatten mir von der Reise abgeraten, da ich diese Genehmigung nie kriegen würde. Es kam aber ganz anders. Sie mochten die Geschichte, unsere Arbeit und dann passten die Ergebnisse auch noch mit ihrer eigenen Weltauffassung."

    Obwohl die alte Haarlocke vor mehr als 100 Jahren freiwillig abgegeben wurde und sich rechtmäßig im Besitz des Museums befand, fuhr Eske Willerslev erst nach Australien, um mit den Aborigines zu sprechen. Dieser persönliche Einsatz, die Transparenz seiner Forschung und das Respektieren der Geschichte hätten diese Forschung erst möglich gemacht. Im September werden zwei der australischen Stammesvertreter nach Kopenhagen kommen und sich die Labors und die aktuellen Ergebnisse ansehen. Weitere Probenentnahmen sind geplant, um ein möglichst vollständiges Bild der ersten Australier zu bekommen. Letztendlich habe er die Erlaubnis aber auch bekommen, weil er nicht gleich mit Verträgen in die australische Einöde kam, die die Aborigines nur noch unterzeichnen sollten. Und ein Faktor, gibt Eske Willerslev zu, war aber auch noch entscheidend, seine Herkunft.

    "Dänemark war keine aggressive Kolonialmacht. Ein Australier, ein Brite oder ein Deutscher hätte die Erlaubnis aufgrund der Vergangenheit seines Landes nicht bekommen. Ich aber werde als Däne als Minderheit angesehen und bin damit so etwas wir ein Schicksalspartner. Ich habe auf Augenhöhe mit den Australischen Ureinwohnern dieses Projekt begonnen, dessen Grundlage gegenseitiges Vertrauen ist."