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Vom französischen Protektorat zum zehnten Bundesland

Vor 50 Jahren wurde das Saarland Teil der Bundesrepublik. Vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen mit Frankreich, das die kohlereiche Saar gerne annektiert oder unter französischem Protektorat behalten hätte. Aber die meisten Saarländer wollten keine Franzosen werden.

Von Peter Hölzle | 01.01.2007
    "Wir sind wieder daheim im Vaterlande."

    Die Feststellung trifft am 1. Januar 1957 der damalige saarländische Ministerpräsident Hubert Ney. Er trifft sie aus feierlichem Anlass beim Staatsakt im Stadttheater Saarbrücken in Anwesenheit von viel politischer Prominenz aus der Bundeshauptstadt Bonn und benachbarten Bundesländern. Seit diesem Tag gehört das Saarland wieder zu Deutschland, genauer gesagt: zur Bundesrepublik Deutschland, weshalb denn auch der Bundeskanzler höchstselbst angereist ist. Konrad Adenauer bekräftigt in seiner von Beethoven-Klängen umrahmten Festansprache:

    "Der heutige Tag ist wahrhaft ein Tag großer und reiner Freude für alle Deutschen. Er ist es vor allem für die Deutschen an der Saar, die nunmehr in voller Freiheit zu Deutschland zurückkehren nach elf Jahren der Bedrängnis und der Not."

    In der Tat war das erste Nachkriegsjahrzehnt für die Saarbevölkerung kein Zuckerschlecken. Dem französischen Zoll- und Währungsgebiet angeschlossen, stellte das kohlereiche Saarland ein französisches Protektorat dar, hauptsächlich dazu bestimmt, das kohlearme Frankreich mit dem begehrten "schwarzen Gold" zu beliefern. Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg hätte sich Frankreich auch nach dem zweiten die Saar gerne einverleibt, stieß mit dieser Vorstellung aber bei einem Teil der anderen Siegermächte auf Ablehnung. Daraufhin strebte die Pariser Politik einen an Frankreich angelehnten unter Oberaufsicht der Westeuropäischen Union stehenden selbstständigen Saarstaat an.

    Im Bemühen mit dem früheren Erzfeind Frankreich zu einer Aussöhnung zu gelangen, ließ sich Kanzler Adenauer auf das französische Projekt ein. Mit Ministerpräsident Mendès-France handelte er 1954 ein entsprechendes Saarstatut aus, das den wirtschaftlichen Anschluss der Saar an Frankreich bestätigte, ihre Außenpolitik und Verteidigung aber in die Hände eines von der Westeuropäischen Union eingesetzten Kommissars legte. Die Saarländer indessen pfiffen auf Selbstständigkeit im europäischen Rahmen. In einer Volksabstimmung sprachen sie sich mit Zweidrittel-Mehrheit dagegen aus. Sie hatten einen ganz anderen Wunsch: die Wiedervereinigung mit Deutschland.

    Die hingegen stieß bei französischen Politikern zunächst noch auf Ablehnung. Kanzler Adenauer erinnert daran in seiner Saarbrücker Rede am Neujahrstag 1957:

    "Es war gewiss nicht leicht für Frankreich, zu verzichten, denn der Krieg hatte auch ihm grausame Wunden geschlagen. Es bedurfte der Geduld und des Abwartens, um in Frankreich jene Atmosphäre des Vertrauens zu dem neuen Deutschland entstehen zu lassen, in der allein Ausgleich, Verständigung, Nachbarschaft und Freundschaft sich entwickeln kann."

    Nach der Abstimmung vom 23. Oktober 1955, mit der die Saarländer der französischen Idee einer europäisierten Saar die kalte Schulter gezeigt hatten, sollte noch einmal ein Jahr vergehen, bis sich Frankreich bereit fand, der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik zuzustimmen. Erst der Luxemburger Vertrag beseitigte den letzten und größten Stolperstein auf dem Weg zur Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, weshalb Konrad Adenauer beim Festakt befriedigt festhielt:

    "Diese Lösung der Saarfrage ist in Wahrheit eine Tatsache von größter historischer Bedeutung, denn nun ist die Bahn frei für ein echtes und starkes Zusammengehen dieser beiden Völker, für eine enge gemeinsame Arbeit beim Zusammenschluss Europas."

    Im Hinblick auf Frankreich und Europa sollte der deutsche Kanzler recht behalten. Schon wenige Monate nach der Rückkehr der Saar zur Bundesrepublik wurde in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, und sechs Jahre später besiegelte der Elyséevertrag die deutsch-französische Aussöhnung. Freilich hatte die Integration des Saarlandes ins westdeutsche Staatsgebiet auch ihren Preis. Noch 25 Jahre durfte Frankreich das Saarland als Kohlegrube nutzen.