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Vom Glück, clean zu sein

Als Gitarrist von Guns N´Roses hat Saul Hudson alias Slash nicht nur Rock´n´Roll gespielt, sondern vor allem gelebt – und zwar konsequent bis zum zweiminütigen, klinischen Tod. Umso überraschender, dass der Mann mit dem berühmten Zylinder heute nichts mehr von wilden Alkohol- und Drogenexzessen wissen will.

Slash im Gespräch mit Marcel Anders | 22.05.2012
    Zur Veröffentlichung seines zweiten Solo-Albums "Apocalyptic Love" präsentiert sich der 46-Jährige vielmehr als ehrgeiziger Musiker, sorgender Familienvater und visionärer Filmproduzent. Marcel Anders hat ihn in Köln getroffen.

    Marcel Anders: Slash, Ihr zweites Werk binnen zwei Jahren. Wie kommt es, dass Sie momentan so produktiv sind?

    Slash: Ich habe einfach kontinuierlich gearbeitet, Mann. Und zwar seit ich mit dem letzten Solo-Album angefangen habe und mein eigenes Ding mache. Ganz abgesehen davon entspricht es meiner Persönlichkeit, schnell und vor allem viel zu arbeiten. Und da ich derjenige bin, der dieses Schiff steuert, ist das Ganze auch genau so, wie ich es mir vorstelle – es ist einfach bam, bam, bam.

    Anders: Wobei Sie mit Myles Kennedy einen neuen Sänger und Texter an ihrer Seite haben. Was qualifiziert ihn für den Job?

    Slash: Das Tolle an dieser Konstellation ist, dass ich genau so schreiben und spielen kann, wie es mir gefällt - und dann einfach abwarte, was er daraus macht. Bis jetzt hat er mich noch nicht enttäuscht. Er wartet immer mit irgendwelchen tollen Melodien auf. Und deshalb funktioniert es.

    Mit ihm zu arbeiten, ist ein sehr simpler, lockerer, entspannter Prozess. Etwas, das ich wirklich genieße. Und wir haben ein Album gemacht, auf das ich sehr, sehr stolz bin. Meinetwegen kann es ruhig so weitergehen.

    Anders: Einige von Myles' Texten könnten auch aus Ihrer Feder stammen. Zum Beispiel "Not For Me" – ein Stück über die bittere Erkenntnis, das wilde Exzesse nicht wirklich gesund sind …
    Slash: Angeblich beruht der Song auf einem Gespräch, das wir mal hatten. Ich meine, ich kann mich nicht daran erinnern, wann und wo das gewesen ist, und er hat mir das auch erst später erzählt.

    Anders: "The cocaine lies, the whiskey lies – I don´t need you no more". Das ist doch ziemlich autobiografisch, wenn nicht therapeutisch?

    Slash: Definitiv. Und es ist verdammt cool. Nämlich der erste Song, bei dem es im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen mal um etwas anderes geht. Nämlich um das komplette Gegenteil von dem, was man sonst so hört. Für gewöhnlich dreht es sich doch immer darum, wie viel man rauchen, trinken und feiern kann – das Übliche. Doch das hier ist das exakte Gegenteil. Es ist wie der Morgen danach, wenn du denkst: "So kann es nicht weitergehen." Was ein interessanter Ansatz ist.

    Anders: Wenn man mit Ihnen unterwegs ist: Erzählen Sie dann viele Geschichten aus ihrem Leben?

    Slash: Für gewöhnlich rede ich nicht viel. Das tue ich nur, wenn ich Interviews gebe, also wenn ich muss. Ansonsten bin ich sehr ruhig, lese viel und spiele Gitarre. Ich rede definitiv nicht viel.

    Anders: Gilt das auch im Bezug auf Ihre Kinder? Wissen die, wer ihr Vater ist? Haben sie ihr Buch gelesen?

    Slash: Sie sind sieben und neun. Die tun alles – außer mein Buch zu lesen. Und die Chancen, dass sie das auch die nächsten Jahre nicht tun, stehen gut. Denn seien wir ehrlich: Die meisten Kids interessiert es kein bisschen, was ihr Vater macht.

    Anders: Im Juni gehen Sie auf Tour mit Mötley Crüe, was in der Vergangenheit eine geradezu tödliche Kombination war - für alle Beteiligten …

    Slash: Das ist richtig. Aber wir haben es trotzdem öfter versucht. Etwa als Guns N'Roses 1988 Vorgruppe auf der "Girls Girls Girls"-Tour waren. Das war extrem dekadent. Ich meine, ich habe ihre Biografie "The Dirt" nie gelesen - weil ich auch so weiß, was darin steht.

    Aber ich mag die Jungs. Und da sie in Deutschland spielen wollten und wir auch, hielt ich das für eine coole Kombination.

    Anders: Mal ehrlich: Wie viel Rock'n'Roll ist da noch im Spiel? Sind das nicht alles reife, gesundheitsbewusste Herren, die den guten alten Zeiten nachtrauern?

    Slash: Ganz so schlimm ist es nicht. Und das wäre das Letzte, was ich wollte. Also nur rumhängen und über Gesundheitskram reden. Oder über Mode und irgendeinen anderen Mist. Schließlich spielen wir Rock´n´Roll und sollten das auch leben – zumindest ein bisschen.

    Ich selbst beteilige mich aber nicht mehr an irgendwelchen Exzessen, sondern nutze meine Zeit, um zu arbeiten oder einfach abzuschalten. Und im Gegensatz zu früher bin ich dabei auch nicht mehr sturzbetrunken. Ansonsten hat mein Lifestyle aber immer noch etwas von einem Zirkus. Und die Mötley-Jungs haben sich auch nicht verändert. Tommy ist ganz der Alte – nur dass er nicht ständig dicht ist.

    Anders: Was ist mit Groupies?

    Slash: Die gibt es immer noch. Sie haben nur nicht mehr so viel Zugang wie früher.

    Anders: Weil wir im Zeitalter des Internets und der teuren Scheidungen leben?

    Slash: Mmmhhh…

    Anders: Wie sieht Ihr aktuelles Live-Set aus? Wie viel Material von Guns N´Roses, wie viel von Ihren übrigen Bands und Ihren Solo-Alben greifen sie da auf?

    Slash: Im Grunde ist es dasselbe, was ich immer mache. Nur, dass diesmal ein bisschen mehr neues Material am Start ist. Und auf der Mötley-Tour sind wir ja nur Opener. Was heißt, wir spielen vielleicht 45 Minuten. Darunter werden sich dann ein paar Songs von Guns N´Roses, von Velvet Revolver und von Snakepit befinden.

    Aber der Großteil sind neue Sachen. Und wenn wir unsere eigenen Shows spielen, die zwei Stunden dauern, wird da noch mehr neues Material sein. Einfach weil es wirklich gut klingt.

    Und um auf die Frage von gerade zurückzukommen, also bezüglich des Rock´n´Roll-Lifestyles: Ich habe erst vor ein paar Tagen in einem Hotelzimmer gesessen und über den ganzen Kram nachgedacht, den ich so am Laufen habe. Da ist mir bewusst geworden, dass ich das früher alles gar nicht auf die Reihe bekommen hätte.

    Anders: Also macht es einen Unterschied, trocken und clean zu sein?

    Slash: Und wie! Ich hätte so viele tolle Sachen verpasst. Ich meine, ich habe erst kürzlich mit B.B. King gejamt. Und das hätte ich früher genauso verpennt wie eine Menge andere Dinge, die ich in den letzten zwei Jahren gemacht habe. Sprich: Wäre ich immer noch auf Drogen, wäre ich nie so glücklich, wie ich es heute bin. Ich meine, ich habe 2006 aufgehört, aber es hat zwei Jahre gedauert, um mich wirklich daran zu gewöhnen.

    Anders: Wie empfanden Sie die Einführung von Guns N´Roses in die Rock´n´Roll Hall Of Fame, die ja ohne Sänger Axl Rose stattfand?
    Slash: Es war toll! Richtig Klasse! Wir hatten eine großartige Zeit. Nur: Eigentlich möchte ich nicht drüber reden, und auch nicht zu sehr ins Detail gehen. Das Ganze war von zu viel Drama überschattet – obwohl es ja eine Ehre sein sollte.

    Und deswegen wollte ich da erst gar nicht hin. Aber dann haben sich alle dafür entschieden – und ER dagegen. Wir haben gespielt, und es war ein Riesenspaß. Wir konnten den Fans endlich zeigen, wie sehr wir ihre Unterstützung schätzen, die sie uns so lange gegeben haben. Darum ging es bei der Aktion.

    Anders: Wie sind Sie mit dem Theater im Vorfeld umgegangen? Mit den Spekulationen über eine Guns N´Roses-Reunion und ein neues Album?

    Slash: Das ging die ganze Zeit seit Ankündigung unserer Nominierung so. Es war wirklich unerträglich. Denn es ist ja nicht so, als wäre die Band noch zusammen - und wir würden da einfach kurz auftreten. Sondern es musste kompliziert werden, weil die Fronten so verhärtet sind. Deshalb ist mir das monatelang auf die Nerven gegangen. Doch jetzt ist es vorbei. Und damit ist das Kapitel Guns N´Roses ein für alle Mal beendet.

    Anders: Dafür haben Sie ihre eigene Produktionsgesellschaft gegründet. Nämlich "Slasher Films", die sich auf Horrorfilme spezialisiert. Was hat Sie zu diesem Schritt bewegt? Sind Sie ein solcher Fan dieses Metiers?

    Slash: Ja, wobei das etwas ist, was mir von einem Produzenten vorgeschlagen wurde, der nun mein Partner ist. Er meinte: "Du solltest das versuchen." Einfach, weil ich mich in dem Metier auskenne und da eine große Leidenschaft hege. Nur: Ich hatte nie vor, selbst Produzent, Regisseur oder was auch immer zu werden. Aber er meinte: "Ich besorge dir ein gutes Skript." Was ich erst nicht ernst genommen habe.

    Doch dann hat er ein paar Skripte verfasst, bei denen ich einfach sagen musste: "Oh mein Gott, die sind großartig." Bevor ich mich versah, habe ich das Casting geleitet und das Drehbuch bearbeitet. Ich war also ein Produzent, und der Film wird gerade in Louisiana vorbereitet. Der Regisseur, der ihn betreut, hat bei der Gelegenheit gleich noch mein neues Video abgedreht. Es läuft also prima.

    Anders: Und der erste Film heißt "Nothing To Fear"?

    Slash: Ganz genau. Die Dreharbeiten starten Ende Mai, und im nächsten Sommer – also in einem Jahr – soll er in die Kinos kommen. Wir investieren eine Menge Energie, um das alles hinzukriegen. Denn wenn der erste Film gut ankommt, können wir demnächst zwei pro Jahr drehen.
    Wobei der wichtigste Grund, warum ich das mache, darin besteht, dass ich dem Horrorfilm wieder ein bisschen Klasse verleihen möchte. Also mit mehr Schwerpunkt auf den Charakteren und der Geschichte. Es sollen richtige psychologische Thriller werden – statt einfach nur Blut und Gemetzel. Denn dazu ist das Horrorgenre verkommen.

    Es gibt nur noch wenige gute Filme – während in den 60ern und 70ern großartige Sachen erschienen sind. Selbst in den 80ern war das noch der Fall. Und dahin möchte ich zurück. Oder anders formuliert: Ich wäre gerne dafür verantwortlich, ein paar wirklich gut geschriebene und inszenierte Filme zu machen.

    Anders: Das klingt nach einer ernsthaften zweiten Karriere?

    Slash: Vom kreativen Standpunkt ist es definitiv sehr erfüllend. Einfach, weil es weniger mit Musik zu tun hat – auch, wenn ich mich um den Soundtrack kümmere. Aber eine Sache, die ich mehr liebe als alles andere – quasi die beste Situation, die es in der Unterhaltungsbranche gibt – ist, wenn du gute Bilder mit guter Musik kombinieren kannst. Für mich ist das die ultimative Erfahrung, was Entertainment betrifft.

    Anders: Slash, vielen Dank für das Gespräch.

    Slash: Cool!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.