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Vom IRA-Anhängsel zur modernen Partei

Die IRA hat den bewaffneten Kampf für beendet erklärt und sich entwaffnet - ein historischer Schritt für den Frieden in Nordirland. Wichtige Kraft in diesem Prozess ist die Partei Sinn Fein, der politische Arm der IRA. In frühen Jahren distanzierte sie sich von Gewalt als Mittel im Kampf um Unabhängigkeit von Großbritannien. Paradox: Sinn Fein verzeichnete erst nach blutigen Unruhen größeren Zulauf.

Von Georg Gruber | 28.11.2005
    Irland ist einen weiten Weg gegangen seit den Forderungen nach mehr Bürgerrechten in den 60er Jahren, sagt Gerry Adams, der Sinn-Fein-Vorsitzende, in einem Wahlspot vom Mai 2005. Auch Sinn Fein, die älteste irische Partei, ist in den letzten Jahrzehnten einen weiten Weg gegangen, vom Sprachrohr der IRA zu einer eigenständigen politischen Kraft, die für eine friedliche Lösung des Nordirlandkonfliktes eintritt.

    Als Gründungstag gilt der 28. November 1905. Arthur Griffith, Journalist und Autor, verkündete auf einer Versammlung in Dublin die Leitlinien einer unabhängigen irischen Politik unter der Überschrift "Sinn Fein" - "wir für uns":

    "Ziel unserer Politik ist es, - in einem Wort - unserem Volk Selbstvertrauen zu geben und in Irlands Hauptstadt eine nationale Gesetzgebung einzurichten, ausgestattet mit der moralischen Autorität der Irischen Nation."

    Griffith war durch ein Buch mit dem Titel "Das Wiedererwachen Ungarns" bekannt geworden: Ungarn gewann seine Unabhängigkeit, weil es sich weigerte, Abgeordnete ins Parlament nach Wien zu entsenden.

    Ein Akt - vorbildhaft auch für die irischen Parteien, die keine Abgeordneten ins Unterhaus entsenden sollten, um so den politischen Institutionen Großbritanniens die Legitimation zu entziehen. Gewalt lehnte Griffith ab - dennoch unterhielt Sinn Fein in frühen Jahren schon Kontakte zur Irish Republican Brotherhood, dem Vorläufer der IRA.

    Größeren Zulauf erhielt die Sinn Fein erst nach dem Osteraufstand 1916, der anfangs auf wenig Widerhall bei der irischen Bevölkerung gestoßen war. Erst durch die Glorifizierung der Opfer entwickelte er sich zu einem wichtigen Bezugspunkt der Unabhängigkeitsbewegung. "Sinn Feinism" wurde zum Synonym für einen militanten irischen Nationalismus - obwohl Arthur Griffith mit dem Aufstand nichts zu tun hatte.

    Bei den ersten Wahlen nach dem Ersten Weltkrieg gewann Sinn Fein schließlich 73 der 105 irischen Wahlkreise, dreiviertel der irischen Unterhaussitze in London. Aber: Die Abgeordneten nahmen - dem Grundprinzip der Partei folgend - ihre Mandate nicht an, sondern bildeten ein eigenes irisches Parlament, das 1919 in Dublin zusammentrat und Irland für unabhängig erklärte. Ein revolutionärer Akt, der von britischer Seite nicht akzeptiert wurde.

    Die Teilung Irlands 1921 führte zum Niedergang Sinn Feins. Die einstige Sammlungsbewegung des irischen Nationalismus wurde, nach mehreren Abspaltungen, für lange Zeit zur marginalen Kleinstpartei, in der sich diejenigen zusammenfanden, die die Teilung nicht akzeptierten - und weiter kämpfen wollten gegen protestantische Milizen und britisches Militär. Der Politikwissenschaftler Thomas Noetzel:

    "So sah sich Sinn Fein in einer doppelten Konfliktorientierung stehend gegen den für illegitim gehaltenen Staat im Süden und gegen die britische Herrschaft im Norden."

    Erst in den 80er Jahren, unter der Führung von Gerry Adams, wandelte sich die Partei und brach auch mit dem ehernen Prinzip, Mandate nicht anzunehmen. Adams, der lange Gewalt rechtfertigte, begann sich für eine friedliche Lösung des Nordirlandkonflikts einzusetzen.

    Im September 2005 bestätigte eine Internationale Kommission die Entwaffnung der IRA, ein Schritt, der auch auf den Einfluss Gerry Adams zurückgeführt wird. Der irische Autor Brian Feeney schreibt in einem Buch über Sinn Fein:

    "Gerry Adams hat es geschafft, Sinn Fein umzuwandeln, von einem Anhängsel der IRA in eine moderne politische Partei, für die die Verbindungen zur IRA nun ein Handicap sind."

    Viele Protestanten misstrauen dem ehemaligen "Staatsfeind Nummer eins" allerdings bis heute, auch wenn er inzwischen Gewaltfreiheit propagiert – ganz so wie vor hundert Jahren Arthur Griffith, der Gründer von Sinn Fein.