Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Vom Jungen zum Mann

In den USA wurde sein Buch "Tender Bar" ein Bestseller, und auch hierzulande finden die Erinnerungen des 1964 in New York geborenen J. R. Moehringer viele Leser. Man folgt ihm gerne auf seinem steinigen Weg ins Erwachsenenleben.

Von Johannes Kaiser | 28.05.2007
    "Den größten Teil der Zeit, in der ich über die Bar und über meine Mutter schrieb, konnte ich das Erfundene nicht so interessant gestalten wie die Wahrheit. Meine fiktive Bar war nicht annähernd so aufregend wie die wirkliche Bar und meine fiktive Mutter längst nicht so großartig oder mutig oder inspirierend wie meine wirkliche Mutter. Als ich mich dann dafür entschied, bei der Wahrheit zu bleiben, war die Herausforderung, es richtig zu machen. Die Arbeit eines Reporters, eines Journalisten ist schwer. Je mehr man sich darum bemüht, alles richtig zu machen, je besessener man davon ist, desto mehr Arbeit gibt es zu erledigen. In diesem Buch gibt es eine Menge Menschen, also gab es eine Menge Interviews zu führen und Details zusammenzufügen. Ich wollte ein Gefühl für die Schauplätze erwecken, so als ob man in die Bar tritt und dort plötzlich all diese wunderbaren Menschen trifft, all diese Geschichten hört und diese witzigen Sprüche. Diese Erfahrung wollte ich wieder erschaffen."

    Das ist dem 43-jährigen Reporter der "Los Angeles Times", J. R. Moehringer, in seiner autobiografischen Erinnerung "Tender Bar" bestens gelungen. Man sieht sie tatsächlich vor sich: die warme Barhöhle in dem kleinen Ort Manhasset auf Long Island vor den Toren New Yorks, ein dunkler, schmaler Raum mit zahlreichen Barhockern vor einer langen Backsteintheke mit einer massiven goldgelben Eichenholzplatte, auf der silberne Registrierkassen glänzen, einem von unzähligen Schuhen glattgewienerten Parkettfußboden, einer Telefonkabine in einer Ecke:

    "Die Luft hatte die Farbe von Bier, roch nach Bier und jeder Atemzug schmeckte nach Bier - malzhaltig, schäumend, dick. Durch den Biergeruch drang der Mief von Korruption und Verfall, gar nicht unangenehm, eher wie ein alter Wald, in dem modriges Laub und Erde den Glauben an den endlosen Kreislauf des Lebens erneuerten. In der Luft hing auch eine Spur von Parfüm und Eau de Cologne, Haarwasser und Schuhcreme, Zitronen, Steaks, Zigarren, Zeitungen - und eine Spur Seewasser von der Manhasset Bay."

    Das ist die Welt von Onkel Charlie, dem Barkeeper, dem Hausmeister, den alle Fuckembabe nennen, weil das sein Lieblingsspruch ist, Bobo, dem Koch, Cager, dem Vietnamveteranen, Bob, den Ex-Cop und noch einer ganzen Schar weiterer Originale, die alle ziemlich tief ins Glas schauen, über Gott und die Welt räsonieren, sich über Baseball streiten, illegale Wetten abschließen, gerne lachen und Witze reißen. Sie behandeln den elfjährigen Jungen, der ihnen andächtig lauscht, als gehöre er dazu. Das kann er gut gebrauchen, denn J.R. hat keinen Vater oder vielmehr einen, der sich einen Dreck um seinen Sohn kümmert, die Mutter verlassen hat, als er noch ein Baby war und sich seitdem rar macht, um den Unterhaltszahlungen zu entgehen. Zudem nimmt ihn die kleine Kneipengang um seinen Onkel Charlie mit an den Strand, um dort zu schwimmen und auszunüchtern. Ausführlich debattieren die Männer über Politik und Sport, Frauen und Jobs. Gebannt hängt der Junge an ihren Lippen, fängt schon bald an, sie nachzuahmen.

    "Vieles, was man entweder vom Vater oder Ersatzvätern wie in meinem Fall lernt, kann man nicht in Worte fassen. Es hat eine Menge mit der Haltung zu tun, die man annimmt, wie man unter Druck anständig bleibt, Stoizismus. Diese Jungs brachten mir einiges bei. Zum Beispiel wie man, wenn etwas falsch läuft, die Ruhe bewahrt, wie man flucht, ausspuckt, Sport liebt, Athleten verehrt, wie man streitet, gute Laune behält, selbst wenn man verliert, schwere Zeiten übersteht. Die Liste ließe sich unendlich fortführen, aber hinter ihr steckt eine wortlose Botschaft, die Männern an Jungs weitergeben, eine Art Geisteshaltung. Jungs suchen danach, ohne es zu wissen. Und sie finden es, wenn nicht beim Vater, dann bei jemand anderem. Und die Gefahr besteht darin, dass das der Drogendealer an der Ecke sein kann. In meinem Falle hatte ich das Glück, auch wenn es auf den ersten Blick sehr fragwürdig wirkt, dass dieser Junge von einer Truppe von Kneipenhockern aufgezogen wurde, aber das waren sehr gutherzige Männer, Soldaten, Baseballspieler, Dichter. Sie alle behandelten mich mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit."

    Entsprechend freundlich-wehmütig sind die Erinnerungen an die Männer. Sie geben ihm Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, den nötigen Mut, um sich im Leben durchzubeißen. Hier lernt er, wie man Niederlagen einsteckt und dennoch den Kopf oben behält. Das ist auch bitter nötig, denn die Verhältnisse, unter denen J. R. aufwächst, sind alles andere als rosig. Seine Mutter schlägt sich mit schlecht bezahlten Jobs mehr recht als schlecht durch, verdient so wenig, dass sie immer wieder in ihr Elternhaus zurückziehen muss, zu einem Ekel von geizigem, grantigen Großvater, einer gutmütigen, aber schwachen Großmutter. Doch sie lässt sich nie unterkriegen, unternimmt stets neue Anläufe, sich und ihren Sohn auf eigene Beine zu stellen. Von ihr lernt J. R, wie man die Zähne zusammenbeißt und nie aufgibt:

    "Wenn man nur einen Elternteil hat, dann wird dieser eine Elternteil doppelt so wichtig, und in meinem Fall war meine Mutter sogar noch wichtiger. Die Zeit war damals für uns sehr schwer. Wir hatten kein Geld, wussten oftmals nicht, wo und wovon wir leben sollten, lebten von Lebensmittelmarken. Es war sehr beängstigend. So hing ich sehr an ihr. Und ihr Mut war sehr wichtig, ihre Durchhaltevermögen, ihre Beharrlichkeit und ihr Optimismus und zwar nicht nur im Hinblick auf unser Überleben, sondern auch dadurch, dass sie mir zum leuchtenden Vorbild wurde, an dem ich mich in schwierigen Zeiten in späteren Jahren immer wieder orientieren konnte."

    Es ist eine amerikanische Erfolgsgeschichte vom Jungen, der aus miserablen Verhältnissen stammt und sich aus eigener Kraft herauskämpft, der den Traum seiner Mutter wahr macht und es schafft, auf die Universität zu gehen, sogar ein Stipendium für die Yale University, eine der amerikanischen Eliteausbildungsstätten ergattert. Es ist ein mühsamer Weg, aber J. R. Moehringer entlockt ihm so manche amüsante Anekdote wie zum Beispiel jene Szene, in der der junge Mann zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Mädchen schlafen will, mitten in der Wildnis dann feststellt, dass er die Kondome vergessen hat, mitternächtlich mit dem Auto losrast, welche zu besorgen, in einen Kaktus fällt, kaum mehr laufen kann, vor Scham im Supermarkt fast umkommt, mit Mühe den Weg zurück findet, nach eine Stunde endlich wieder auftaucht und seine Freundin schlafend vorfindet. Sie hat von allem nichts mitbekommen.

    Das Buch lebt vom nicht unterzukriegenden Humor seines Erzählers. Selbst den dunkelsten Momenten seines Lebens gewinnt er noch ein paar heitere Anekdoten ab. Es ist auch keine Tellerwäscher-Millionärs-Geschichte. J. R. wird nicht berühmt und reich. Aber es ist die Geschichte, wie ein Junge zum Mann wird und sich schließlich seinen Jugendtraum erfüllt, nämlich eben jenes Buch zu schreiben, das jetzt vorliegt. 20 Jahre hat er dazu gebraucht. Sie haben sich gelohnt. Man folgt J.R. gerne auf seinem steinigen Weg ins Erwachsenenleben. Manchmal schreibt das Leben doch die besseren Romane.


    J. R. Moehringer: Tender Bar
    Übers. Brigitte Jakobeit
    S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 2007
    459 Seiten, 19,90 Euro