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Vom Leben mit abschmelzenden Eisbergen

Welche Auswirkungen der Klimawandel auf das Leben der Inuit hat, will der Buchautor und TV-Journalist Klaus Scherer deutlich machen. Von den Bewohnern der Arktis ließ er sich erzählen, wie sie mit der Klimaerwärmung leben. Viele müssen alte Gewohnheiten aufgeben.

Klaus Scherer im Gespräch mit Bettina Klein | 13.11.2013
    Bettina Klein: Wir sprechen dieser Tage viel über den Klimawandel und die tatsächlichen oder vermutlichen Folgen. Die UNO-Konferenz in Warschau tagt dazu in diesen Wochen. Der Fernseh-Journalist Klaus Scherer hat für einen ARD-Film den Polarkreis umrundet, ist viel in der Arktis unterwegs gewesen, und ich habe ihn gefragt, was er genau dort von der Erwärmung, über die wir so viel diskutieren, eigentlich hat sehen können.

    Klaus Scherer: Ich habe vor acht Jahren, als ich die erste Hälfte des Polarkreises bereist habe, in Grönland schon mit Piloten gesprochen und sagte: "Warum haben Sie denn auf Ihrer Flugkarte so viele Kreuze gemacht? Haben Sie die besten Stellen angekreuzt, um sie Touristen zu zeigen?" Und der Hubschrauberpilot sagte: "Nein! Das sind die Gletscher, die es nicht mehr gibt." – Die Karte war keine drei Jahre alt.
    Wir waren jetzt wieder da und die Gletscher sind noch weiter zurückgegangen. Die Dörfler sagten mir, sie gehen nicht mehr raus aufs Eis, sie können nicht mehr jagen wie früher, das Eis geht früher zurück und es geht weiter zurück. Sie freuen sich umgekehrt darüber, dass weniger Eisberge da sind, die immer ihre Fangleinen zerrissen haben. Sie sagen, wir können jetzt eher fischen, das gibt uns auch eine Perspektive. Es gibt auch mehr und andere Sorten Fisch, Heilbutt kommt eher dahin, und sie denken daran, da eine kleine Fischfabrik hinzustellen, und halten sich da jetzt als Perspektive dran fest.

    Klein: Sie schildern, die Einwohner müssen sich umstellen. Sie machen konkrete Erfahrungen bereits mit der Erwärmung ihrer Region. Erleben Sie das eher als etwas Normales und wird das nicht als bedrohlich empfunden?

    Scherer: Ja und nein. Die Bewohner der Arktis mussten sich immer der Umgebung anpassen, sonst hätten sie nicht überlebt. Sie haben immer ihr Vitamin C beispielsweise aus dem Fett der Meeressäuger gezogen, weil es keine Pflanzen gab. Sie passen sich jetzt auch den Gegebenheiten an und sagen – das haben mir Leute gesagt -, worauf sollen wir warten, dass uns jemand rettet, wir sehen, die Gletscher gehen zurück, wir sehen, das Eis trägt uns nicht mehr, es geht ja nicht nur den Eisbären so, auch wir können als Jäger so nicht weitermachen, wir müssen gucken, was wir für Perspektiven haben.
    Nehmen Sie eine Insel wie Island, die sehr auf Tourismus setzen und gleichzeitig sagen, wenn wir jetzt anfangen, beispielsweise hier nach Öl zu bohren, machen wir unser Image kaputt. Auch das bewegt sich.

    Nehmen Sie Schweden. Sie haben nicht mehr so die Möglichkeiten, Wintersport zu betreiben, weil die Saison kürzer wird und sich mehr zu Weihnachten in die Kälte verlagert. Aber sie setzen auf Touristen, die Polarlichter fotografieren. Das macht mittlerweile einen größeren Anteil aus als die Wintersportler. Solche Bewegungen gibt es aus der Not heraus, dann aber natürlich auch aus der Gelegenheit, was kann man stattdessen machen.

    Klein: Einige Beispiele haben Sie jetzt genannt. Welche Auswirkungen haben Sie noch gesehen? Sie haben ja diverse Länder bereist.

    Scherer: Na ja, wir haben zum Beispiel Jakutsk besucht, die kälteste Großstadt der Welt in Russland in Jakutien. Das ist so groß wie Europa und das war mal ein Verbannungsort. Mittlerweile ist das eine Boom Town, weil Moskau viel Geld reinpumpt und natürlich die Bodenschätze der Arktis ausbeuten will, natürlich neue Handelsrouten an seiner Nordküste erwartet und da viel in die Infrastruktur pumpt. Die Architekten haben uns erzählt, sie bauen die Häuser jetzt auf tiefen Stelzen, weil die alten Häuser einsinken. Wenn sie sich selbst erwärmt haben, haben sie den Untergrund erwärmt und sanken dann im Permafrost, also im Dauerfrost-Boden ein.

    In einem Ort, wo wir auch vor acht Jahren schon mal waren, in Alaska, ein Außenposten am Polarkreis, Point Hope, eine Inuit-Gemeinde, da sagen mir die Alten: "Früher haben wir die Alten gefragt, als wir jung waren, was zu tun ist. Mittlerweile sind wir die Alten, wir haben aber keine Antworten. Es ist zu warm im Sommer, es ist uns zu heiß." Wir waren im Juli da, es waren über 30 Grad. Das Meer kommt näher, es stimmt nichts mehr, die sind verlegen, und die Ölindustrie drängt und kann ihnen nicht garantieren, dass es keine Ölpest gibt, und sie wissen nicht, wie man in der Arktis im Eismeer mit einer Ölpest umgeht. Die haben reihenweise Prozesse gewonnen gegen die Bohrfirmen und sagen: "Wenn jemand in Ihrem Vorgarten Öl bohren will, wollen Sie auch nicht, dass der erst noch üben muss." Genau so haben sie argumentiert und die Gerichte haben ihnen Recht gegeben.

    Klein: Muss man auch davon sprechen, dass sich Enttäuschung breitgemacht hat, was die politisch Handelnden angeht?

    Scherer: Nicht so, wie ich das in der Südsee erlebt habe, als ich da Anfang 2000 Korrespondent war. Da war die Enttäuschung groß, weil die Inseln tatsächlich unterspült wurden und bei jedem Taifun das Versinken drohte. Die Klagen waren laut. In der Arktis war man wahrscheinlich immer weit ab und auf sich selbst angewiesen. Das habe ich in dem Maße nicht vernommen.

    Klein: Herr Scherer, Ihr Buch ist jetzt erschienen. Die ARD-Dokumentation wird über Weihnachten zu sehen sein. Wie kam das Projekt eigentlich zustande?

    Scherer: Das können Sie im Atlas betrachten. Normalerweise wird das aber nicht sinnlich und betrachtbar, und das versuchen wir, hintereinander zu erzählen und gleichzeitig Leute zu begleiten, die dort leben. Ich kriege die Krise, wenn ich Fernsehen gucke und man macht mir weiß, ich muss in Australien jemandem zugucken, wie er Kakerlaken isst. Überall leben Leute, die Interessanteres jeden Tag erleben und uns schildern können. Wir lernen einfacher nicht von den Leuten.

    Klein: Sie selbst waren lange Zeit für die ARD auch in Tokio, kennen auch die Philippinen, über die wir in diesen Tagen so viel und so viele schlimme Dinge berichten müssen, kennen Sie noch als langjähriger Korrespondent in der Region. Sie waren auch damals in den Tsunami-Gebieten im Dezember 2004. Wenn Sie jetzt die Bilder von dort sehen, ist das so eine Art Déjà-vu?

    Scherer: Auf jeden Fall! Ich kam in die Tsunami-Gebiete und mein erster Eindruck war, das kann man nicht mal aufräumen. Man bräuchte die gleiche Fläche noch mal, um all die Trümmer dort abzuladen, die man hier wegnehmen müsste. Biblische Ausmaße, für die einem die Worte fehlen. Ich lese auch jetzt immer wieder, wie der Geruch beschrieben wird. Sie können es nicht erkennen, wenn Sie es nicht selber mal gerochen haben: dieser süßliche, bittere Leichengeruch. Und Sie fragen sich: Wie kann ein Schöpfer das zulassen, dass Kinder, die unschuldig geboren sind, dahingerafft werden. Man mag es nicht fassen. Sie haben auch hinterher noch damit zu tun, weil Sie sich kaum noch was gönnen wollen, obwohl wir wirklich Berichterstatter sind und da unsere eigene Rolle haben. Es ist einfach ein Zacken mehr als das, was man sonst wirklich an Härten zu sehen bekommt.

    Klein: Der Fernseh-Journalist Klaus Scherer heute Morgen im Deutschlandfunk.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.