Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Vom Ort zur Lebensgeschichte

Ingeborg Bachmann war ein Star. Der gerade erschienene Briefwechsel zwischen der 1926 geborenen Autorin und Paul Celan wurde ausgiebig und hymnisch rezensiert. Jüngere Leser scheinen allerdings nur noch wenig über die einst gefeierte Diva zu wissen. Frauke Meyer-Gosaus Buch "Einmal muss das Fest ja kommen" ist eine Einführung in Leben und Werk, die zugleich von Bachmann-Kennern mit Gewinn gelesen werden kann.

Von Ulrich Rüdenauer | 17.11.2008
    Der Name Ingeborg Bachmann beschwört zunächst das Bild einer zerbrechlichen, unsicheren, von der Last der Worte vielleicht ein wenig aus der Balance gebrachten jungen Frau herauf. Bei ihren ersten Lesungen muss gerade für die anwesenden Herren die Versuchung groß gewesen sein, ihr zu Hilfe zu eilen, sie zu stützen.

    Dieses Bild der fragilen Dichterin aber wäre unzulänglich. Es ist Teil einer Inszenierung, die Ingeborg Bachmann auf erstaunliche Weise beherrscht hat. Sie war sich der medialen Mechanismen des gerade entstehenden bundesdeutschen Literaturbetriebs bewusst und nicht nur ein Opfer dieser Abläufe.

    Ihr Dichterbild wechselt noch mehrmals seine Erscheinung, verändert sich um Nuancen oder ganz radikal: Aus der empfindsamen, leicht entrückten Autorin, die viele Projektionen zuließ, wird die selbstbewusste Schriftstellerin, die sich nicht scheut, politisch Stellung zu beziehen.

    Ingeborg Bachmann schafft für sich das Modell einer modernen Intellektuellen, die allerdings auch sehr bald die wohlfeilen politischen Einmischungen ihrer vor allem männlichen Kollegen als Ablenkung von der eigentlichen Arbeit durchschaut - woraufhin sie mit Unbedingtheit auf die ausschließliche Instanz des literarischen Textes verweist. Es gibt aber noch eine weitere Figur Ingeborg Bachmann.

    "Das vierte Bild, nämlich die Diva - das wandert durch diese Zeiten unbeschädigt mit. Das ist also sozusagen die Grundausstattung der öffentlichen Selbstrepräsentation dieser Autorin."

    Die Literaturwissenschaftlerin und Literaturkritikerin Frauke Meyer-Gosau hat sich auf die Suche nach Ingeborg Bachmann und den Selbstrepräsentationen einer Autorin gemacht, die bis heute etwas Rätselhaftes, sogar Mythisches umweht: "Einmal muss das Fest ja kommen" nennt Meyer-Gosau ihre "Reise zu Ingeborg Bachmann".

    Nicht zuletzt ein Reisebuch nämlich ist diese schöne, im Reportagestil erzählte biografische Annäherung an einen Mythos: Die Orte Ingeborg Bachmanns werden in Augenschein genommen, eindrücklich beschrieben, um Person und Werk näher zu kommen. Es ist ein ähnliches Verfahren wie es der Autor Helmut Böttiger vor einigen Jahren sehr fruchtbar in seinem Buch "Orte Paul Celans" angewandt hat - der genius loci als Ausgangspunkt einer Lebensgeschichte.

    "Dieses Buch ist für Leute erzählt, die vielleicht gar nicht mehr so genau wissen, wer eigentlich Ingeborg Bachmann war, was sie gemacht hat, in welcher Zeit sie gelebt hat, welcher Natur ihre literarische Arbeit war: für solche Leute anhand verschiedener Reisestationen zu erzählen, was jeweils das Leben dieser Autorin in einer bestimmten Phase kennzeichnete und wie Werk und Leben jeweils aufeinander geantwortet haben."

    "Als der Krieg zu Ende war, ging ich fort, ohne Geld und Gepäck, und kam voll Ungeduld und Erwartung nach Wien, das unerreichbar in meiner Vorstellung gewesen war. Es wurde wieder eine Heimat an der Grenze, zwischen Ost und West, zwischen einer großen Vergangenheit und einer dunklen Zukunft. Und wenn ich später auch nach Paris, London oder Deutschland gekommen bin, so besagt das wenig, denn in meiner Erinnerung wird der Weg aus dem Tal nach Wien immer der längste bleiben."

    Frauke Meyer-Gosau folgt diesem und den anderen Wegen der Dichterin, die wir eben in einer Aufnahme aus dem Jahr 1952 gehört haben, mit gehörigem zeitlichen Abstand. Sie schaut, welche Spuren sich erhalten haben, sucht Verbindungslinien vom Werk zum Leben und umgekehrt und besucht Menschen, die mit Ingeborg Bachmann bekannt oder befreundet waren.

    1953 verlässt die junge Autorin Wien - sie hat eine scheiternde Liebesbeziehung zu Paul Celan hinter sich - und geht nach Italien, finanziell ungesichert, alleine mit dem Wunsch, als Schriftstellerin zu leben. Ein wagemutiger Entschluss.

    "Zumal sich das Ganze ja Anfang der 50er Jahre abspielt, nicht, das ist das Jahr 1953. Wenn wir uns kurz vergegenwärtigen, was das Rollenmodell für Frauen zu dieser Zeit in unserem europäischen Lebensraum war, dann sah dieses Bild ganz bestimmt nicht vor, dass eine junge Frau, promoviert in Philosophie, aber keine Anstellung erhalten habend an der Universität Wien, sich entscheidet, ganz allein, ohne jegliche Absicherung, mit tausend Mark in der Tasche, ganz konkret dem Preis der Gruppe 47, nach Rom geht.

    Das hatte aber viele Vernetzungen und Verbindungen zu ihrer Vorgeschichte. Zum einen müssen wir uns vorstellen, es war der Vater, der ihr in dem kleinen österreichischen Grenzort Klagenfurt das Italienische zuerst beigebracht hatte. Es war dann aber sehr wesentlich, und ich denke für diese Entscheidung, überhaupt nach Italien zu gehen ausschlaggebend, der Komponist Hans Werner Henze, mit dem sie sich 1952 in der Gruppe 47 befreundet hatte und der ganz einfach zu ihr gesagt hat - man kann das heute noch in ihrem Briefwechsel nachlesen: 'Ich bin im August auf Ischia, kommen Sie, Frau Bachmann, doch auch dorthin, dann können wir dort so schön zusammen arbeiten.' Und so begann eine sehr sehr langwährende, sehr intensive Arbeitspartnerschaft zwischen diesen beiden."

    Ingeborg Bachmann bleibt nicht auf Ischia. Sie zieht nach Rom, im Beharren auf absoluter Eigenständigkeit, der - das zeigt Frauke Meyer-Gosau in ihrem Buch sehr genau - immer auch ein absolutes Unabgesichertsein entsprochen hat. Die Freundschaftsbeziehung zwischen Bachmann und Hans Werner Henze überdauert die Krisen und Liebschaften der Autorin - und sie reicht auch über den Tod von Bachmann hinaus, wie Frauke Meyer-Gosau bei ihrem Besuch in der Villa des Komponisten feststellen konnte.

    "Ich war hingerissen von dieser Begegnung, nicht zuletzt deswegen, weil mir jemand gegenüber saß, in dessen Erinnerung die Figur Ingeborg Bachmann als eine lebendige und ihn bezaubert habende Person unmittelbar gegenwärtig war. Er sagte am Ende des Gesprächs: 'Und die Inge, wenn jetzt die Tür aufginge, sie könnte so hereinkommen.' Und dieses Gefühl hatte ich in der Tat auch in diesem Gespräch. Das heißt also eine ganz lebendige Tote, eine letzten Endes für ihn in seinem Erinnerungsleben also gar nicht Tote, war mit uns im Raum. Und was sehr schön zu sehen und für mich zu verstehen war, dass sie auf der Ebene der Musikalität ganz offensichtlich ihre Grundgemeinsamkeit gefunden haben."

    Ingeborg Bachmann war zwischen 1958 und 1963 mit Max Frisch liiert, eine nicht ganz unproblematische Beziehung: Es ist die Zeit, als Bachmann ihre ersten Prosatexte schreibt und veröffentlicht, mit harscher Kritik konfrontiert wird und an Selbstzweifeln leidet, während Max Frisch im Nebenzimmer munter Roman um Roman auf der Schreibmaschine tippt. Die bedeutendste Lyrikerin ihrer Zeit und der berühmteste Romancier hatten sich zusammengetan, und dieses Zusammenleben war auf merkwürdige Weise von der Außenwelt abgeschottet: Bachmann legte stets großen Wert darauf, Freundschaften voneinander zu trennen. Sie schuf Parallelwelten, zwischen denen es keine Berührung geben durfte. Auch ihre Vergangenheit hütete sie wohl.

    "Ich habe meine Jugend in Kärnten verbracht, im Süden, an der Grenze, in einem Tal, das zwei Namen hat, einen deutschen und einen slowenischen. Und das Haus, in dem seit Generationen meine Vorfahren wohnten, Österreicher und Windische, trägt noch heute einen fremd klingenden Namen. So ist nahe der Grenze noch einmal die Grenze, die Grenze der Sprache. Und ich war hüben und drüben zu Hause mit den Geschichten von guten und bösen Geistern zweier und dreier Länder, denn über den Bergen, eine Wegstunde weit, liegt schon Italien, das ich nie gesehen habe. Ich glaube, dass die Enge dieses Tals und das Bewusstsein der Grenze, mir das Fernweh eingetragen hat."

    "Das war für mich eigentlich die überraschendste Entdeckung auf dieser Reise. Im Leben hätte ich nicht geglaubt, dass diese Autorin, die in der ganzen Welt unterwegs war und die Weltfreundschaften und -beziehungen unterhielt, jedes Jahr viele Wochen in ihrer Heimatstadt nicht nur zugebracht hat - die sie auf der andern Seite zum Beispiel Uwe Johnson gegenüber als einen unsäglichen Ort, in dem es niemand länger als drei Tage aushalten könne und schon gar nicht jemand, der dort geboren sei - also nicht nur in diesen Ort immer wieder zurückkehrt, sondern in das Elternhaus."

    Das "innere Klagenfurt" nennt Frauke Meyer-Gosau dieses Fortwirken der Heimatstadt im Leben Bachmanns. Klagenfurt schien ein Hort der Sicherheit gewesen zu sein, nd es verbanden sich damit bestimmte existenzielle Vorstellungen, die mit der eigenen Familie und überhaupt dem Modell Familie zu tun hatten.

    "Aber dieser Zwiespalt sozusagen zwischen dem mitgebrachten Bild eines Lebens als Frau, dessen, was man als ein erfülltes Frauenleben damals bezeichnete, und dem was de facto gelebt wurde, also einem doch sehr einsamen, sehr auf die Schrift konzentrierten, absolut rigoros auch gegen sich selbst in der Schreibarbeit vorgehenden Leben, dieser Zwiespalt manifestierte sich für mich allein aufgrund der Reise und der Begegnung, die ich da hatte, in dem Zwiespalt zwischen dem Städtchen Klagenfurt und der Weltstadt Rom."

    "Einmal muss das Fest ja kommen" - das war der aufgeschnappte Satz der italienischen Vermieterin Lucia auf Ischia, der die Sehnsüchte Ingeborg Bachmanns Anfang der 50er Jahre bündelte. Das Fest sollte tatsächlich kommen, aber es folgte am Morgen danach oft genug eine gehörige Katerstimmung.

    Auf Frauke Meyer-Gosaus Reise begegnen wir vielen Ingeborg Bachmanns: der ernsten, kanonisierten Autorin, der melancholischen ebenso wie der tanzenden, radfahrenden, lebensfreudigen; der eitlen, die keine Brille tragen wollte und deshalb kurzsichtig durch die Welt schritt, was oft mit einer der Dichter-Aura geschuldeten Verwirrtheit verwechselt wurde. Wir treffen auf dieser Reise die Liebhaberin, Freundin und Tochter, kurz: eine vielgestaltige, selbstbewusste Frau.

    Es sind keine neuen Erkenntnisse, die uns Meyer-Gosaus Porträt beschert - aber doch viele neue Facetten, die durch die Verknüpfung genauer Textlektüre und den Begegnungen mit Orten und Menschen entstehen. Und für diese Menschen, Freunde und Verwandte, ist Ingeborg Bachmann auch 35 Jahre nach ihrem Tod noch immer anwesend.

    "Sie ist so präsent, dass man wirklich, wenn man in diesen Gesprächen sitzt, quasi in dem Kreis der Bachmann-Familie in einem emphatischen Sinne sich aufgehoben fühlt, und dann tritt man vor die Tür, ist also wieder draußen vor der Henselstraße Nummer 26. Und denkt, halt, was war jetzt das? Als würde quasi in diesen Räumen, wesentlich aber vor allen Dingen in den Personen und deren Erinnerungen, diese Figur immer noch eine gewisse Herrschaft ausüben, etwas überzeichnet gesagt."

    Frauke Meyer-Gosau: Einmal muss das Fest ja kommen. Eine Reise zu Ingeborg Bachmann
    Verlag C.H. Beck, München 2008,
    237 Seiten, 19,90 Euro