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Vom RAF-Terroristen zum Brotbäcker

Christof Wackernagel galt als Nachwuchstalent des deutschen Kinos. Dann ging er zur RAF, wurde festgenommen und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Heute backt er in Afrika Brot. Filmemacher Jonas Grosch schildert in dem Dokumentarfilm "Der Weiße mit dem Schwarzbrot" das heutige Leben des RAF-Terroristen.

Von Josef Schnelle | 13.06.2008
    Ein deutsches Leben zwischen Glamour und Terrorismus. Der Schauspieler Christof Wackernagel war Ende der sechziger Jahre ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent des deutschen Kinos. Er wurde 1968 mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet für seine Rolle in "Tätowierungen" von Johannes Schaaf.

    Dann geriet er in den Dunstkreis der Unterstützerszene für die RAF-Gefangenen der ersten Generation in Stammheim. Im Sommer 1977 tauchte er endgültig ab in den Untergrund. Bald konnte man ihn auf den einschlägigen Steckbriefen des deutschen Herbstes finden. Doch schon wenige Monate später, bei seinem ersten Auftritt als aktiver Terrorist, wurde er gefasst. Am 10. November 1977, kurz nach dem deutschen Herbst, lieferte er sich in Amsterdam eine heftige Schießerei mit der Polizei, bei der er und sein Komplize Gert Schneider, sowie drei Polizeibeamte zum Teil schwer verwundet wurden.

    Er wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt wegen Mordversuch und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. 1983 distanzierte er sich endgültig von der RAF. 1987 wurde er vorzeitig entlassen und begann wieder, als Schauspieler zu arbeiten. Er trat in zahlreichen Fernsehkrimis und anderen Spielfilmen auf. Doch seine Vergangenheit wurde er nicht los. Dafür sorgte schon die Bildzeitung mit Schlagzeilen wie: Ein Terrorist als Kommissar.

    Inzwischen lebt Christof Wackernagel als Musiker, Schriftsteller und Projektemacher in Bamako im afrikanischen Mali. Dort hat er auch eine Schwarzbrotbäckerei aufgemacht, was zum kuriosen Titel dieses Dokumentarfilms führte, den Jonas Grosch gedreht hat. "Der Weiße mit dem Schwarzbrot" - eine Art verrückter Guru im langen Kaftan ist Wackernagel für die Leute in Mali, die nichts von seiner Vergangenheit als Terrorist wissen. Mit den Jungs der Umgebung sammelt er den sonst achtlos herumliegenden Müll, plant Kunstaktionen in ganz Afrika und er hat noch weitere Vorschläge zur Verbesserung der Lebensumstände der Bewohner seiner neuen Wahlheimat.

    Jonas Grosch ist Christof Wackernagels Neffe und hat - das sieht man diesem Film an - das ganze Vertrauen Wackernagels, das er seine Geschichte ohne Verdrehungen erzählen wird. Der Film ist keine der RAF-Jubiläumsdokumentation, wie sie in diesem Jahr so zahlreich waren. Grosch entwirft vielmehr das Porträt eines "seltsamen Heiligen" voller schrulliger Ideen, der sich nach vielen Irrwegen endlich gefunden hat.

    Lange redet Wackernagel um den heißen Brei, denn natürlich weiß auch er, dass alle, die diesen Film sehen werden, wissen wollen, wie er zur RAF gekommen ist und wie es dazu kam, dass er bereit gewesen ist, Mörder zu werden. Wackernagel, das zeigt sich bald, hat es lange selbst nicht begriffen. Das ganze Ausmaß seiner Verblendung wird ihm erst klar, als er nach seiner Entlassung Hermann van Hoogen trifft, den Polizisten, der in festgenommen hatte und den er bereit war zu töten. Van Hoogen hatte schon in der Gefängniszeit Kontakt mit Wackernagel aufgenommen, sich später für dessen Begnadigung eingesetzt und ihn sogar vor dem Gefängnistor erwartet.

    Kurz weht der Vorhang beiseite, der sich in Wackernagels Bewusstsein vor seine aufrichtige Erinnerung geschoben hatte. Dann stürzt er sich wieder auf sein neues Leben in Mali, in dem er sich als freundlicher offenherziger Mensch eingerichtet hat, der im trockengelegten Pool Hühner fängt. Eine gelungener Fall der Selbstresozialisation, könnte man sagen. Auch ein Blick in das Innenleben der Generation RAF und ein Film gegen falsche Legendenbildung.