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Vom Rufmord und der menschlichen Gemeinheit

Am Burgtheater Wien wird Arthur Schnitzlers Stück "Professor Bernhardi" aufgeführt, in welchem jener gleichnamige Gelehrte Opfer einer antisemitischen Hetzjagd wird. Die Schwierigkeit liegt für Regisseur Dieter Giesing darin, die Handlung aus dem Jahr 1912 in die heutige Zeit zu transportieren.

Von Christian Gampert | 18.04.2011
    Natürlich ist "Professor Bernhardi" aktuell – immerhin legt sich die Hauptfigur mit der katholischen Kirche an. Deren Macht ist heute, bei uns wie in Österreich, vielleicht nicht mehr ganz so dominant wie um 1900, aber immer noch allpräsent, in Parteien und Medien, in Gremien und Hinterzimmern. Dort setzt Schnitzler ein: sein relativ konventionell gebautes Stück ist eine Detail-Studie über den Antisemitismus der besseren Kreise, über den Rufmord, über die menschliche Gemeinheit.

    Der Internist Bernhardi verweigert einem Priester den Zugang zu einer Sterbenden, damit dieser ein glücklicher Tod beschieden sei. Das Mädchen, das nach einer Abtreibung mit einer Sepsis daliegt, wähnt sich euphorisch auf dem Weg der Besserung; der Priester mit seiner letzten Ölung würde ihr diese Illusion zerstören und ihren Tod beschleunigen.

    Da Bernhardi Jude ist, unterstellt man ihm nicht ärztliche, sondern antichristliche Motive für sein Tun. Man bauscht den Vorfall auf. Man versucht, ihn zu einer politisch genehmen Stellenbesetzung zu zwingen – ein unfähiger Arzt soll die Stelle bekommen, sein jüdischer Konkurrent soll auf der Strecke bleiben. Bernhardi weigert sich. Und nun wird das ganze Arsenal an Verleumdung, Erpressung und politischer Intrige abgezogen, das wir auch heute noch aus publizistischen Kampagnen kennen – nur, dass der antisemitische Affekt um 1900 viel unverblümter ans Licht treten darf als heute.

    Schnitzler, der seinen Außenseiter-Status als Jude in Wien zeitlebens zu spüren bekam, lässt nun ein ganzes Typen-Arsenal auftreten, um diesen Konflikt durchzuspielen. Und Dieter Giesing inszeniert das am Burgtheater zwar als althergebrachtes Sprechtheater, kocht aber die Konflikte sehr schön hoch. Christoph Luser gibt den angepassten k.u.k.-Kriecher, der sich überall einschleimt, aber medizinisch keine Ahnung hat. Roland Koch macht den reaktionären Burschenschaftler als Klinik-Vizechef, der politisch beste Verbindungen hat und Bernhardi beerben möchte – schon rein äußerlich eine schneidige Guttenberg-Parodie. Nicholas Ofczarek als Bernhardis Jugendfreund Flint, der inzwischen Minister ist, tremoliert sich durch die Abgründe der politischen Phrase – und ist innerlich immer dort, wo es warm rauskommt, also auf Seiten der Reaktion.

    Die jüdischen Ärzte dagegen stehen dem Kesseltreiben gegen ihren Chef sprachlos und manchmal wütend gegenüber; und der Bernhardi des Joachim Meyerhoff ist eher zurückhaltend gezeichnet. Meyerhoff, der seine Emotionen sonst gern ausagiert, spielt quasi mit Handbremse den jüdischen Intellektuellen, der sich für unangreifbar hält und dann merken muss, dass wissenschaftliche Kompetenz nichts zählt in der politischen Jauchegrube. Im Verlauf seiner Demontage als Klinikchef wird er innerlich allerdings immer unabhängiger – das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit verschafft auch innere Freiheit.

    Regisseur Giesing lässt in den ersten Szenen Halbgötter in Weiß auftreten, die Krankenschicksale einfach so wegdiagnostizieren, und konzipiert den Rest des Stücks dann als Manager-Drama, in dem Ärzte im Business-Anzug um den Konferenztisch tanzen (der Choreograf Johan Kresnik hat das arrangiert). Deren Konversationen sind bisweilen etwas langwierig, aber schließlich soll hier wie unter dem Mikroskop untersucht werden, wie Antisemitismus auch unter seiner Führungs-Elite funktioniert. Das Stück ist ganz ins Heute verschoben – gerade dadurch zeigt sich aber, wie zahnlos politische Aufklärung geworden ist: was vor dem Ersten Weltkrieg noch zum Skandal taugte, wird von der Medien- und Internetgesellschaft einfach so aufgesaugt. In Wien steht noch immer das Denkmal des antisemitischen Bürgermeisters Karl Lueger – fast niemand stört sich daran.

    Schnitzlers Stück hat allerdings einen interessanten Widerhaken: es demonstriert uns, was passiert, wenn Religion zu viel gesellschaftliche Macht ausübt. Heute begegnen uns solche Geltungs-Ansprüche nicht nur in christlicher, sondern auch in islamischer Verkleidung. Schnitzler zeigt, wie gefährlich das ist.