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Vom Spielzeug zum Vertrauten des Fürsten

Im 18. Jahrhundert war es in aristokratischen Kreisen Mode, sich schwarze Kinder wie eine Art Schoßhündchen zu halten. Einer von ihnen war Angelo Soliman. Einblicke in dessen bewegtes Leben bietet derzeit die Ausstellung "Ein Afrikaner in Wien" im Wienmuseum.

Von Beatrix Novy | 28.09.2011
    Es ist bestimmt nicht leicht, eine Ausstellung über einen Menschen zu machen, von dem so gut wie keine persönliche Äußerung, weder in Briefen noch in glaubhaften Berichten, überliefert ist. Angelo Soliman war hochgebildet und mehrerer Sprachen mächtig; aber der Mode seiner Epoche, des 18. Jahrhunderts, sein Inneres in Briefen oder Tagebüchern zu ergießen, hatte er sich offenbar nicht ergeben.

    Vielleicht ist auch das eine Quelle der Interpretation, auf die man angewiesen ist, wenn man den Mann näher kennenlernen will, der von Beruf Mohr war. Soliman, geboren wahrscheinlich nach 1720, wahrscheinlich in der Grenzregion von Niger, Tschad und Nigeria, wahrscheinlich unter dem Namen Mmadi Make, Soliman war nicht der einzige schwarze Bewohner Wiens damals. Etwa 200 andere gab es, die wie er über die rührigen Sklavenmärkte des Mittelmeeres ins Habsburgerreich und schließlich nach Wien gekommen waren. Von der Mode, schwarze Kinder als eine Art Schoßhündchen in aristokratischen Boudoirs zu halten, künden in der von Luigi Blau perfekt undramatischen Schau mehrere Gemälde, und obwohl es kleine Jungen oder Mädchen sind, die da von hohen Damen getätschelt werden, entbehren sie nicht einer erotischen Komponente. So fing auch Soliman an. Aber seine außerordentliche Begabung ließen ihn höher steigen: den Rahmen seiner Möglichkeiten verstand er, wie man so sagt, optimal zu nutzen. Der Historiker Philipp Blom, verantwortlich für die Ausstellung:

    "Auf alle unsere Identitäten werden Projektionen geworfen, wir haben alle unsere Rollen, aber diese Rollen waren eben für Schwarze restriktiver und spezifischer in Europa als für andere Menschen. Soliman hat sich sehr erfolgreich in diese Rollen hineingefunden."

    Vom Spielzeug einer vornehmen Familie in Messina wurde er zum Soldaten und zum vertrauten Bedienten des Fürsten Lobkowitz, schließlich zum hoffürstlichen Mohr und Fürstenerzieher im Hause Liechtenstein. Angelo Soliman: Ehemann, Familienvater, Hausbesitzer, ein geachteter Wiener Bürger. Wäre er als Kind nicht versklavt worden – wäre er womöglich das geworden, was viele seines Volkes waren: Sklavenhändler.
    "Es hat keinen Sinn diese Geschichte zu sentimentalisieren, klar er wurde geraubt. Das war in seiner Kultur normal, es mindert die individuelle Tragödie nicht, es waren sehr viele davon betroffen. In Österreich hat er zwar ein abhängiges Leben gehabt, er war Diener eines Fürsten, durfte nicht reisen ohne dessen Einwilligung, nicht heiraten ohne dessen Einwilligung."

    Dieses Schicksal teilte Soliman allerdings mit den meisten Dienern ihrer Herren, selbst Josef Haydn musste leben, wie es sein Fürst Eszterhazy wollte. Vor diesem Hintergrund gehen manche heutige Soliman-Interpretationen, die die Ausstellung präsentiert, etwa ein Theaterstück von Ludwig Fels, in ihrer korrekt-aggressiven Opferdarstellung an Wahrheit und Mentalitätsgeschichte komplett vorbei. Aber: Dass Soliman zumindest unterschwellig für seine Mitwelt ein Schwarzer, ein Afrikaner, ein Wilder geblieben war, wurde erst nach seinem Tod mit einem Donnerschlag sichtbar: Als seine Haut mit Einwilligung Kaiser Franz II. ausgestopft wurde.

    Als dieses "Präparat" mit unsinnigem Feder- und Holzschmuck im Naturalienkabinett ausgestellt wurde. Ein Mann, dessen Bildung die seiner Arbeitgeber weit überstieg: ausgestopft. Von hier aus werden die einzelnen Etappen der Ausstellung erleuchtet: der Blick auf das Afrikabild der frühen Neuzeit, auf die komplett erfundenen Kuriosa, auf all die Läden und Gasthäuser "Zum schwarzen Mohren", auf die Rolle des bösen Schwarzen in der "Zauberflöte", deren Komponist, Mozart, Freimaurer war wie sein guter Bekannter Soliman. Von hier aus zieht die Ausstellung auch ihren Bogen in die Gegenwart, über die Rassismen des 19. und 20. Jahrhunderts hinweg. Philipp Blom:

    "Das ist keine exotische kleine Wiener Geschichte, die eingekapselt ist in ihre Zeit, sondern das ist etwas in einem historischen Kontext steht. Das fängt an mit Projektionen, die auf solche Menschen geworfen werden, und es geht weiter bis zur politischen und sozialen Realität heute, denn auch heute leben hier Menschen auf Afrika, und ob die es leichter haben heute, das sei dahingestellt, darüber kann man sehr geteilter Ansicht sein."

    Die Ausstellung "Ein Afrikaner in Wien" ist noch bis Januar 2012 im Wienmuseum zu sehen.