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Vom Tagelöhner zum Unternehmer

Im spanischen Almeria arbeiten Marokkaner längst nicht ausschließlich als Erntehelfer, sondern werden selbst Grundbesitzer und bewirtschaften eigene Gewächshäuser. Unter Spaniern sorgt dies für Unmut.

Von Hans-Günter Kellner | 22.10.2009
    Geschäftiges Treiben schon früh am Morgen in Nijar bei Almeria: Die Frühstückskneipen sind voll, Händler fahren zu Kunden und Landwirte zu ihren Feldern. Viele Einwanderer machen sich mit Fahrrädern auf den Weg zu den vielen Gewächshäusern. Doch längst sind nicht alle mehr nur Erntehelfer. Ein Viertel der Gewächshäuser gehöre inzwischen Einwanderern, schätzt Immobilienmakler Jesús Méndez:

    "Die kommen hierher und wollen so leben wie wir Spanier. Sie kaufen Häuser und Felder. Sie haben ein hohes Einkommen, viel Geld. Sie sind bereit, sich zu quälen. Sie arbeiten wirklich hart. Mit den Jahren haben sie es zu etwas gebracht. Sie leben sogar schon besser als wir. Sie haben große Häuser und Wohnungen, ihre Landwirtschaft, ihre Autos. Sie leben sehr gut."

    Der 27-jährige Andalusier arbeitete selbst einst in den Gewächshäusern, bevor er Immobilienmakler wurde. Er kennt die Marokkaner gut, sie gehören zu seinen wichtigsten Kunden. Doch trotz der guten Geschäfte hat man nicht den Eindruck, dass er sich darüber freut:

    "60 Prozent der Bewohner von Nijar sind Einwanderer. Eines Tages müssen wir hier wegziehen, und sie werden hier bleiben. Ich bin ja kein Rassist. Aber es gibt eben auch Leute, die vergewaltigen, töten oder stehlen. Das bezahlen am Ende auch die Unbescholtenen. In Marokko wird einem Dieb die Hand abgehackt. Hier kann er machen, was er will. Darum kommen sie hierher und wollen nicht mehr zurück. Sie leben hier viel besser als in Marokko."

    Solche Vorwürfe hört man den Theken in Nijar allenthalben. Differenzierte Betrachtungen sind hingegen selten. In Wirklichkeit liegt der Migrantenanteil in Nija bei unter 20 Prozent. Zwar ist der Ausländeranteil unter den verurteilten Straftätern in Almeria mit 40 Prozent besonders hoch, aber die Polizeigewerkschaft weist darauf hin, dass auch die Lebensbedingungen der Migranten in Almeria besonders schlecht sind. Viele von ihnen leben in Slums, ihre Bildungschancen sind schlechter als die von Spaniern, und jetzt, in der Wirtschaftskrise, verlieren sie als Erste ihre Jobs.

    Salah Baih hat den Aufstieg geschafft: Er bewirtschaftet dreieinhalb Hektar mit Tomaten und Zucchini. Der große, breitschultrige Marokkaner ärgert sich über seine vier Saisonarbeiter, die nach seiner Ansicht die Tomatenstauden viel zu eng aneinander pflanzen. Dann erklärt er, wie er in Spanien Unternehmer wurde:

    "Ich kam vor 17, 18 Jahren mit dem Boot über die Meerenge nach Gibraltar. Dann weiter bis nach Almeria, über die Berge. Zweimal entwischte ich der Polizei. Später, als ich meine Papiere hatte, wollte ich mein eigener Chef werden. Ich hatte Glück: Eine Bank gab mir einen Kredit und ich kaufte das Land. Jetzt arbeite ich für mich selbst. Das gefällt mir."

    Den jungen Spaniern sei die Arbeit unter den Plastikplanen zu beschwerlich, meint Baih. Sie gingen lieber in die Diskotheken. Darum stünden jetzt die Treibhäuser ihrer Eltern zum Verkauf. Die Vorurteile der Spanier nimmt der 40-Jährige gelassen hin.

    "Es stimmt, die Spanier mögen uns nicht gerade. Sie glauben, wir seien schmutzig. Mich nennen sie Moro - Maure. Es stimmt, ich bin ein Maure. Na und? Aber wir leben hier zusammen, und es wird auch besser, Schritt für Schritt."

    Baih ist das Thema unangenehm. Weder Spanier noch Marokkaner erinnern sich gerne an die Ausschreitungen vom Jahr 2000, als Einheimische in El Ejido, ganz in der Nähe, Geschäfte und Wohnungen von Marokkanern verwüsteten und in Brand steckten.
    Aber der Trend zu den Marokkanern als Grundbesitzern ist in Almeria so oder so nicht mehr aufzuhalten, sagt Immobilienhändler Jesús Méndez:

    "Keiner findet es lustig, seinen Besitz den Marokkanern verkaufen zu müssen. Aber es gibt keine Alternative. Die Spanier wollen diese Arbeit nicht mehr. Die Söhne der alten Landwirte machen entweder gar nichts oder suchen sich etwas Besseres. Sie wollen weniger arbeiten und mehr verdienen. Trotzdem sagen viele, sie wollen auf keinen Fall an Marokkaner verkaufen. Aber am Ende bleibt ihnen gar nicht anderes übrig."