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Vom Weinberg in die Vorlesung

Es ist wirklich eine exotische Ausbildung: Weinbaustudiengang. Der Vorteil liegt auf der Hand: Künftige Weinbauern müssen nicht aus einer Winzerfamilie stammen. Der größter Kritikpunkt dagegen auch: Nur 70 Kilometer Luftlinie entfernt wird bereits ein solcher Studiengang angeboten. Eine Bestandsaufnahme.

Von Katrin Kleinbrahm | 04.08.2009
    Vier Wochen lang kletterte Sebastian Huhn durch die Weinberge, riss überflüssiges Laub ab und lernte, wie Qualität in die Flaschen kommt:

    "Da wird dann etwas mehr als die Hälfte der Traube abgeschnitten, um den restlichen Trauben mehr Platz zum Wachsen zu geben."

    Damit hat er bereits eine wichtige Lektion für seinen späteren Beruf gelernt. Der 22-Jährige ist als einer von insgesamt 43 Studierenden für den neuen Weinbaustudiengang in Neustadt an der Weinstraße zugelassen. Das Studium hier zeichnet sich vor allem durch seinen hohen Praxisbezug aus, erklärt einer der Mitorganisatoren, Dr. Jürgen Oberhofer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR):

    "Die Besonderheit des Studium ist ganz klar der duale Ansatz. Unsere Studierenden werden zwei Abschlüsse erlangen: Zum einen den praktischen Beruf des Winzers, zum anderen den Bachelorabschluss als Hochschulabschluss."

    Die Studierenden durchlaufen zunächst direkt in ihrem zugeordneten Weingut eine einjährige Winzerausbildung, die von vier Theorieblöcken begleitet wird. Danach folgen sechs Semester Studium und weitere Praxisphasen, die genau auf den Jahresverlauf im Weinberg und ganz besonders auf die Traubenlese ausgerichtet sind. Die Studentin Lene Schwarzbach hat sich den Studiengang genau deswegen ausgesucht.

    "Ich hab meinen praktischen Teil, viel im Wingert, im Feld und ich lerne das direkt dann hab ich auch noch die Theorie, aber es ist halt so kombiniert und das find ich halt gut."

    Die starke Orientierung an der Praxis soll vor allem den Studierenden zugute kommen, die wie Lene Schwarzbach und Sebastian Huhn nicht in einer Winzerfamilie groß geworden sind.

    Die Resonanz war groß: Statt der geplanten 30 Studierenden sind nun 43 weinbaubegeisterte junge Menschen in die Ausbildung gestartet - darunter auch die 24-jährige Russin Galina Sacharowa:
    "Irgendwann stand ich im Weinberg und dachte, das ist das, was ich machen möchte."

    Weil sie jedoch keinerlei Erfahrung im Weinanbau mitbrachte, hätte sie nie gewagt, diesen Traum zu verwirklichen - bis sie von dem dualen Weinbaustudium in Neustadt erfuhr:

    "Ich komme aus keinem Weingut und ich kriege das alles nicht mit und das ist das, was für mich wichtig war, diese Praxiserfahrung zu sammeln."

    Im Vorfeld waren allerdings nicht alle von der Idee begeistert: Nur 70 Kilometer Luftlinie entfernt, im hessischen Geisenheim, wird der bis dahin einzige Weinbaustudiengang Deutschlands angeboten - und dort sah man keine Notwendigkeit für einen zweiten Lehrbetrieb. Im Gegenteil: In Hessen wuchs die Angst, die beiden Studiengänge könnten sich gegenseitig das Wasser abgraben. Für den Winzer und Vorsitzenden des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter in der Pfalz, Hans-Jörg Rebholz sind diese Sorgen aber unnötig:

    "Die ganze Weinbranche hat sich verändert. Es ist so, dass es durch den Strukturwandel deutlich weniger Kinder aus Weingütern gibt. Damit die Weinwirtschaft überleben kann, ist es wichtig, dass wir einen deutlich höheren Anteil an weingutsfremden Mitarbeitern bekommen als es vor 20 Jahren der Fall war."

    Abgesehen davon kommt es seiner Meinung nach in Zukunft außerdem auf die Güte der Ausbildung an: Der Qualitätswettbewerb in der Weinbrache ist hoch. Entsprechend erwartet er einen höheren Bedarf an umfassend qualifizierten Fachkräften.

    "Andererseits ist es so, dass im Qualitätsstreben nach oben sicherlich ein immer höherer Anteil an Arbeitskräften gefragt wird, weil viel mehr Handwerksarbeiten in Zukunft notwendig sind, um Qualität zu sichern."

    Die Pfälzer Weingüter, die die Studierenden in den Praxisphasen ausbilden, ziehen sich damit ihre Mitarbeiter von morgen heran. Winzer Hans-Jörg Rebholz zumindest ist überzeugt, dass die besten der Neustädter Studierenden schon vor ihrem Abschluss 2012 den ersten Job sicher in der Tasche haben.

    "Diese akademischen Mitarbeiter, die werden sicherlich in Zukunft ganz wichtig sein."

    Gute Aussichten also für die Weinbau-Einsteiger - und das sehen übrigens auch die Studierenden aus Geisenheim so. In ihrer Abschlussrede nannten die diesjährigen Absolventen den zweiten Studiengang "eine neue Zeitrechnung in der Weinbauausbildung": Einerseits sei es unumgänglich, sich stärker an der praktischen Wirklichkeit zu orientieren. Und andererseits entstehe dadurch ein Wettbewerb um bessere Bildung, der vor allem den Studierenden zu Gute kommt.