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Von Ali Baba bis Räuber Hotzenplotz

Landauf, landab warten die Opern zur Weihnachszeit mit speziellen Inszenierungen für Kinder auf. Ein Überblick über das Programm in Frankfurt, Köln und Berlin.

Von Christoph Schmitz | 22.12.2012
    Im Kinderprogramm der Frankfurter Oper ist es ein alter Putzlumpen, der das junge Publikum in die Welt der Oper führt. Im Treppenhaus holt die Handpuppe des Schauspielers Thomas Korte die wartenden Kinder ab ins Holzfoyer, wo mit geringen Mitteln die Kulissen aufgebaut sind, neben dem Klavier. Mehr Instrumente gibt es nicht. Der Klavierauszug muss reichen, was nicht unbedingt stört. Alles hier hat eh den Charme eines kleinen Puppentheaters, das auch tatsächlich mobil eingesetzt wird für Auftritte in den Schulen der Region. Der Putzlumpen der Frankfurter Oper schlüpft nun in die Rolle des Erzählers, des Lenzuolo da Bagno mit südländischem Akzent, und dann in die Rolle des alten Bartolo in Rossinis "Barbier von Sevilla".

    Vergnüglich wird das Verkleidungsspiel betrieben, werden die Kulissenelemente von den Sängern selbst flott umgebaut und die wichtigsten Arien und Ensemblestücke präsentiert. Spielerisch geht die Frankfurter Kinderoper mit der Musik um und verlockt die Kinder, mitzusingen.

    So vergnüglich diese "Barbier von Sevilla"-Inszenierung und -umarbeitung für Kinder oft ist, so hat diese Putzlumpen-Geschichte aber auch etwas Verstaubtes. Mit Albernheiten die Welt einer Erwachsenenoper klein, anschaulich, kommensurabel zu machen, wirkt pädagogisch leicht rückständig, ja bieder. Mehr Mut könnte nicht schaden.

    Auch nicht der Kinderoper in Köln bei ihrer aktuellen Opernversion des "Räuber Hotzenplotz" von Otfried Preußler. Die Kulissen in der Ausweichspielstätte im "Alten Pfandhaus" könnten mit ihrer Provinzstädtchen-Idylle auch aus einer alten Augsburger Puppenkiste stammen. Kasperl und Seppel sehen mit Lederhosen und Zipfelmütze aus wie die Illustrationen von Franz Josef Tripp in Preußlers Kinderbuch, das in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert. Immerhin ist die Räuberhöhle in Köln mit Videokameras überwacht, mit denen Hotzenplotz seine Verfolger beobachtet. Die Tricktechnik im Reich des Zauberers funktioniert bestens. Und die Sänger, wie auch in Frankfurt, sind gut besetzt. Regisseurin Eike Ecker scheucht sie wild durchs und rund ums Publikum. Prägnant, lakonisch, witzig ist die Komposition von Andreas Tarkmann. Vor drei Jahren wurde sie in Aachen uraufgeführt. Tarkmann ist ein erfahrener Tonsetzer für die Kinderoper. Sein "Hotzenplotz" klingt nach Kurt Weil und dessen Anti-Opern-Ästhetik.

    Dass ein richtiges Orchester spielt, hat viele Vorteile. Man hat nicht mehr das Gefühl, wie in Frankfurt, einer Sparversion beizuwohnen. Und die Mitglieder des Gürzenich-Orchesters unter Raimund Laufen machen musikalisch keine Kompromisse, nur weil's eine Kinderaufführung ist. Auch wenn diese Ausweichspielstätte viel zu eng ist, für alle.

    Weit, groß, großzügig, aufwändig, kompromisslos, was Anspruch, Kosten, Ausstattung angeht – so zeigt sich die Komische Oper in Berlin mit ihrem Programm für Kinder. Großes Orchester, große Bühne, Tänzer, Chöre, zahlreiche Statisten, Auftragskompositionen. Zurzeit "Ali Baba und die 40 Räuber" des in Berlin lebenden türkischen Komponisten Taner Akyol. Eine in jeder Hinsicht überbordende Inszenierung von Matthias Davids, ein Spezialist für üppige Musical- und Musik-Spektakel landauf, landab. Alles spielt auf einem riesigen Fliegenden Teppich, der mal vom Gewimmel eines orientalischen Bazars überflutet wird, auf dem Mal kärgliche, mal luxuriöse Wohnräume entstehen und natürlich die Goldhöhle der Räuber. Die Geschichte aus "1001 Nacht" wird sinnfällig. Seine besten Sänger bietet die Komische Oper auf und spart wirklich an nichts.

    Taner Akyols Musik verwebt neutönerische Klänge mit orientalischen Traditionen. Das Orchester entwickelt einen akustischen Teppich, in dem es ebenso wimmelt wie auf der Bühne. Es klopft und brummt und wummert unablässig. Mit suggestiver Kraft werden die zentralen Szenen markiert.

    Türkisch und deutsch wird im Wechsel gesungen. Es gibt viel Sprechgesang, aber viel versteht man nicht, auch wenn man weiß, was läuft. Eine Oper für alle im Vielvölker-Berlin. Deutliche Konturen erscheinen in der Musik aber eigentlich nur, wenn der Orient erklingt.

    Eigene Klangfarben entstehen leider nicht. Ein orientalisch angehauchtes Wimmelbild, immer nervös, gehetzt, überfrachtet. Zum Atemholen kommt diese Musik nie. Als hätte sie sich am eigenen Anspruch überhoben. Aber der Mut und die Kraft, mit denen ein solches Projekt nur gestemmt werden kann, sind erstaunlich.

    Ohne alle Opulenz, aber nicht weniger ambitioniert, geht es an der Staatsoper Unter den Linden zu mit dem "Tapferen Schneiderlein" des österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer. So liedhaft wie hier hört man diesen Schneider selten. Rein wie ein unschuldiger Jüngling klingt der Tenor des Finnen Benedikt Kristjánsson. Ein einziger Kontrabass des Staatsopernorchesters zupft die stoischen Synkopen. Darunter hat der Komponist Wolfgang Mitterer eine elektroakustische Spur aus Tönen, Lauten, Geräuschen und Stimmen gelegt. Die kommentieren das Geschehen, illustrieren es und verstärken die Stimmungen. Eher ein Soundtrack, als eine eigene musikalische Erzählung. Das Wesentliche passiert in den Stimmen, koloraturartige Exaltationen höchst angespannter Seelen, mit Bravour gesungen etwa von Paula Rummel als Prinzessin.

    Wolfgang Mitterer hat ein echtes Stück Musiktheater komponiert, ganz und gar zeitgenössisch und zugleich für Kinder verständlich, wie die Kakophonie aus faulem König, lästernden Ministern, verknallter Prinzessin und staunendem Schneider.

    Und der schon für seinen Bayreuther Kinder-Nibelungenring hochgelobte Regisseur Maximilian von Mayenburg zieht die Geschichte mit einer atemberaubenden Geradlinigkeit durch. Alles ist reine Spielfreude bei punktgenauer Personenführung. Mit dem "Tapferen Schneiderlein" zeigt die Staatsoper in der Werkstatt des Schillertheaters, was Kinderoper idealerweise sein kann.