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Von Amazonen und Jungfrauen

"Herausragende Frauen zeichnen sich häufig durch ihre Verruchtheit aus" und gelten oft als Grund für Sünde und Streit, schreibt Patrick J. Geary in der Einleitung zu seinem Essay über Ursprungsmythen.

Von Andrea Gnam | 17.01.2007
    Gearys geistreiches Buch geht von zwei bedenkenswerten Überlegungen aus. Die erste ist, dass Ursprungsmythen nicht über die Zeiten hinweg eine aus der Vergangenheit tradierte, unveränderliche Botschaft enthalten. Sie werden vielmehr nach den Bedürfnissen der Gegenwart zurechtgeschnitten und sagen in erster Linie etwas über die Zeit aus, in der sie erzählt werden. Meist geht es darum Herrschaftsansprüche aus der einer mythischen Herkunft herzuleiten und damit zu festigen. Die zweite Überlegung kommt immer wieder darauf zu sprechen, dass es sich um Texte handelt, also fiktionale Produkte. Sie spiegeln nicht unbedingt die Lebenswirklichkeit der Frauen aus der entsprechenden Zeit wieder, wohl aber reflektieren sie diese. Manchmal ist der Text ein Versuch aus männlicher Perspektive, Frauen aus der kollektiven Erinnerung an die Vorzeit zu tilgen. Dies ist gerade dann auch der Fall, wenn die zeitgenössischen Machtverhältnisse durch starke Herrscherinnen geprägt sind. Wenn Frauen also schon nicht aus öffentlichen Machtpositionen gedrängt werden können, dann wenigstens aus den Texten, schlussfolgert der Autor.

    Die "einzig ehrenvolle Möglichkeit" in der Antike "zu den Anfängen beizutragen und dann von der Szene zu verschwinden" war der - oft gewaltsame - Tod der Frau. Erst dann könne sich nämlich eine "angemessene männliche Zivilisation" entwickeln, beschreibt Geary die männliche Logik des Ausschlusses. Am nächsten kommt dem männlichen Traum von einer rein väterlichen Abstammung Athen: Der erste Mann entstammt aus der Erde, während die erste Frau künstlich geschaffen wird.

    Zentraler Bestandteil jedes ethnographischen Berichtes sind die Amazonen, die an den Ränder der bekannten Welt zu finden sind. Hierfür gibt es durchaus einen historischen Hintergrund, es existieren archäologische Zeugnisse über Frauen, welche mitsamt Schwertern, Dolchen oder in einem Fall, einem Köcher, beigesetzt wurden. Die Erzählung über die Amazonen gehorcht einem typischen Ablauf: Die Männer haben bei der Ordnung des Gemeinwesens versagt, so dass die Frauen die Macht ergreifen. Die Herrschaft muss jetzt im Kampf gegen die Frauen wieder errungen und die Ordnung neu hergestellt werden. Diese Erzählung findet sich um 1200 in fast jeder Vorgeschichte: Erst mit der Niederlage der Frauen kann die eigentliche Geschichte beginnen.

    Ambivalent besetzt ist die Prager Figur der Libuse, die wegen ihres Gerechtigkeitssinnes vom Volk als Richterin angerufen wurde. Als einmal der in einem Rechtsstreit Unterlegene klagt, wird daraus ein Generalangriff auf das Volk der Tschechen, das eine Frau als Herrscherin akzeptiert. Libuse unterwirft sich und heiratet, der Auserwählte erhält den Rang eines Herzogs und gründet am von Libuse vorhergesagten Ort die Stadt Prag. Cosmas, der zu Beginn des 12. Jahrhunderts die Chronik Böhmens schreibt, konstruiert aus Libuse unter Zuhilfenahme klassischer Texte, der Bibel und Autoren des Mittelalters eine vielschichtige Figur. In ihrer Tugend und der Wahrhaftigkeit ihres Urteilsvermögens ist sie zwar den Männern überlegen, aber ihr werden Zauberkünste angedichtet - es fehlt einfach der Mann, der sie kontrolliert. Ihre Autorität, die sie stets zum Guten einsetzt, ist also in gewisser Weise illegitim. Erst als sie stirbt und parallel dazu in der Nachbarstadt, Devin, der Stadt der Jungfrauen, die Kriegerinnen mit List überwältigt und vergewaltigt werden, endet die Vorgeschichte und die eigentliche Geschichte kann beginnen.

    Im Mittelalter ist oft der Aufstieg ganzer Familien von der Heirat einer Frau abhängig, die ihnen den Weg zu Einfluss und Prestige eröffnet. Eine Weile wird sie gefeiert, dann aber verschwindet sie aus der genealogischen Ordnung, die Erinnerung verblasst. Als überraschender Hoffnungsträger firmiert am Ende von Gearys Buch die Jungfrau Maria. Sie ist die einzige, die am Anfang steht und über die Zeiten hinweg, diese Position behaupten, ja ausweiten und festigen kann. Während die Evangelisten sich in der Konstruktion eines Stammbaumes für Joseph in heillose Widersprüchlichkeiten verwickeln und es auch hier bei der Diskussion eigentlich um die Herrschaftsansprüche konkurrierender Sippen handelt, die diese aus der Bibel ableiten wollen, wird schließlich Maria mit der begehrten Herkunft von David ausgestattet. Diese ist für das christliche Heilsverständnis von zentraler Bedeutung. Da aus den Genealogien unter Berufung auf den Kirchenvater Ambrosius sämtliche Frauen getilgt wurden, ist der Vorgang bemerkenswert. Mit der Aufwertung von Maria geht dann die Abwertung von Joseph einher, der auf Bildern als gebrochener Mann, eher wie ein Bediensteter, denn ein Ehemann erscheint. Der Aufstieg Marias kann allerdings, so der Autor, nicht als Beleg dafür gelten, dass Frauen zeitgleich in den ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends mehr Zugang zur Macht erhalten hätten, immerhin waren aber, im Gegensatz zur Antike autonome Frauen, so Geary abschließend, jetzt "zumindest denkbar".

    Patrick J. Geary:
    "Am Anfang waren die Frauen"
    (Verlag C.H. Beck)