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Von den Nationalsozialisten in den Tod gefoltert

In Sachen Demokratieverständnis und Pazifismus ging der Publizist Carl von Ossietzky keine Kompromisse ein. Die Nationalsozialisten sperrten ihn 1933 in ein Konzentrationslager, aus dem er 1936 entlassen wurde. Doch die gesundheitlichen Folgen der Lagerhaft waren so gravierend, dass Ossietzky vor 70 Jahren an diesen Folgen in einem Berliner Krankenhaus starb.

Von Christian Linder | 04.05.2008
    Im Herbst 1935 reiste der Schweizer Diplomat Carl Jacob Burckhardt nach Deutschland, um sich ein Bild von den Konzentrationslagern zu machen, die die Nationalsozialisten errichtet hatten. Im KZ Esterwegen, im Emsland gelegen, traf Burkhardt auf seinen Wunsch hin einen der prominentesten Insassen des Lagers, Carl von Ossietzky, seit 1927 Herausgeber der Zeitschrift "Die Weltbühne". Den einst selbstbewussten und mächtigen Publizisten erlebte Burckhardt als einen durch Folterungen gedemütigten, gebrochenen Mann.

    "Ein zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen."

    Auf Burckhardts besorgte Frage antwortete Ossietzky:

    "Danke, sagen Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald vorüber, bald aus, das ist gut. Ich wollte den Frieden."

    1889 in Hamburg geboren, kam Carl von Ossietzky erst auf Umwegen zum Journalismus. Nicht zuletzt auf Grund seiner Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg vertrat er derart offensiv pazifistische, aus einer politisch links stehenden, undogmatischen sozialistischen Gesinnung genährte Ansichten, dass seine Leitartikel zunächst in der "Berliner Volkszeitung", später in der Zeitschrift "Die Weltbühne" großes Aufsehen erregten. Sein Nonkonformismus kam nicht wie der Kurt Tucholskys, mit dem Ossietzky in der "Weltbühne" freundschaftlich zusammenarbeitete, literarisch verspielt daher, sondern sarkastisch und schnörkellos-aggressiv:

    "Anstatt dem dummen Michel die Schlafmütze um die Löffel zu hauen, bekränzt man seine Denkfaulheit mit Eichenlaubsalat."

    Gegen diese Dummheit und Faulheit schrieb Ossietzky an, wissend:

    "In Deutschland gilt derjenige als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn gemacht hat."

    Der Schriftsteller Arnold Zweig entdeckte in Ossietzkys Stil sein "bestes Selbstporträt":

    "Sein klares und geschmeidiges Deutsch, das sicher sitzende Wort, der knappe und locker schwingende Rhythmus seiner Sätze, die geheime Ironie seiner Anspielungen, ... der unerbittlich sitzende Florettstoß seines Angriffs."

    Privat lebte Ossietzky hingegen leise und defensiv. So haben ihn Freunde wie Rudolf Arnheim beschrieben:

    "Zurückhaltend und schweigsam, die Zigarette in der leise zitternden Hand, die Augen niedergeschlagen, wirkte er ... den Besuchern nicht leicht zugänglich."

    Man kann diese Zurückhaltung auch als Ausdruck seiner Wärme und Toleranz beschreiben. So erlebte Axel Eggebrecht, ein damaliger Mitarbeiter der "Weltbühne", Ossietzky auch als Redakteur:

    "Unter Ossietzky redigierte sich die Zeitschrift von selbst. Das ist natürlich nur möglich, wenn ein solches Blatt bereits einen sehr festen Charakter hat. Ossietzky war überhaupt kein gewöhnlicher Redakteur, er war ein blendender Leitartikler, ein exzellenter politischer Publizist - aber ich kann mich nicht entsinnen, dass Carl von Ossietzky einmal zu mir gesagt hätte, 'wir wollen doch mal über diesen Artikel sprechen.'"

    Die private Nachgiebigkeit verlor sich aber sofort, wenn Ossietzky seinen Kampf für einen radikaldemokratischen Sozialismus und Pazifismus aufnahm. Als er 1929 einen Artikel in die "Weltbühne" rückte, in dem ein Mitarbeiter die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufdeckte, wurde er als verantwortlicher Redakteur im sogenannten "Weltbühne"-Prozess wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Nur einer weihnachtlichen Amnestie für politische Häftlinge verdankte er es, nach 227 Tagen Haft wieder frei zu kommen. Dem Rat von Freunden, sich wie der mitangeklagte Autor des Artikels der Haft durch Flucht ins Ausland zu entziehen, hatte er sich verweigert:

    "Wenn man den verseuchten Geist eines Landes bekämpfen will, muss man dessen allgemeines Schicksal teilen."

    Hatte Ossietzky die politische Lage gegen Ende der Weimarer Republik falsch eingeschätzt und den kommenden Hitler unterschätzt, als er 1931 schrieb:

    "Dieser deutsche Duce ist eine feige, verweichlichte Pyjamaexistenz, ein schnell feist gewordener Kleinbürgerrebell ... Dieser Trommler haut nur in der Etappe aufs Kalbfell."

    Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 erlebte Ossietzky Hitler und die Nationalsozialisten in ihrer ganzen brutalen Hemmungslosigkeit: Er wurde verhaftet, erneut ins Gefängnis gesperrt und bald darauf ins Konzentrationslager verschleppt, um ihn als einen der gefährlichsten Oppositionellen vollends mundtot zu machen. Stets hatte Carl von Ossietzky dafür kämpfen wollen, wie er gegenüber Karl Jacob Burckhardt äußerte, den Frieden in der Welt durchzusetzen. Dafür wurde er 1936 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Die Nationalsozialisten verboten ihm zwar, zur Annahme des Preises nach Oslo zu reisen, entließen ihn aber wegen des weltweiten Echos auf die Ehrung aus dem KZ und wiesen den an Tuberkulose Erkrankten in das Berliner Krankenhaus Nordend ein - bewacht von einem vor dem Zimmer postierten Gestapo-Mann. Hier starb Carl von Ossietzky am 4. Mai 1938 an den Folgen der Tuberkulose und der Folterungen, die man ihm im Konzentrationslager zugefügte hatte.