Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Von der Beschneidung bei Juden und Muslimen

Bald soll die religiöse Beschneidung für jüdische und muslimische Kinder nach den Vorstellungen der Bundesregierung gesetzlich erlaubt sein. Doch die Befürworter und Gegner stehen sich beinahe unversöhnlich gegenüber.

Von Sebastian Engelbrecht, Luise Sammann und Mirko Smiljanic | 01.11.2012
    München, Klinik für Kinderchirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität. Es laufen die letzten Vorbereitungen für die medizinisch notwendige Beschneidung eines zweijährigen Jungen. Das Kind ist narkotisiert, außerdem wurde ihm nahe des Hauptnervs des Penis ein lokal wirkendes Betäubungsmittel gespritzt, weshalb er nach der Operation keine Schmerzen haben wird, erklärt Professor Maximilian Stehr, Oberarzt und Erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Kinderurologie in der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie:

    "Wenn dies dann geschehen ist, dann ist die Situation ja immer die, dass die Vorhaut nicht zurückstreifbar ist, das heißt, man muss hier mit relativer Gewalt, sanfter Gewalt, die Vorhaut über die Eichel zurückstreifen. Manchmal gelingt das nur, indem man mit einer zusätzlichen Klemme in die Öffnung vorne der Vorhaut hineinfährt und das etwas aufspreizt."

    Erste feine Risse der Schleimhaut sind zu sehen, etwas Blut fließt. Vorsichtig streift der Operateur die Vorhaut vollständig zurück.

    "Dann beginnt der eigentliche Akt der Beschneidung, man klemmt zunächst die Vorhaut an und umschneidet zunächst das äußere Blatt und schneidet dann in einem zweiten Akt das innere Blatt entlang der Kranzfurche, also der Stelle, die die Eichel sozusagen begrenzt hin zum Penisschaft, schneidet dann entlang dieser Kranzfurche dann das innere Vorhautblatt ab, und dann ist die Beschneidung als solche dann beendet."

    Zehn Minuten hat die Operation gedauert. Medizinisch ein vergleichsweise einfacher Eingriff, aber eben einer, der alle Kriterien einer vollwertigen Operationen erfüllt: von der Totalanästhesie über das – wie es Maximilian Stehr nennt – "Amputieren" eines Körperteils bis zum Vernähen der Wunde.

    Um Eingriffe dieser Art tobt ein heftiger Streit. Am 7. Mai befand das Landgericht Köln, dass zumindest die religiös motivierte Beschneidung eine strafbare Körperverletzung sei. Natürlich hatten die Richter in einem Einzelfall geurteilt, doch die Resonanz war gewaltig. Gegner wie Befürwortern des Rituals stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der Arzt Leo Latasch, Mitglied des Zentralrats der Juden, verweist auf die enorme Bedeutung der Beschneidung für das Judentum.

    "Sie gehört zum Wesen des Judentums, sie markiert den Eintritt in die jüdische Gemeinschaft und symbolisiert den Bund zwischen Gott und Abraham. Dieses Gebot der Beschneidung ist für Juden bindend. Wenn der achte Tag auf einen jüdischen Feiertag, der der höchste Feiertag des Judentums ist, fällt, wird auch an diesem Tag beschnitten, da gelten alle anderen Religionsgesetze nicht mehr."

    Manche Rabbiner sahen nach dem Urteil gar jüdisches Leben in Deutschland bedroht und verglichen das Verbot ritueller Beschneidungen mit der Verfolgung im Dritten Reich. Und der muslimische Arzt und Islamwissenschaftler Ilhan Ilkilic fügt warnend hinzu:

    "Eine strafrechtliche Ahndung dieser medizinischen Intervention würde aufgrund ihrer zentralen Bedeutung die Muslime nicht abhalten, diese zentrale Grundpflicht auszuüben."

    Religiös motivierte Beschneidungen würden künftig in Hinterzimmern unter fragwürdigen Bedingungen durchgeführt, befürchtet Ilkilic, außerdem wäre ein "Beschneidungstourismus" etwa in die Türkei die Folge.

    Die Bundesregierung war gefordert – und sie hat in einem Gesetzesentwurf zugunsten der Juden und Muslime gehandelt, über den morgen im Bundesrat debattiert wird. Laut Entwurf soll Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches – er regelt den "Inhalt und die Grenzen der Personensorge" – um einen neuen Passus erweitert werden:

    "Absatz 1:
    Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

    Absatz 2
    In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgemeinschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Abs. 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet sind und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.


    Zwei Absätze – angehängt an ein Gesetz, das kaum jemand kennt – sollen den fundamentalen Konflikt um rituelle Beschneidungen beilegen und Rechtsfrieden schaffen? Widerstand flammt weiter auf. Der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel etwa macht deutlich, dass das Sorgerecht der Eltern kein Freiheitsrecht sei, sondern allenfalls ein treuhänderisches Recht, das irreversible Eingriffe am Genital eines Kindes nicht deckt.

    "Ein Freiheitsrecht, autonom zu entscheiden und nur wegen dieser Autonomie, die Befugnis gewährt zu kriegen, in den Körper anderer Menschen einzugreifen, gibt es a limine von Anfang an nicht. Die Religionsfreiheit spielt daher für die Klärung unseres Problems keine direkte und keine eigene Rolle."

    In die gleiche Richtung argumentiert der Münchner Kinderchirurg Maximilian Stehr. Er vermisst bei religiös motivierten Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Knaben den medizinischen Nutzen. Der aber sei für einen an den hippokratischen Eid gebundenen Arzt unabdingbar. Gibt es keinen medizinischen Nutzen, dürfen Ärzte nach ihrem Standesrecht den Eingriff nicht durchführen. Denn sie müssen nach dem Grundsatz "primum non nocere" – vor allem nicht schaden – handeln. Überhaupt, sagt Stehr, sind die medizinischen und psychologischen Risiken von Beschneidungen vergleichsweise hoch.

    "Da muss man zunächst direkt postoperative Risiken sehen und das sind im Wesentlichen zunächst die Nachblutung und die Infektion."

    Die immerhin bei unter einem bis sechs Prozent aller Eingriffe auftreten. Neben diesen Komplikationen, gibt es aber auch Langzeitwirkungen, die erst seit ein paar Jahren ins Blickfeld gerückt sind.

    "Und dazu zählt vor allen Dingen ein messbarer Sensibilitätsverlust des äußeren Genitales, also des Penis, der Glans. Das wiederum hat Auswirkungen auf das sexuelle Erleben und auf die Sexualität des Betreffenden und das sollte man unbedingt ernst nehmen."

    Ein weiterer Kritikpunkt sind die Schmerzen, die das Baby während eines Eingriffs durch medizinisch ungeschulte Beschneider erleidet. Die Vorstellung, Säuglinge hätten ein vermindertes Schmerzempfinden, sei falsch.

    "In den letzten Jahren ist man durch intensive Schmerzforschung darauf gekommen, dass es sich so verhält, dass der Säugling dadurch, dass er bestimmte Filtermechanismen noch nicht aufbauen konnte, dem Schmerzereignis umso ausgelieferter ist und das dann auch weiter in traumatisierender Form das Leben prägt."

    Umso unverständlicher ist dem Kinderchirurgen Absatz 2 des § 1631 d, der bis zum Alter von sechs Monaten die Beschneidung durch medizinisch ungeschultes Personal erlaubt:

    "Ich denke, dieser Paragraf ist geschuldet der Tatsache, dass doch hier die religiösen Interessen im Wesentlichen im Vordergrund stehen und dementsprechend auch bedient werden sollen."

    Wären die Forderungen nach einer "Schmerzbekämpfung" und einer "fachgerechten Durchführung" allgemeiner Konsens, dürften jüdische Mohels – so nennen sich vom Rabbiner eingesetzte Fachmänner – künftig keine Beschneidungen mehr durchführen.

    Jenseits juristischer, ethischer und medizinischer Argumente, wird die Debatte aber auch ideologisch geführt. Wer das Recht auf religiös motivierte Beschneidung ablehne, habe ganz anderes im Sinn, vermutet Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

    "Es ist schon bezeichnend, dass gerade bei diesem Thema sich die Kinderrechtler zu Wort melden, wohingegen bei anderen Themen wie Kindesarmut oder Verwahrlosung, da kann die Debatte wesentlich intensiver geführt werden. Man bekommt schon den Eindruck, dass es manchen darum ging, nun endlich auch mal das sagen zu können, was sie sich immer vorgestellt haben, aber nicht getraut haben."

    Und Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, fügt hinzu.

    "Also, ich bin sehr traurig über die vermeintlichen fanatischen Experten, die nicht in juristischer oder medizinischer Hinsicht diskutieren, sondern ganz klar antisemitische und religionsfeindliche Argumentationsmuster suchen. Und ich glaube, das war äußerst überflüssig und hat unserem Land auch in der Welt nicht gut getan."

    Im Judentum wird ein Säugling mit der Beschneidung in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen. Der Ritus ist – wie die Taufe im Christentum – ein "Initiationsritus". Die große Mehrheit der Juden lässt ihre Söhne beschneiden – von den Ultraorthodoxen bis zu den Areligiösen. Selbst Staatspräsident Schimon Peres wandte sich im August in einem Brief an seinen deutschen Amtskollegen Joachim Gauck. Die Beschneidung, schrieb Peres, sei ein jüdisches Ritual, das – Zitat – "seit Tausenden von Jahren zentral für die jüdische Identität ist und einen Juden ausmacht". Er bat Gauck, sich in Deutschland für das Recht auf Beschneidung aus religiösen Gründen einzusetzen.

    In Israel findet das Ritual meistens in Festräumen statt, in Hotels oder Veranstaltungshallen. Mutter und Säugling ziehen sich nach der Beschneidung zurück, während die geladenen Gäste das Ereignis mit einem Festmahl feiern. In zwei Dritteln der Fälle beschneidet der Mohel, ein vom Rabbinat eingesetzter Fachmann. Das übrige Drittel findet in Arztpraxen oder Krankenhäusern statt. Menachem Fleischman ist ein erfahrener Mohel mit Bart und Kippah.

    "Zuerst trennt man die Haut vom Rest. Mit einem Metallbogen, der eine runde Spitze hat. Das tut nicht weh. Das hier ist das Beschneidungsmesser. Das ist so scharf, dass das Baby nicht mal den Schnitt merkt. Nach dem Schnitt kommt die Teilung mit dem Fingernagel. Die Haut muss nach beiden Seiten geteilt werden und unter die Eichel aufgerollt werden. Die Vorhaut ist etwas Verabscheuungswürdiges. Und deswegen schneiden wir sie ab."

    Dennoch: Unter nichtreligiösen jüdischen Israelis hat schon vor zwölf Jahren eine Debatte über die Beschneidung begonnen. Damals erschien ein Dokumentarfilm von Ari Libsker mit dem Titel "Beschneidung – der barbarische Konsens". Darin ging es um die Folgen von Fehlern, die bei Beschneidungen passieren. Fehler, die Folgen für das Sexualleben der betroffenen Männer haben können, worüber im Film zum Beispiel Roman Sirkin berichtete. Er wanderte in den 1990er-Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel ein, war unbeschnitten – und wollte nun sein, wie alle anderen jüdischen Israelis auch.

    "Ich habe das aus einer Art Pflichtbewusstsein herausgemacht. Aber auch aus mangelndem Wissen und vor allem wegen des gesellschaftlichen Drucks. Denn mir wurde gesagt, dass, wenn ich in die Armee gehen will und ein Teil der israelischen Gesellschaft sein will, dann muss ich mich beschneiden lassen, weil ich mich sonst fremd fühlen würde. Deswegen habe ich das gemacht. Und das war sehr dumm."

    Für Israelis wie Roman Sirkin gibt es mittlerweile eine Reihe von Internetforen. Hier tauschen sich die Beschneidungsgegner aus. Aber auch unter werdenden Eltern wächst die Skepsis am Sinn des Rituals. Gal Golan aus Tel Aviv zum Beispiel, eine nichtreligiöse Jüdin, zweifelt:

    "Es handelt sich hier um eine körperliche Verletzung des Kindes, die übrigens auch Schaden anrichten kann. Und das wurde schon bewiesen, dass es gewisse Schäden gibt. Es gibt einen definitiven Rückgang im sexuellen Genuss durch die Beschneidung. Manchmal entsteht auch ein richtiger Schaden durch die Beschneidung, ein körperlicher Schaden."

    Gal Golan ist Mutter einer Tochter. Sollte sie noch einen Sohn gebären, würde sie ihn nicht beschneiden lassen – zum Ärger ihrer Schwiegermutter. Aber Gal Golan ist nicht allein mit ihrer Haltung. Nach Schätzungen von Experten werden ein bis zwei Prozent der jüdischen Neugeborenen in Israel nicht mehr beschnitten. Eigentlich würde sogar ein Drittel der Eltern gern auf die Beschneidung verzichten. Am Ende aber unterwerfen sie sich und damit ihren Sohn doch der Tradition. Die meisten tun es, weil sie sich sorgen, ihr Junge könnte darunter leiden, "anders" zu sein als die große Mehrheit.

    "Anders" sein, das möchte auch in der muslimisch geprägten Türkei niemand mehr. Der Nachfolger des osmanischen Vielvölkerstaats – in dem einst ganze 72 ethnische und religiöse Gruppen lebten – zeigt sich heute möglichst homogen: türkisch, sunnitisch und – im Fall der Männer – beschnitten. Trotz wirtschaftlichen Aufschwungs und fortschreitender Modernisierung, trotz breiter Gräben zwischen Säkularen und Strenggläubigen: Die Sünnet, die Beschneidung von Jungen, steht am Bosporus nicht zur Diskussion.

    "In der Türkei sind fast 100 Prozent der muslimischen Männer beschnitten. Das heißt nicht, dass alle hier fünf Mal am Tag beten oder strengstens alle Gebote des Islam befolgen. Aber jede Familie lässt ihre Söhne beschneiden."

    Urologe Levent Özkan weiß, wovon er spricht. Im Sommer, wenn die Sünnet-Saison in Istanbul in vollem Gange ist, legt der Sohn des berühmtesten, inzwischen über 80-jährigen Beschneiders der Türkei im Minutentakt das Messer an.

    "Das hier ist der Özkan-Beschneidungs-Palast. Mein Vater hat ihn vor über 50 Jahren aufgebaut. Bis dahin waren Beschneidungen vor allem Sache von Friseuren und herumziehenden Zigeunern. Wenn die kamen, wurden im Dorf die Jungen zusammengetrommelt und beschnitten."

    Vater Özkan revolutionierte die Beschneidungskultur des Landes, beschnitt die Söhne von Ministerpräsidenten und Fußballstars, von religiösen und nicht religiösen Türken. Über 120.000 insgesamt. Heutzutage, weiß sein Sohn, bringen vor allem Städter ihre Sprösslinge längst nicht mehr zum Friseur, sondern ins Krankenhaus. Dann aber fällt oft die sogenannte Sünnet-Hochzeit weg. Das Fest, bei dem die frisch Beschnittenen im weißen Prinzenkostüm herumstolzieren und Süßigkeiten essen dürfen, so viel sie wollen. Im Özkan-Beschneidungspalast bekommen die Familien deswegen beides: Lokalanästhesie und Zuckerwatte, klinische Hygiene und Fußballhymne.

    "Wir organisieren die Beschneidung hier als Teil einer großen Feier. So sind die Jungen entspannt, die Familien können Gäste einladen und das Ganze wird zum Fest für die Kinder."

    Vier kleine Prinzen und ihre Familien haben sich heute im Festsaal des Beschneidungspalasts versammelt. Ein Clown mit giftgrüner Lockenperücke und Trillerpfeife im Mund hüpft aufgeregt auf der Bühne auf und ab, schwingt übertrieben die Hüften zu türkischer Livemusik. Doktor Özkan schlüpft in seinen Arztkittel.

    "Wir empfehlen die Beschneidung vor dem ersten oder nach dem sechsten Lebensjahr. In den Jahren dazwischen ist es schwierig, weil die Kinder noch nicht verstehen, was passiert. Am kompliziertesten aber ist es nach der Pubertät, wenn sie ihre sexuelle Identität entwickelt haben."

    Während der Urologe gründlich seine Hände desinfiziert, ruft der Clown die Jungen auf, wie die Kandidaten einer Quizshow. Vier achtjährige Prinzen stürmen auf die Bühne, aufgeregt stottert jeder seinen Lieblingsfußballverein ins Mikrofon. Eine der Mütter unten im Saal bricht schon jetzt in Tränen aus, die anderen halten tapfer ihre Kameras und Smartphones in die Luft. Nihans Sohn ist als erster an der Reihe, ihre Hand zittert leicht, aber sie reißt sich zusammen. Die 38-Jährige trägt nicht etwa Kopftuch und Schleier, sondern Ausschnitt und Pfennigabsätze. Um religiöse Pflichterfüllung geht es ihr bei der Beschneidung nicht.

    "Wir haben nur einen einzigen Sohn. Und heute macht er seine ersten Schritte, um ein Mann zu werden. Wir sind schon seit einer Woche unglaublich aufgeregt deswegen."

    Ob sie als säkulare Türkin je darüber nachgedacht hat, auf diese eigentlich religiöse Tradition zu verzichten? Mit der freien Hand winkt Nihan ab. Traumatisch, erklärt sie, fände sie es eher, wenn ihr Sohn Yunus als einziger Junge zwischen Mitschülern und Freunden, zwischen Cousins und Onkels nicht beschnitten wäre.

    Und dann ist es soweit: Der erste kleine Prinz nimmt breitbeinig auf einem rotgoldenen Sofa Platz. Während die Hymne seines Lieblingsvereins Galatasaray aus den Boxen dröhnt und Mutter Nihans Aufnahmen wackeliger werden, sitzt der schmächtige Yunus ganz ruhig da. Neugierig guckt er auf das Skalpell in Doktor Özkans Hand. Ein kleiner Schnitt, ein Tupfer – und schon knöpft der Arzt die Hose wieder zu.

    Einen Klaps auf den Po, eine Atatürk-Medaille und eine Dose Kirschsaft gibt's zur Belohnung. 38 Sekunden dauert die Szene in Mutter Nihans Videoaufnahme. Yunus strahlt. Er ist jetzt ein Mann.

    Die Türken mögen über das Kopftuch an Universitäten diskutieren, über ihren islamischen Ministerpräsidenten und die Vermischung von Religion und Politik. Doch über die Beschneidung ihrer Söhne streiten sie nicht.
    Umso ungläubiger schauen sie auf das, was in Deutschland vor sich geht. Nicht nur Europaminister Egemen Bağis sprach von der Verwunderung seiner Landsleute darüber, "dass die ungestörte Religionsausübung in Deutschland nicht mehr gewährleistet" sei. Die meisten Türken stimmen ihm zu.

    Wann sich nach dem Bundesrat morgen der Bundestag mit dem Gesetzesentwurf befassen wird, ist noch nicht bekannt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung möchte das Thema aber möglichst schnell abhandeln, weshalb mit großer Wahrscheinlichkeit noch in diesem Jahr ein Termin gefunden wird. Ob bei der Abstimmung der Fraktionszwang aufgehoben wird – wie es unter anderem der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, fordert – ist noch unklar. Einige Abgeordnete haben sich mit entsprechenden Bitten an Bundestagspräsident Norbert Lammert gewandt, der einen "breiten Meinungsbildungsprozess ohne zeitlichen Druck und unter Beteiligung externer Experten" ermöglichen möchte.