Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Von der Hüterin zur Ausputzerin

Die Europäische Zentralbank (EZB) gilt als Hüterin des Euro. In 2012 hat sie im Krisenmanagement jedoch die Ausputzerin spielen müssen. Die reine Geldpolitik ist in den Hintergrund getreten. Ein Rückblick.

Von Brigitte Scholtes | 27.12.2012
    Sie ist die Hüterin der Währung. Aber die Europäische Zentralbank ist seit der Schuldenkrise viel mehr, hat eine viel weitergehende Rolle im Eurowährungsgebiet übernommen, meint Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz:

    "In dem Krisenmanagement hat die EZB häufig den Ausputzer spielen müssen, weil die Politik entsprechende Schritte zur Stabilisierung der Staatsfinanzen nicht in dem erforderlichen Umfang hat vornehmen können. Und so kam es dazu, dass die Politik der EZB immer stärker auf die Stabilisierung der Märkte für Staatsanleihen sich ausrichtete. Man mag das kritisieren, aber die Alternative ist nicht klar erkennbar."

    Die reine Geldpolitik ist also in den Hintergrund getreten. Die Unruhe an den Kapitalmärkten, die sich an den hohen Risikoprämien für die Anleihen der Eurokrisenländer zeigte, dämmte Ende Juli EZB-Präsident Mario Draghi ein. Da versicherte er Ende Juli in bis dahin nicht gekannter Deutlichkeit, die EZB werde innerhalb ihres Mandats alles tun, was erforderlich sei, um den Euro zu retten. Und das werde ausreichend sein:

    "”Mit ihrem Mandat ist die EZB in der Lage alles zu tun, was den Euro bewahrt. Und glauben Sie mir, das wird ausreichen.""

    Für erforderlich hielt die EZB bekanntlich ein zweites Anleihekaufprogramm, das OMT-Programm, dass die Staaten sehr viel stärker in die Pflicht nimmt als bisher: Auch kritische EZB-Beobachter wie Michael Hüther, Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft, erkennen inzwischen an:

    "Sie hat natürlich ein Signal gesetzt, sie steht zu dieser Währung. Das hat glaubwürdige Reflexe an den Kapitalmärkten ausgelöst. Das stabilisiert aber auch die anderen Politikbereiche, weil es ihnen im Grunde Raum gibt. Und insofern ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass sie diese Rolle wahrnimmt. Aber klar muss auch sein, die Finanzpolitik kommt nur wieder nach vorn, wenn sie ihren Auftrag zur Sanierung auch entsprechend umsetzt."

    Diese Ruhe an den Märkten hält immer noch an. Aber die Spätfolgen werden sich zeigen, glaubt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH:

    "Was die Märkte derzeit beruhigt, ist die Aussicht, dass die EZB diese Anleihen schlechter Schuldner aufkauft und mit neu gedrucktem Geld bezahlt. Das ist natürlich der Weg in die Inflation. Das wird begrüßt auf den Aktienmärkten, aber das wird natürlich negative Effekte haben für viele Bürger im Euroraum."

    Viele EZB-Beobachter erkennen aber an, dass die Notenbank in diesen Zeiten zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen muss, so auch Uwe Aengenendt, Chefvolkswirt der BHF-Bank:

    "Der Test kommt ja ohnehin erst, wenn die EZB wieder aus diesen Maßnahmen aussteigen muss. Insofern wird sich dann erst erweisen, ob die EZB stark genug ist."

    Ihre politische Unabhängigkeit steht dann auf dem Prüfstand. Michael Heise von der Allianz:

    "Ich habe keine Zweifel, dass in einer Situation, wo die konjunkturelle Lage sich stabilisiert, wo die Banken wieder aus dem Gröbsten wirklich heraus sind und wieder Interbankengeschäft normalisiert hat, dann die Inflation womöglich ein wenig anzieht, was wir im Moment ja noch nicht sehen, dass dann die EZB auch diese Liquidität wieder abschöpfen wird und auch Zinsen erhöhen wird, das halte ich für sehr wahrscheinlich. Insofern ist die Inflation derzeit nicht meine Hauptsorge."

    Auch in anderer Hinsicht wird die EZB unter Beobachtung bleiben. Denn sie wird auch noch die oberste Bankenaufsicht in Europa wahrnehmen. Damit erfährt sie einen weiteren Machtzuwachs. Die EZB will entsprechende Vorkehrungen treffen, dass ihre Unabhängigkeit dadurch nicht gefährdet ist. Doch ihre Kritiker werden ihr vermutlich noch mehr auf die Finger schauen als bisher schon.