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Von der kleinen zur großen Kopfpauschale

Mit den Zusatzbeiträgen werde ein "Weg zur Entsolidarisierung beschritten", der einseitig die Versicherten belaste, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Birgitt Bender. Sie gehe davon aus, dass Gesundheitsminister Rösler diese "kleine Kopfpauschale als Testfeld ansieht für eine große Kopfpauschale".

Birgitt Bender im Gespräch mit Gerd Breker | 05.02.2010
    Gerd Breker: Im Streit über die Zusatzbeiträge werfen die Apotheker den gesetzlichen Krankenkassen eine Verschleierung ihrer Finanzlage vor. Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes Fritz Becker sagte der "Bild"-Zeitung von heute, die Krankenkassen würden Einsparungen durch Arzneimittelrabattverträge nicht an die Versicherten weitergeben. Mit dem Geld könnten Millionen Versicherte entlastet werden, die jetzt von Zusatzbeiträgen bedroht sind. Mehrere Kassen wollen ja von ihren Mitgliedern Zusatzbeiträge erheben, die auch den bislang erwarteten Umfang von acht Euro überschreiten. Zusatzbeiträge müssen Kassen immer dann erheben, wenn sie mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Birgitt Bender, sie ist die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag, Frau Bender.

    Birgitt Bender: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Auf vier Milliarden Euro wird das Defizit der Krankenkassen geschätzt. Als Kostentreiber galten bislang die Arzneimittel, die Krankenhäuser und die Ärztehonorare. Kommen nun die Krankenkassen selber mit hinzu?

    Bender: Nein. Hier wird gezielt mit Nebelkerzen geworfen. Die Krankenkassen sind ja keine Ölkonzerne und keine Kaffeeröster, die versuchen, einen bestimmten Preis am Markt durchzusetzen, sondern die stehen unter engster Kontrolle der Politik. Der allgemeine Beitragssatz wird ihnen vorgeschrieben von der Regierung und das Erbe der Großen Koalition ist so, dass dieser Beitragssatz bewusst und gewollt die Kosten der Kassen nicht decken soll. Daran hat die neue Regierung nichts geändert und deswegen werden jetzt Kosten einseitig auf die Versicherten verschoben, indem die Kassen eben Zusatzbeiträge erheben. Das ist keine Willkür, sondern im System so eingebaut.

    Breker: Also haben die Apotheker nicht Recht, die Verwaltung der Krankenkassen ist nicht zu teuer und mehr Transparenz braucht es da auch nicht?

    Bender: Die Kassen müssen ihre Haushalte vorlegen, einmal im Jahr bei einer Behörde - das Bundesversicherungsamt ist das -, müssen die sich genehmigen lassen und müssen insofern auch Zusatzbeiträge genehmigen lassen. Also da ist engste Kontrolle bereits vorhanden. In einem Punkt haben die Apotheker Recht: Die Rabattverträge sind bisher nicht transparent. Das sieht man auch daran, dass sie selber ja wilde Spekulationen in die Welt setzen darüber, wie viel Einsparpotenzial daraus eigentlich resultiert, und Tatsache ist, dass das niemand genau weiß. Hier wäre der Gesundheitsminister in der Pflicht, tatsächlich mal eine Bilanz vorzulegen der Rabattverträge, welche Veränderungen auf dem Arzneimittelmarkt haben die bewirkt, welche Einsparungen werden dadurch bewirkt und wie kann deswegen auch die Zukunft dieser Rabattverträge aussehen.

    Breker: Zumal die Arzneimittel ja als Kostentreiber gelten. Man erwartet, haben wir eben gehört, eine Steigerung in diesem Jahr von bis zu sechs Prozent, gerade bei diesen Arzneimittelkosten.

    Bender: Ja, in der Tat. Allerdings muss man zwei Arten von Arzneimitteln unterscheiden. Die Rabattverträge beziehen sich in der Regel auf Arzneimittel, die sogenannte Nachahmerpräparate sind. Das heißt, da ist der Patentschutz abgelaufen und dann wird dieses Präparat mit dem gleichen Wirkstoff billiger produziert und durch Rabattverträge dann im Zweifelsfalle noch mal ein niederer Preis angeboten im Gegenzug dafür, dass dann an viele Versicherte dieses Präparat verkauft werden kann. Hier ist es wohl so, dass die Rabattverträge Einsparungen erbracht haben. Wir wissen wie gesagt nicht genau, wie viel. Der größere Kostentreiber sind aber Arzneimittel, die ganz neu auf den Markt kommen, die versprechen, dass sie jetzt bei einer Krankheit sehr viel besser helfen als ein anderes, und wo dann der Hersteller seinen Preis frei festsetzen kann. Da kommt es zu Mondpreisen, ohne dass wir überhaupt wissen, ob denn das neue Präparat den Patienten wirklich so viel nützt. Und das ist ein Problem, das dringend angegangen werden muss.

    Breker: Sie haben es eben gesagt, Frau Bender: Die sogenannten Zusatzbeiträge verdanken wir der Großen Koalition. Sie sind als Zusatzbeitrag auch so eine kleine Kopfpauschale, und das scheint dem neuen Gesundheitsminister ja entgegenzukommen, denn er will ja den Systemwechsel.

    Bender: Ich gehe davon aus, dass der Gesundheitsminister diese kleine Kopfpauschale in der Tat als Testfeld ansieht für eine große Kopfpauschale. Hier ist ja der Weg zur Entsolidarisierung beschritten. Es werden einseitig die Versicherten belastet durch eine kleine Kopfpauschale und die kann ja nach und nach immer größer werden. Dann sind wir irgendwann bei der großen Kopfpauschale.

    Breker: Aber, Frau Bender, Entschuldigung, muss man nicht grundsätzlich sagen, es ist eigentlich richtig, die Gesundheitskosten von den Kosten der Arbeit zu trennen?

    Bender: In der Tat haben wir in Deutschland das Problem, dass nur der Faktor Arbeit die Gesundheitskosten trägt. Das sollte man ändern, aber nicht so, wie es der Gesundheitsminister will, indem er die Arbeitgeber nicht weiter belasten will und alles auf die Versicherten verschiebt, via Einheitsbeitrag, Kopfpauschale, sondern indem wir alle Menschen, auch die, die jetzt privat versichert sind, die gut verdienen, die gesund sind, mit all ihren Einkommen in das Solidarsystem einbeziehen - so ist das in anderen Ländern -, und dann hätten wir eine wesentlich breitere und nachhaltigere Finanzierungsgrundlage.

    Breker: Nun wissen wir ja, dass ein Defizit von vier Milliarden auf die Kassen zukommen wird in diesem Jahr. Sollte der Staat da mehr zulegen?

    Bender: Es ist jetzt bereits ein relativ hoher Steuerzuschuss in der gesetzlichen Krankenkasse, und dieser Steuerzuschuss ist ja letztlich auf Pump finanziert. Denn bekanntlich haben wir die höchste Staatsverschuldung aller Zeiten. Vor diesem Hintergrund scheint mir ein noch höherer Steuerzuschuss nicht wirklich zu einer verlässlichen Finanzierung zu führen. Deswegen wäre es ehrlicher, in der jetzigen Situation den Beitragssatz anzuheben, sodass auch die Arbeitgeber mitfinanzieren. Mittelfristig muss man eben auch Beiträge auf andere Einkommen wie etwa Kapitalerträge, Selbständigeneinkommen und so weiter erheben, um dadurch die Finanzierbarkeit in die Zukunft sicherzustellen.

    Breker: Frau Bender, die Einnahmeseite, das ist das eine. Das andere ist die Ausgabenseite. Müsste hier nicht auch wesentlich mehr geschehen als bislang?

    Bender: In der Tat! Das Thema Arzneimittelmarkt war bereits angesprochen. Es geht darum, dass nicht jedes neue Präparat gleich von den Krankenkassen erstattet wird mit dem Preis, den der Hersteller setzt, sondern dass die Kosten im Verhältnis zum Nutzen gestellt werden und, solange das überprüft wird, nur eine vorläufige Erstattungsfähigkeit gegeben ist. Es geht auch darum, dass gerade bei Menschen mit chronischen Krankheiten, mit mehreren Krankheitssymptomen diejenigen, die sie behandeln - Krankenhäuser, Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten - viel enger zusammenarbeiten. Wir brauchen sehr viel mehr Behandlungsketten, Versorgung aus einer Hand. Dann wird nicht so viel doppelt, nebeneinander her und gegeneinander gemacht, denn darunter leiden die Menschen. Es würde ihnen besser gehen und es würde auch helfen, Geld zu sparen, wenn wir auf diese Weise mehr Effizienz in der Versorgung organisieren.

    Breker: Besteht nicht, Frau Bender, grundsätzlich der Trend, angesichts der demografischen Entwicklung in diesem Lande, dass Gesundheit immer teuerer werden muss?

    Bender: Auf die Dauer wird Gesundheit sicherlich nicht billiger werden, aber im Moment müssen wir noch davon ausgehen, dass das Geld nicht an der richtigen Stelle ausgegeben wird und dass wir dafür sorgen müssen, dass das Geld genau dahin fließt, wo die Leute es brauchen: in einer guten Versorgung. Das heißt, diese Effizienzreserven, die sollten erst mal ausgeschöpft werden, bevor wir über Kostensteigerungen philosophieren.