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Von der Leyen in der Kritik
"Die Ministerin hat ihre Lage nicht unbedingt verbessert"

Mit ihrer Kritik an der Führung der Bundeswehr habe Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ohne Not etliche Soldaten vor den Kopf gestoßen, sagte der Sicherheitsexperte Thomas Wiegold im DLF. Im Fall des terrorverdächtigen Soldaten Franco A. müssten noch einige erklären, wie dieser Berufssoldat werden konnte.

Thomas Wiegold im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 02.05.2017
    Thomas Wiegold, Journalist, Blogger und Verteidigungsexperte am 08.05.13 in Berlin
    Thomas Wiegold, Journalist, Blogger und Verteidigungsexperte am 08.05.13 in Berlin (imago stock&people)
    Ann-Kathrin Büüsker: Über die Kritik an der Verteidigungsministerin habe ich vor dieser Sendung mit Thomas Wiegold gesprochen. Er ist Journalist mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik und publiziert unter anderem auf seiner Seite www.augengeradeaus.net. Ich habe ihn gefragt, ob die Kritik an Ursula von der Leyen gerechtfertigt ist.
    Thomas Wiegold: Nun, ob sie gerechtfertigt ist, will ich jetzt an der Stelle noch gar nicht mal beurteilen. Sie ist allerdings verständlich. Es gibt viele Soldaten, die fühlen sich von dieser pauschalen Kritik an ihnen, an dem ganzen Apparat Bundeswehr doch schon sehr getroffen und sagen, da schert die Ministerin alles über einen Kamm. Und übrigens: Wenn die Ministerin sagt, Führungsversagen, Führungsschwäche und Ähnliches, wer steht denn an der Spitze; das muss doch wohl die Ministerin der Verteidigung sein. Insofern hat sie da, glaube ich, auch etliche Soldaten ohne Not vor den Kopf gestoßen.
    Büüsker: Sie hat jetzt im Interview mit den Tagesthemen noch mal angesprochen, dass sie insbesondere die Haltung und die Führung vor Ort meint. Wie ist das denn aus Ihrer Sicht? Hat die Bundeswehr da im Lokalen ein Problem auf der Führungsebene?
    "In einer Kaserne ist nach dem Dienstschluss kein Vorgesetzter mehr anwesend"
    Wiegold: Nun, die Bundeswehr hat über Jahrzehnte immer wieder Probleme gehabt mit Schikanen in der Ausbildung, mit entwürdigenden Vorfällen. Das ist ja nichts, was sich jetzt erst in den letzten Monaten oder letzten Jahren gezeigt hätte. Das gab es vor Jahrzehnten schon. Insofern ist es natürlich richtig, dass der jeweilige Minister, dass auch die Führung der Bundeswehr an der Stelle immer wieder genau hinguckt und auch versucht, solche Fälle auszuräumen. Es gibt allerdings ein Problem, das höre ich von vielen Soldaten, was sich in den vergangenen Jahren zugespitzt hat. Die Bundeswehr ist verkleinert worden, es sind Standorte geschlossen worden, es gibt neue Arbeitszeitregelungen, und dann kommt es dazu, dass in einer Kaserne nach dem Dienstschluss um 16:30 Uhr oder 17 Uhr gar kein Vorgesetzter mehr anwesend ist. Der wohnt nämlich nicht in der Kaserne, der hat auch Dienstschluss und dann guckt niemand, was manche jungen Leute dann noch treiben.
    Büüsker: Nun hat die Bundeswehr ja auch nach wie vor ein Problem damit, ausreichend Nachwuchs zu bekommen. Ist das vielleicht auch so ein Grund dafür, dass dann an der einen oder anderen Stelle mal das Auge zugedrückt wird, wenn irgendwas vorkommt?
    Wiegold: Ob deswegen das Auge zugedrückt wird, soweit würde ich nicht gehen. Es ist allerdings schon so, dass die Bundeswehr, weil sie in bestimmten Bereichen Nachwuchsprobleme hat, sagt, ja, okay, Hauptsache die Leute kommen, dass vielleicht an manchen Stellen nicht so gesiebt wird, wie sonst gesiebt werden würde, wenn sie aus dem Vollen schöpfen könnte. Insofern: Es sind so einige kleine Probleme, die sich gegenseitig hochschaukeln. Sicherlich trägt auch Bürokratie dazu bei. Es gibt Vorgesetzte, auf niedriger Ebene Kompaniechefs, die sagen, ich habe so viel Papierkram zu erledigen, ich kann mich gar nicht mehr um meine Leute kümmern, und an solchen Stellen müsste man vielleicht eher ansetzen.
    Büüsker: Jetzt haben Sie schon gesagt, viele kleine Probleme, die sich dann zu etwas ganz Großem zusammensummieren. Können wir festhalten, dass die Bundeswehr wirklich Reformbedarf hat an diesen Stellen?
    "Das ist nicht die Ministerin, zu der wir unbedingt Vertrauen haben"
    Wiegold: Die Bundeswehr hat sicherlich Reformbedarf, aber auch das ist nicht neu. Das ist eigentlich ein permanenter Prozess, dass sie an solchen Stellen gucken muss. Die Frage wäre eher anders herum, ob die Reduzierung der Bundeswehr bei teilweise mehr Ausgaben – es sind ja zum Beispiel nicht weniger Auslandseinsätze geworden -, ob dieser Abbau von Personal und gleichzeitig mehr von den Leuten verlangen, mehr zumuten, ob da so eine Schere klafft, bei der manche Dinge unter den Tisch fallen.
    Büüsker: Rainer Arnold von der SPD, der hat heute Morgen im Deutschlandfunk gesagt, die Ministerin habe das Vertrauen der Soldaten verspielt durch diese pauschale Kritik von Ministerin von der Leyen. Wie ist das aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich? Ist Ursula von der Leyen als Ministerin in der Truppe akzeptiert?
    Wiegold: Das ist eine Frage, die sich nach diesem Wochenende vielleicht noch ein bisschen anders stellt. In der Tat ist mein Eindruck, dass viele Soldaten, die zuvor gesagt haben, na gut, sie holt mehr Geld raus, es gibt mehr Material, das ist doch eigentlich positiv für uns, dass viele von denen jetzt sagen, diese Ministerin, die uns alle so in den Senkel stellt, das ist nicht die Ministerin, zu der wir unbedingt Vertrauen haben. Insofern hat sie, glaube ich, ihre eigene Lage gegenüber der Truppe in den letzten Tagen nicht unbedingt verbessert.
    Büüsker: Nun hat sie extra ihre USA-Reise abgesagt, um das Ganze aus dem Weg räumen zu können, hat dann heute auch der Tagesschau einen O-Ton gegeben, taucht in den Tagesthemen in einem Interview auf. Es scheint ihr also bewusst zu sein, dass da was falsch gelaufen ist.
    "Beim Thema Rechtsextremismus kann es keine Toleranz geben"
    Wiegold: Das ist offensichtlich der Eindruck. Das ging ja am Wochenende los mit dem ZDF-Interview, wo erstmals diese Begriffe mit Führungsschwäche und Problem mit der Haltung fielen. Dann hat sie in einem offenen Brief im Internet auf den Webseiten des Ministeriums am Montag nachgelegt. Jetzt die Interviews. Morgen dann nach Illkirch. Da geht es dann nicht um Schikanen, um Ausbildungsprobleme, sondern da geht es um Rechtsextremisten, um den Fall des Oberleutnants, der sich als syrischer Flüchtling ausgab und möglicherweise Terroranschläge plante. Ein bisschen ist auch das Problem, dass diese verschiedenen Dinge miteinander vermischt werden. Ich denke, beim Thema Rechtsextremismus, Rechtsradikale, rechte Straftäter, da kann es keine Toleranz geben vonseiten der Führung des Ministeriums. Aber das hat nicht direkt zu tun mit erkannten Problemen in der Führung oder in der Ausbildung. Von daher ist es vielleicht ein bisschen schade, dass auch von der Ministerin selbst diese Dinge so als ein großer Problemkomplex zusammengerührt werden.
    Büüsker: Dann, würde ich sagen, machen wir gemeinsam einen Haken hinter den Themenschwerpunkt Struktur und gucken auch noch mal gemeinsam auf den Themenschwerpunkt Rechtsextremismus. Sie haben angesprochen den Fall Franco A. Wie ist das grundsätzlich in der Bundeswehr? Hat die ein Problem mit rechtsextremen Einstellungen?
    "Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Das ist kein neues Phänomen"
    Wiegold: Die Bundeswehr hat ein bisschen das Problem, dass sich sicherlich Leute mit rechtsextremer Einstellung eher zur Truppe hingezogen fühlen, den Umgang mit Waffen. Das Militärische liegt solchen Leuten sicherlich ein bisschen eher. Und das wiederum ist auch etwas, womit die Bundeswehr schon lange kämpft. Es gab zum Beispiel vor der Jahrtausendwende in den späten 90er-Jahren einen Untersuchungsausschuss im Bundestag zu Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Das ist kein neues Phänomen und das ist wichtig: Es ist kein Problem, das erst nach Abschaffung der Wehrpflicht entstanden wäre. Das muss man eigentlich immer im Hinterkopf behalten und das ist eine permanente Aufgabe. Der jetzt bekannt gewordene Fall – noch ist ja alles im Zuge der Ermittlungen, aber das Ministerium hat heute dem Verteidigungsausschuss ein umfangreiches Informationspaket geschickt und da stehen schon interessante Dinge drin, zum Beispiel über die Masterarbeit, die dieser Oberleutnant geschrieben hat an einer französischen Militäruniversität, wo ein Gutachter, ein deutscher Dozent dann sagte, das ist ganz klar rassistisches Gedankengut, da sind wir nicht mehr nur bei einer rechten, einer rechtsextremen Haltung, sondern das ist ganz klar rassistisch. Trotzdem ist dieser Soldat dann als Berufssoldat übernommen worden. Das sind so Dinge, wo die Ministerin offensichtlich sagt, wie konnte das geschehen und das möchte ich doch aufgeklärt wissen.
    Büüsker: Und wie erklären Sie sich, dass so was passieren konnte?
    Falsch verstandene Toleranz auf verschiedenen Ebenen
    Wiegold: Es gab in diesem einzelnen Fall offensichtlich die Einschätzung, nun gut, wir haben mit ihm darüber geredet, er hat gesagt, hui, das habe ich doch gar nicht so gemeint, und wenn wir jetzt ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten, dann verbauen wir ihm den Weg zum Berufssoldaten. Da ist auch vielleicht ein bisschen falsch verstandene Toleranz auf verschiedenen Ebenen übrigens praktiziert worden und dass man nicht gesagt hat, das sollten wir uns genauer angucken, wir stellen diese Ernennung zum Berufssoldaten vielleicht mal zurück, sondern wir wollen ihm die nicht verbauen.
    Büüsker: Also eigentlich beide Augen zugedrückt?
    Wiegold: Man hat eigentlich beide Augen zugedrückt, und zwar bis relativ hoch in der Führung. Das war nicht nur auf einfacher Ebene. Von daher werden da vielleicht einige Leute der Ministerin auch noch mal erklären müssen, wie es dazu kommen konnte.
    Büüsker: So die Einschätzung von Thomas Wiegold. Er ist Journalist mit Schwerpunkt Bundeswehr und wir haben über die Kritik an der Verteidigungsministerin und den Fall Franco A. gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.