Freitag, 19. April 2024

Archiv

Von der Maas zur Mosel
Unterwegs mit dem literarischen Hausboot "Ange Gabriel"

Literarische Abende und Filmvorführungen in gemütlichem Rahmen an Bord eines Schiffs: Das war das Ziel des französischen Literaturprojekts "Passerelles d'Europe – Brücken für Europa". Das Hausboot "Ange Gabriel" will pünktlich zur Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt am Main anlegen.

Von Susanne von Schenck | 08.10.2017
    Das literarische Hausboot "Ange Gabriel"
    Das literarische Hausboot "Ange Gabriel" (Deutschlandradio / Susanne von Schenck)
    Sechs Uhr früh an Bord des Hausbootes "Ange Gabriel". Marie Hélène Caroff, Organisatorin von "Passerelles d’Europe - Brücken für Europa", bereitet in der Schiffsküche das Frühstück vor.
    Am anderen Ende des ehemaligen Frachtkahns wirft Albert Pagnoly den Motor an.
    "Er wurde 1956 gebaut, ist 38 m lang und etwa fünf Meter breit. Lange Zeit wurden damit Waren transportiert."
    Nach dessen Verkauf bauten die neuen Eigentümer ihn zu einem Hausboot um, und Marie-Hélène Caroff, die die Idee mit der Bootstour auf Europas Flüssen hatte, war begeistert, als sie das Schiff im belgischen Namur entdeckte. Für gut sechs Wochen dient es nun als Schriftstellerresidenz und Veranstaltungsort. Acht Personen können dort schlafen, zu Veranstaltungen kommt das Publikum dann an Bord.
    "Wir brauchten ausreichend Kabinen, um die Schriftsteller unterzubringen, einen großen Gemeinschaftsraum fürs Publikum und die Möglichkeit für jeden, sich auch mal zurückzuziehen. Als wir dann dieses Schiff ganz aus Holz sahen, war es klar: das ist es. Solche Hausboote gibt es kaum noch. Das macht die Originalität unseres Projektes aus – an Bord eines Schiffes zu reisen, das nur ganz langsam vorankommt."
    "Im ehemaligen Laderaum essen wir, und dort schließt sich gleich die Küche an", sagt Olivier Rolin, Schriftsteller, Reisender und spiritus rector des Projekts. Er wird die ganze Zeit über auf dem "Ange Gabriel" mitreisen und am 11. Oktober, zur Eröffnung der Buchmesse, in Frankfurt Schriftsteller auf dem Schiff empfangen.
    Autoren zum etappenweise Mitreisen eingeladen
    "Brücken für Europa - das heißt, wir begegnen uns, wir tauschen uns aus und lernen uns kennen."
    Olivier Rolin, 70 Jahre alt und mit seinen Romanen "Meroe" und "Der Meteorologe" auch in Deutschland kein Unbekannter, hat zahlreiche Autoren etappenweise auf das Schiff geladen – zum Mitreisen, zu Lesungen und Gesprächen an Bord. Zum Beispiel Jean Echenoz, Autor eines gefeierten Romans über den Ersten Weltkrieg. Er ist in St. Mihiel zugestiegen, einem kleinen Ort 30 km südlich von Verdun – eine Region, in der die Kriege ihre Spuren hinterlassen haben.
    "Ich habe, anders als Olivier Rolin, gar kein Talent zum Reisen. Daher entspricht mir diese gemächliche Tour sehr. Man lässt die Maschine, das Wetter, die Landschaft einfach gewähren. Das ist übrigens eine Region Frankreichs, die ich immer schon mal besuchen wollte, als ich meinen Roman "14" über den Ersten Weltkrieg schrieb. Denn hier sind wir genau in dieser Gegend."
    Gemächlich fährt der "Ange Gabriel" erst auf der Maas und dann in einen Seitenkanal. Zwischendurch legt das Schiff in Commercy an, einem kleinen Ort mit einem riesigen Schloss. Und: Ein Gebäckstück aus Commercy ging in die Weltliteratur: Die Madeleines, deren Geschmack beim Ich-Erzähler von Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" einen Erinnerungsstrom auslöste.
    16 Schleusen auf 30 Kilometern
    Die Landschaft gleitet vorüber, weidende Kühe, ein paar Reiher auf einer Wiese, ab und zu ein Kirchturm. Die beiden Schriftsteller haben sich aufs Oberdeck gesetzt, Echenoz schaut aufs Wasser, Rolin liest.
    "Die Idee ist, dieses ganze Netz der Wasserwege zwischen Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden zu nutzen und Ideen auszutauschen. Ich werde zum Beispiel Christoph Ransmayr treffen, von dem ich bisher noch nie gehört habe - das ist doch eine Brücke. Später diskutiere ich mit Ilja Trojanow in Mainz."
    Immer wieder muss Kapitän Albert das Schiff durch Schleusen manövrieren – allein 16 sind es auf einer Strecke von knapp 30 Kilometern – 1.500 Kilometer sind es insgesamt bis Frankfurt und zurück nach Namur, dem Startpunkt der Flussfahrt. Zwischendurch geht es durch einen finsteren Tunnel, vom Deck aus filmen die Schriftsteller die Einfahrt.
    Langsam nähert sich der "Ange Gabriel" der Endstation des Tages: Toul, einer kleinen, hübschen Stadt, 20 Kilometer westlich von Nancy. Von dem kleinen Hafen, an dem Kapitän Albert das Hausboot festmacht, ist es nicht weit in die Innenstadt. Olivier Rolin macht sich auf den Weg zum Bahnhof, um die nächsten Gäste abzuholen.
    Die imposante Mauer von Toul umgibt die Innenstadt
    Und dann ein kleiner Gang durch Toul. Auffallend ist die imposante Mauer, die die gesamte Innenstadt umgibt. Jean Pierre Couteau, begeistert von seiner Heimatstadt, erklärt:
    "Es geht auf Vauban zurück, den Festungsbaumeister Ludwig IVX. Wie aus vielen anderen Städten im Grenzbereich hat er auch aus Toul eine befestigte Stadt gemacht. Noch heute haben wir hier die drei Stadttore: Das Moseltor in Richtung des Flusses und Nancy, dann nordwärts das noch original erhaltene Tor von Metz und das Frankreichtor in der Nähe des Hafens, wo Sie angelegt haben."
    Die einstige Bischofsstadt, in der, wie in der ganzen Region, drei Kriege seit 1870 viel zerstört haben, blickt auf eine lange Geschichte zurück.
    Imposant ist die gotische Katherdale St. Etienne – zwei mächtige Türme überragen die Stadt. Der Kreuzgang ist einer größten Frankreichs.
    Der Mond steigt auf, als die Schriftsteller zum Boot zurückkehren. Dort hat sich Publikum auf dem Oberdeck eingefunden: Marie Hélène Caroff, Organisatorin von Passerelles d’Europe, ist nebenbei auch Sängerin irischer Folkmusik. Sie hat ihre Band auf den "Ange Gabriel" eingeladen. Am anderen Morgen geht die Reise dann weiter in Richtung Nancy.