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Von der Realität überholt

Umwelt. – Die Sachstandsberichte des Internationalen Klimafolgenrates IPCC gelten gemeinhin als Bibel des Klimawandels. Doch das UN-Gremium wird immer wieder gescholten, seine Szenarien seien veraltet. Die jüngste Kritik äußern US-Klimaforscher im Fachmagazin "Nature": Der Wirtschaftsboom in Fernost führe alle Prognosen ad absurdum.

Von Volker Mrasek | 03.04.2008
    Es sind drei namhafte Forscher aus Kanada und den USA, die jetzt Kritik am Welt-Klimarat üben. Sie stören sich an den Zukunftsentwürfen, auf die sich der IPCC für seine Klimaprognosen verlässt. Drei Dutzend verschiedene Szenarien für die Welt im 21. Jahrhundert gibt es. Genug, sollte man meinen, um alle denkbaren demographischen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen abzudecken. Irrtum, sagt dagegen Roger Pielke, Professor für Umweltwissenschaften an der Universität von Colorado in Boulder in den USA:

    "”Alle Szenarien unterstellen, dass die globale Energieerzeugung immer effizienter wird. Allein durch den technischen Fortschritt gehen die CO2-Emissionen laufend zurück. Aber das ist eine irreführende Annahme! Diese Effizienz-Steigerung gab es zuletzt gar nicht mehr.”"

    Aus Sicht des US-Mathematikers und Politikwissenschaftlers sind die Zukunftsentwürfe des Weltklimarates inzwischen überholt. Das bemängelt Pielke jetzt in der Fachzeitschrift "Nature". Ihm zur Seite stehen der US-Atmosphärenforscher Tom Wigley und der kanadische Ökonom Christopher Green – alle mit langjähriger Erfahrung in der Klimaforschung beziehungsweise –politik. Der IPCC veröffentlichte zwar erst im vergangenen Jahr einen neuen Welt-Klimareport. Den davor gab es 2001. Doch die Szenarien für die künftige Entwicklung von Bevölkerung und Weltökonomie wurden nicht erneuert. Sie stammen noch aus dem Jahr 2000. Das ist das Problem. Pielke:

    "”Seit diesem Jahrzehnt ist es nicht mehr so, dass die Energieerzeugung automatisch CO2-ärmer wird. Das liegt am rapiden wirtschaftlichen Aufstieg von Entwicklungs- und Schwellenländern. Hier muss man vor allem China nennen.""

    In den Szenarien des IPCC steigert Asien seinen Kohlendioxid-Ausstoß von Jahr zu Jahr um maximal fünf Prozent. Doch die Realität sieht anders aus. Wie Forscher der Universität von Kalifornien jüngst ermittelten, steigen Chinas CO2-Emissionen derzeit sogar zweistellig. Weil der ständig wachsende Energiebedarf bevorzugt durch neue Kohlekraftwerke mit veralteter Technik gedeckt wird. Das ist keine Innovation, sondern ein Rückschritt. Der wirtschaftliche Boom in Asien frisst alle Einsparungen durch Effizienz-Steigerungen an anderer Stelle wieder auf. Aus der Sicht von Roger Pielke hat das ernsthafte Folgen:

    "”Die Regierungen dieser Welt werden sich viel stärker im Klimaschutz engagieren müssen als bisher gedacht. Es werden Investitionen nötig sein, die so hoch sind wie die Ausgaben im Gesundheitswesen oder für das Militär. Wir glauben, dass in saubere Energie-Technologie langfristig genauso viel Geld investiert werden muss.”"

    Wie reagiert man beim Welt-Klimarat auf diese Angriffe? Es gibt eine Arbeitsgruppe im IPCC, die sich speziell um Maßnahmen gegen die Erderwärmung kümmert. Ihr gehört der niederländische Chemiker und Energieexperte Leo Meyer an. Er weist die Kritik der Amerikaner zurück:

    "Sie gehen davon aus, dass die ökonomische Entwicklung in Indien und China noch Jahrzehnte so anhält. Ich glaube nicht, dass das realistisch ist. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass solche Wachstumsraten nicht lange Bestand haben. Außerdem: Wenn eine Wirtschaft besonders dynamisch wächst, setzen sich auch technische Innovationen schneller durch."

    Meyer will aber gar nicht abstreiten, dass die Szenarien des Welt-Klimarates aktualisiert werden müssen:

    "”Der IPCC hat bereits die Ausarbeitung neuer Szenarien beschlossen. Nächste Woche in Budapest diskutieren wir das weitere Vorgehen. Ich kann Ihnen versichern: Jüngere Entwicklungen wie der wirtschaftliche Aufschwung in Schwellenländern oder die verstärkte Nutzung von Biomasse werden in den neuen Entwürfen mitberücksichtigt werden.""

    Allerdings werden bis dahin noch ein paar Jahre vergehen – sicher mit weiter steigenden Emissionen.