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Von der Scholle zur Musik

Martin Agricola war Autodidakt, die Grundlagen der Musik brachte sich der Bauernsohn in mühsamer Kleinarbeit selbst bei. Fleiß und Wissensdurst machten ihn zu einem der bedeutendsten Musikpädagogen und Komponisten der Reformationszeit. Viele der heute gebräuchlichen musikalischen Fachausdrücke gehen auf ihn zurück. Am 10. Juni 1556 Jahren starb Martin Agricola.

Von Renate Hellwig-Unruh | 10.06.2006
    "Gott den almechtigen mit singen, tichten und allerley seytenspiel zu loben und zu preyssen","

    war für ihn die vornehmste Aufgabe der Musik. Auch war er stolz darauf, dass er "Vom Pflug weg zur Music" gekommen war, ein "Bawer vom dorffe". Darauf weißt auch sein Namen hin: Martin Agricola. Den Nachnamen legte er sich später zu, als Betonung seiner bäuerlichen Herkunft. Durch Fleiß und Wissensdurst wurde er dann zu einem der bedeutendsten Musikpädagogen und Komponisten der Reformationszeit. Viele der heute gebräuchlichen musikalischen Fachausdrücke wie Ton, Tonleiter, Schlüssel oder Taktschlag gehen auf ihn zurück.

    Martin Agricola stammt aus einer Familie von Ackerbauern. Über seine Kindheit und Jugend ist nur wenig bekannt, weder Geburtsjahr noch Geburtsort sind verbürgt. Vieles deutet darauf hin, dass er am 6. Januar 1486 als Martin Sores geboren wurde, in der Nähe von Frankfurt an der Oder, im Städtchen Schwiebus, das heute zu Polen gehört.

    Auch über seine Ausbildung ist nur wenig Gesichertes überliefert. Nur, dass er seine Liebe zur "edlen Fraw Musica" bereits früh entdeckte. Allerdings bekräftigte Agricola immer wieder

    ""das ich alle meine tage inn solcher kunst ... keinen actiuum Praeceptorem von menschen gehabt, sonder das jenige, was ich darinne verstehe, erstlich von Gott, welcher seine gaben mitteilt wem er will, und darnach durch trefflichen großen vleis und studirn, jedoch bey mir allein mit der Gotts hülffe überkomen hab. "

    Nach seiner Schulzeit arbeitete Martin Agricola auf dem elterlichen Hof. Später, um 1510, begab er sich auf musikalische Handwerksreise. Wohin die Reise ihn allerdings führte, kann nur vermutet werden - Frankfurt an der Oder und Leipzig könnten es gewesen sein. 1519 traf Agricola auf jeden Fall in Magdeburg ein, wo er sich als privater Musiklehrer niederließ. Kurz danach fassten die Lehren der Reformation dort Fuß. Agricola wurde ein glühender Anhänger der protestantischen Bewegung. Nachdem alle Musikschulen zu einer städtischen Anstalt zusammengefasst worden waren, erhielt Agricola 1525 die Kantorenstelle und wurde erster protestantischer Kantor in Magdeburg.

    Neben Musik unterrichtete Agricola auch lateinische Grammatik, doch seine Aufmerksamkeit galt vor allem der Gründung und Organisation des protestantischen Musiklebens. Das zeigt sich vor allem in der planvollen Veröffentlichung seiner Lehrschriften. Kurz hintereinander gab er drei Musikbücher heraus, allesamt in deutscher Sprache, die leicht verständliche Anleitungen zum einstimmigen und mehrstimmigen Singen und zum Instrumentalspiel enthalten. Sein erstes Buch "Ein kurtz deudsche Musica" lag 1528 vor, Agricola war damals 42 Jahre alt. Im Vorwort formuliert er sein Bestreben:

    "enn es mus ia also sein und ist ynn der warheit hoch von nötten, das die iugent so erstlich zu lernen anfehet, nicht mit vil vergeblichen worten und regeln überschüttet und abgeschrecket werde, sondern durch kurtzen klaren unterricht und anleytung der kunst vleissig unterweiset zum studiren gelocket und gereytzet werde."

    Dieses vor allem in der Sprache des Volkes und nicht wie bis dahin üblich in Lateinisch. Es folgen zwei weitere Bände: "Musica figuralis deudsch" und "Musica instrumentalis deudsch". Damit hat Agricola alle Gebiete der "musica practica" in volkstümlichen Darstellungen abgehandelt. Der Bedarf war groß, die Bücher verkauften sich, in mehreren Auflagen, sehr gut. Heute gelten sie als Quellenwerke der Musiktheorie und der Instrumentenkunde.

    Privat hatte Martin Agricola allerdings nur wenig Glück. Er starb ledig und kinderlos am 10. Juni 1556 in Magdeburg, nach 31 Jahren Schuldienst. Das knapp bemessene Schulgeld hatte nie ausgereicht, um einen eigenen Hausstand zu gründen. Darüber hatte sich der "Musicus", in der ihm eigenen, derb-bilderreichen Sprache, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, zu Lebzeiten immer wieder beklagt.:

    "das ich für meinen gethanen fleis hon und spot leiden und noch geldt darzu geben muste, idoch es mus zugehn, wie das alte Sprichwort lautet: Wenn man die Perlen für die Sewe wirfft, so trampeln sie mit den unfletigen füssen uberher."