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Von der schwäbischen Hausfrau

Als Ottilie Wildermuths Buch "Schwäbische Pfarrhäuser" 1862 erstmals erschien, machte es Furore. Die detailgetreue Beschreibung neun verschiedener Pfarrhäuser fehlte kaum in einem Bücherschrank - und prägte das damalige Frauenideal von Fleiß und Verzicht.

Von Eva Zeller | 05.03.2010
    "Gewidmet von deutschen Frauen 1887" steht auf dem Gedenkstein der Ottilie Wildermuth, dem einzigen Denkmal, das in Tübingen für eine Frau errichtet wurde. Es steht auf der Neckarinsel, im sogenannten "Seufzerwäldchen" unweit des Wildermuth-Gymnasiums, an einem Platz, den sie selbst "lauschig" oder "verwunschen" genannt hätte.

    Es zeigt die Schriftstellerin im Profil, mit deutlich sichtbarem Dutt, der sogenannten "Glaubensfrucht". Ottilie Wildermuth war etwas Besonderes: Auf der einen Seite war sie eine biedere Tübinger Schulmeistersgattin, auf der anderen Seite eine berühmte Schriftstellerin, die "zur geistigen Auffrischung", wie sie es nannte, Gedichte aus dem Englischen übersetzte und mit Justinus Kerner, Adalbert Stifter und anderen literarischen Größen korrespondierte.
    Als Ottilie Wildermuths Buch "Schwäbische Pfarrhäuser" 1862 zum ersten Mal erschien, hat es Furore gemacht. Der Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer hat es jetzt in seiner Reihe "Eine kleine Landesbibliothek" neu herausgegeben und mit einem genauen Vorwort von Friedemann Schmoll eingeleitet. Um es gleich zu sagen, es lohnt sich, ihre Geschichten wieder zu lesen.

    Die "Schwäbischen Pfarrhäuser" wurden zu einem Hausbuch, das in keinem Bücherschrank der gebildeten Stände, der sogenannten "Ehrbarkeit" fehlte. Einige ihrer Sätze sind hierzulande zu Sprichwörtern und Anekdoten mutiert. Zum Beispiel die Schilderung eines ungleichen Pfarrerpaares:

    Sehen Sie, ich und mein Mann haben gar nie zusammen gepasst; ich hätte ihn gar nie genommen, wenn mir's nicht um einen eigenen Unterschlauf zu tun gewesen wäre. Seit wir verheiratet sind, hat er mich nur erzürnt: Wenn ich fett koche, will er mager essen, habe ich eingeheizt, sperrt er die Fenster auf, will ich Bohnen pflanzen, pflanzt er Haselnüsse. Ich ärgere mich nun schon lange nicht mehr, aber ich muss oft denken, es wäre fast am besten, wenn der liebe Gott Eines von uns Zweien zu sich nähme, ich könnte dann nach Nürtingen ziehen.

    Ottilie Wildermuth beschreibt neun verschiedene Pfarrhäuser sehr anschaulich und kenntnisreich mit einem besonderen und hintergründigen Humor: Da gibt es das freundliche Pfarrhaus, den Haselnusspfarrer, das töchterreiche und das humoristische Pfarrhaus, das genügsame, das gastfreie und das geizige Pfarrhaus und schließlich das fromme Pfarrhaus.

    Sie hat mit feinem Pinselstrich gearbeitet und gleichzeitig das idealtypische herausgearbeitet. Bei aller Freundlichkeit muss sie dabei den Württemberger Pfarrern den Spiegel vorgehalten haben. Viele Pfarrer erkannten sich in ihren Beschreibungen wieder und reagierten mit Empörung.

    In fast jeder Geschichte nähern wir uns mit einer filmischen Totale diesen besonderen Pfarrhäusern, die ja mehr sind als Wohnstätten. Sie sind Inbegriff des Hortes des richtigen, beispielhaften und gottgefälligen Lebens.

    Es ist schon so schön hellgelb angestrichen und steht hoch oben im Dorf, recht ausdrücklich, damit es weithin gesehen werde, um den zahlreichen Pilgern vom nahen Städtchen eine freundliche Aufnahme zu verheißen.

    Diese Annäherung von außen ist kein schriftstellerischer Trick, sondern Wildermuths Versuch ein Genrebild zu zeichnen.

    Meine ganze Absicht ist, Bilder des wirklichen Lebens darzustellen, zu zeigen, wie reich und mannigfaltig auch das alleralltäglichste Leben in seinen verschiedenen Erscheinungen ist, wie viele erfreuliche, ergötzliche und poetische Seiten jede Zeit und jeder Lebenskreis bieten,

    … schreibt sie in einem Brief an ihre Freundin.

    Sie ist eine Porträtistin der biedermeierlichen Welt und dies vortrefflich. Das Positive soll bei ihr überwiegen, doch die Kritik, die sie von Pfarrern, die sich scheinbar von ihr beschrieben fanden, einstecken musste, deutet daraufhin, dass sie für damalige Verhältnisse den Rahmen des Gefälligen sprengte.

    Für uns heute sind manche ihrer Formulierungen, wenn sie denn nicht von kaum hörbarer Ironie durchzogen sind, nah am Kitsch. In ihrer ersten Erzählung "Das freundliche Pfarrhaus" beschreibt sie das glückliche Pfarrerpaar:

    Die Liebe des Paares erhielt sich in immergrüner bräutlicher Frische; ohne allen sentimentalen Anflug hatte sie stets etwas Kindliches. Nach dreißigjähriger Ehe betrachtete die Pfarrerin ihren Liebsten noch mit demselben strahlenden Entzücken wie an jenem Weihnachtsabend, wo er als Vikar ihr sein wertes Selbst zur Bescherung angeboten, was sie ohne lange Bedenkzeit angenommen hatte.

    Sentimentaler Tobak oder zarte Ironie? Der Übergang von Tugendhaftigkeit zur Besserwisserei, von Frömmigkeit zu Bigotterie, von Sparsamkeit zu Geiz beschreibt sie treffsicher und in württembergischen Kreisen zum Bonmot mutiert im "geizigen Pfarrhaus". Dort trägt die Pfarrfrau den Braten am Sonntag nach dem Essen wieder in die Küche, damit er noch für den Rest der Woche reicht.

    Ich esse nichts mehr, der Papa mag nichts mehr, der Herr Vikar begehren nichts, der Hermännchen kriegt nichts und die Magd braucht nichts.

    In einem Satz werden die Herrschaftsverhältnisse und die soziale Rangordnung dieser biedermeierlichen Welt aufgespießt.

    Ottilie Wildermuths Charakterzeichnungen sind nicht frei von erzieherischer Absicht. Sie wird in der Literatur des deutschen Südwestens als "Protagonistin radikaler Häuslichkeit" bezeichnet und war für die bürgerlichen Mädchen des Landes Autorität und weibliches Vorbild. Sie hat ganze Frauengenerationen zum "holden Bescheiden", zu Fleiß und Verzicht erzogen.

    Als Pfarrerstochter der elften Generation, 100 Jahre nach Erscheinen ihres Buches geboren, bin ich noch in diesem Geist der weiblichen Zurücknahme erzogen worden und reagiere darauf offen gestanden immer noch allergisch. Dieser Geist ist klebrig und für unsere heutige Zeit - und vielleicht auch für die damalige - schlichtweg unemanzipiert.

    Man kann ihre Genrebilder also als Versuch lesen, den Frauen in Zeiten der sozialen Umbrüche durch die Industrialisierung das Stillhalten auf dem Platz, an den sie "Gott oder das Schicksal" gestellt hat, schmackhaft zu machen.

    Man kann sie aber auch anders lesen. Nicht als altbackenen, sondern als hochmodernen Versuch, die neue "Philosophie des Weniger" zu propagieren. Ottilie Wildermuth zeigt ja vortrefflich, dass Herzensgüte nichts mit äußerem Reichtum zu tun hat, dass Freude nicht aus dem Übertreffen und dem Ellbogeneinsatz entsteht. Nachdem sie Frauengenerationen erzogen hat, wäre es jetzt vielleicht an der Zeit, dass ihr Buch auch Männergenerationen mit dieser "Philosophie des Weniger" beglückte.

    Ottilie Wildermuth: Schwäbische Pfarrhäuser
    Aus "Eine kleine Landesbibliothek", Band 8
    Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2009, 160 Seiten, zwölf Euro