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Von der Schwierigkeit, Demokratie einzuüben

Die Ausstellung "Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland" im Literaturhaus Berlin zeigt nach Ansicht ihres Kurators Helmut Böttiger, wie schwierig es für die Schriftsteller war, die demokratischen Formen mit Inhalt zu füllen. Die Dokumente zeigten eine antidemokratische Linie bis in die Adenauerzeit hinein.

Helmut Böttiger im Gespräch mit Katja Lückert | 26.04.2009
    Katja Lückert: "Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland" heißt eine andere Ausstellung, die das Literaturhaus in Berlin ab heute zeigt, und es ist eine Ausstellung, die maßgeblich von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung organisiert ist. Erstmals werden auch Materialien zur Gründungsgeschichte der Darmstädter Akademie gezeigt. Der Literaturkritiker und Essayist Helmut Böttiger ist Autor des Materialbandes, der begleitend zur Ausstellung entstanden ist und zugleich Kurator der Ausstellung. An ihn ging die Frage: Wenn man den Titel aufspießt, "Doppelleben", Herr Böttiger, was ist da gemeint? Wer hat ein Doppelleben geführt, oder geht es nur um doppeltes Leben in Ost und West?

    Helmut Böttiger: Also - Doppelleben ist in Bezug auf die Nachkriegszeit vor allem ein Begriff dafür, dass die Deutschen aus der Verdrängung der Nazizeit heraus lebten. Sie lebten ein Doppelleben zwischen Restauration und Moderne, die Kontinuität des Nationalsozialismus in vielen Funktionen, bei vielen Funktionären, und auf der anderen Seite die von außen ermöglichten demokratischen Strukturen, die erst langsam gefüllt werden mussten. Und vor allem ist Doppelleben natürlich auch die Autobiografie von Gottfried Benn, eine autobiografische Schrift, die Ende der 40er-Jahre erschienen ist. Benn meint das natürlich anders, er meint das Doppelleben als Künstler und Bürger, und von daher spielt diese Ausstellung doch mit mehreren Perspektiven auf diese Zeit.

    Lückert: Der Fokus der Ausstellung, die ja nun an verschiedene Orte in Deutschland wandern soll, liegt ja auch auf der Literatur der Nachkriegszeit, es geht also um 60 Jahre Literatur nach dem Krieg, Sie haben es erwähnt. Hängt man sich da ein wenig an die offizielle Jubiläumszahlenmagie an?

    Böttiger: Der Kern der Ausstellung liegt darin begründet, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt auch 60-jähriges Bestehen in diesem Jahr feiert und es gibt über die ersten Jahre dieser Akademie, die ja die zentrale, nationale Akademie ist in Deutschland, es gibt dafür noch keine Belege, keine Quellen, keine Materialien. Das wurde noch nicht aufgearbeitet, und von daher ist das auch ein Schwerpunkt unserer Ausstellung, dass wir die Frühgeschichte der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung darstellen, aber natürlich im Kontext der Zeit, im Kontext der inneren Emigration. Und wir haben verschiedene Schwerpunkte, wo wir die prägenden Gestalten - Alfred Döblin, Thomas Mann, Gottfried Benn, Berthold Brecht, Johannes R. Becher - darstellen, die Gruppe 47 in ihren Anfängen, Solitäre wie Arno Schmidt, und damit verknüpft die Institutionengeschichte, welche Rolle die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hatte, welche Rolle die Literaturfunktionäre spielten.

    Lückert: Aber vielleicht trotzdem noch mal zur Gründungsgeschichte der Akademie: Welche Akten kann man jetzt da einsehen, die man vielleicht vorher noch nicht sehen konnte?

    Böttiger: Man wusste nicht genau, wie es um die innere Emigration in der Deutschen Akademie bestellt war und es ist durch viele Briefe, Notizblätter, die im Archiv aufzufinden sind, klar, dass es eine im Grunde unvorstellbare Kontinuität von antidemokratischem Denken, antirepublikanischem Denken bei den Protagonisten der ersten Jahre dort gibt. Viele der herrschenden Figuren, die den Literaturbetrieb dominierten bis ungefähr Mitte der 50er-Jahre waren zwar keine Nazis, waren aber schon in den 20er-Jahren auf jeden Fall deutschnational eingestellt, antirepublikanisch, und diese Linie ist im Grunde das Wichtige und das Bedeutsame, da sie auch gegen Hitler waren, da sie ihn für pöbelhaft und ein bisschen kleinbürgerlich gehalten haben. Dadurch gibt es eine antidemokratische Linie bis in die Adenauerzeit und sie konnten sich gleichzeitig als Widerstandskämpfer betrachten.

    Lückert: So ein Literaturbetrieb nach heutigem Zuschnitt - hat es ihn eigentlich vor dem Krieg gegeben? Was entstand da neu? Wer waren die Protagonisten?

    Böttiger: Neu entstand erst mal nichts, die innere Emigration, die 50- bis 70-Jährigen haben den Ton angegeben bis weit in die 50er-Jahre und es ist ein Schwerpunkt der Ausstellung, zu zeigen, wie schwierig es für die jüngere, nachwachsende Generation war, da überhaupt Gehör zu finden, da im literarischen Markt Platz zu bekommen.

    Lückert: Zuletzt vielleicht noch die Frage: Wenn wir mal didaktisch sprechen - und die Ausstellung hat ja auch wohl einen gewissen didaktischen Impetus -, was soll, was kann ein Betrachter Neues lernen?

    Böttiger: Das Interessante ist, wie schwierig es war, die von außen ermöglichten demokratischen Formen mit Inhalt zu erfüllen. Und das ist, glaube ich, ein großer Erkenntnisgewinn, wie schwierig es war, Demokratie einzuüben, die Suche nach Kritik und Umgang mit anderen Meinungen, die in der Gruppe 47 praktiziert wurde, das ist die erste Lernstunde für Demokratie in den Westzonen in der Bundesrepublik - das ist eine Erkenntnis dieser Ausstellung.

    Lückert: Helmut Böttiger hat die Ausstellung "Doppelleben" kuratiert, die es von heute an im Literaturhaus Berlin zu sehen gibt.