Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Von der Spelunke zum Spektakel

Ein regelmäßiges Mittel Brüsseler Kulturpolitik ist die jährliche Nominierung europäischer Kulturhauptstädte, die dann jeweils großzügig mit Geld aus Brüssel ausgestattet werden. 2010 werden die Ehre und das Geld Essen und dem Ruhrgebiet zuteil, die damit nach dem strukturellen auch den kulturellen Wandel im Revier vorantreiben wollen. Nachhaltig waren solche Initiativen in der Vergangenheit in vielen Kulturhauptstädten nicht - erinnert sei beispielsweise an Weimar. Es gibt aber auch positive Beispiele: Genua etwa.

Von Henning Klüver | 14.03.2007
    Genua ist eine Stadt der Musik. Das populäre Chanson, wie es Fabrizio De André gepflegt hat, ist hier ebenso zu Hause wie der Jazz oder die Klassik. Das Geburtshaus des Komponisten und Geigenvirtuosen Nicolò Paganini zum Beispiel ist gerade restauriert worden. Diese "Casa Paganini" dient als Museum und Konzerthaus zugleich. Einer wie Peter Noss, der in Genua die Deutsche Schule leitet, empfindet das Leben in dieser Stadt deshalb:

    " Reizvoll wie am ersten Tag, als wir hier her kamen. Ich muss dazu sagen, dass wir das Glück haben, oben auf dem Righi zu wohnen. Das ist natürlich besonders schön, da hat man einen Blick in die Berge und auch in die Stadt runter in den Hafen."

    Landschaft und historisch-kultureller Entwicklung gehen in der europäischen Kulturhauptstadt vom Jahr 2004 eine einzigartige Symbiose ein. Dabei hatte man der Stadt, die im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Zentrum der italienischen Schwerindustrie wurde, lange Zeit die reiche Kulturgeschichte nicht angesehen. Peter Noss erinnert sich an frühe Besuche:

    " Wir hatten Genua in Erinnerung, so gerade die Hafengegend, als eine relative schmuddelige, nichts sagende Angelegenheit. Halt irgendeine Stadt am Hafen mit ein paar schönen Gebäuden. Das hat sich radikal gewandelt, unglaublich gewandelt, hin zu einem wirklich schönen Ensemble von schönen Palazzi und schönen Straßen."

    Das gilt etwa für die Via Garibaldi, die Prachtstraße mit ihren Repräsentationsbauten aus dem Frühbarock, als das Bankenzentrum Genua die reichste Stadt Europas war. Aber besonders trifft dieser Imagewechsel für das weitläufige historische Zentrum zu, das Fabrizio De André in so vielen Liedern besungen hat.

    Eine zwielichtige Gassenlandschaft, wo Armut, Verbrechen und Unterentwicklung herrschten, wandelt sich langsam in ein lebenswertes Viertel, in dem sich Geschichte und Gegenwart treffen und Vergnügungseinrichtungen neben Kulturstätten entstehen. Häuser werden renoviert und Kirchen, wie gerade die Loggia von S.Pietro in Banchi, restauriert. Man bringt Licht in dunkle Wege und pflastert sie neu. Dass Genua im Jahr 2004 den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt tragen durfte, hat diese Entwicklung entscheidend voran getrieben. Einer der Protagonisten dieser Jahre ist Carlo Repetti, der früher als Stadtrat die Kulturpolitik Genuas bestimmte und heute das Teatro Stabile, das größte Sprechtheater der Stadt, leitet:

    " Ich glaube, dass sowohl von der Seite des kulturellen Lebens wie auch vom touristischen Zuspruch die positive Entwicklung von 2004 anhält. Das trifft besonders für die Strukturen zu von denen viele jedoch nicht erst für das Jahr 2004 geschaffen wurden. Das war ein Prozess über einen längeren Zeitraum von 14, 15 Jahren hinweg, in dem die Stadt enorme Fortschritte gemacht und sich verändert hat."

    Es begann mit dem Columbusjahr und der Weltausstellung von 1992, als Renzo Piano mit dem Umbau des alten Hafens und dem Abriss der Zollmauern die Stadt zurück ans Meer führte. Das setzte sich mit den städtebaulichen Investitionen für internationale Sportwettbewerbe sowie für den G8-Gipfel fort. Und das fand schließlich in den Anstrengungen für das Jahr 2004 einen Höhepunkt, als die gesamte Museumsstruktur der Stadt neu geordnet wurde und auch neue Museen wie das Galata Museo del Mare in den historischen Werftanlagen entstanden. Ausgangs- und Mittelpunkt dieser Entwicklung ist der prächtige Palazzo Ducale, der sich seit seiner Restaurierung und Umstrukturierung vor fast zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Ausstellungs- und Kulturzentrum Norditaliens gemausert hat. Anna Castellano, die Direktorin, zieht Bilanz:

    " Vom Standpunkt der Attraktivität aus erweist sich der Palazzo Ducale nicht nur als Veranstalter großer Ausstellungen, wie jetzt die über den frühbarocken Maler Luca Cambiaso, sondern auch als Ausrichter von städtischen Events. Inzwischen möchte jeder, der eine wichtige Veranstaltung in der Stadt plant, sie im Palazzo Ducale durchführen. Es gibt also verschiedene Aspekte, die zeigen, dass das Jahr 2004 einen Sprung nach vorn bedeutet hat - nicht nur für den Palazzo Ducale, sondern für die ganze Stadt."

    Wo andere Städte mit den Folgekosten ihrer Strukturen hadern, die sie für das Jahr als Kulturhauptstadt geschaffen haben, setzt Genua weiter auf den Ausbau seiner Kultureinrichtungen. Das zeigt zum Beispiel die jüngste Umstrukturierung der Galleria d'Arte Moderna im Palazzo Saluzzo Serra im noblen Vorort Genua-Nervi. Oder die Eröffnung der exklusiv-raffinierten Sammlung Wolfson mit Kunst- und Kunstgewerbeobjekten aus den Jahren von 1880 bis 1943. Auch neue Forschungseinrichtungen der Hochtechnologie haben sich angesiedelt, was ohne das veränderte kulturelle Umfeld kaum denkbar gewesen wäre. Und mehr noch als auswärtige Besucher entdecken schließlich die Genuesen selber in diesen Jahren ein neues Bild ihrer Stadt. Peter Noss:

    " Ich denke schon, dass sie es genießen und auch stolz darauf sind."

    Sicher, auch die Gemeinde Genua schwimmt nicht im Geld, und der aktuelle Kulturetat der Stadt kann sich nicht mit dem des Ausnahmejahres 2004 messen. Aber Kultur wird an der ligurischen Riviera weiterhin als Zukunftsinvestition verstanden. Sie ist Strategie und nicht bloß ästhetisches Beiwerk bei einem Prozess, der dem ehemaligen Industriestandort eine neue Identität geben soll.