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Von Deutschen und Polen

Deutsche und Polen verbindet ein schwieriges Verhältnis. Der gebürtige Pole, promovierte Germanist und "ZEIT"-Autor Adam Soboczynski stellt in seinem Buch "Polski Tango" die nur scheinbar widersprüchliche These auf, dass Polen zwar grundsätzlich das Gegenteil von Deutschland sei, man aber zunehmend auch Annäherungen verzeichnen könne.Sabine Weber hat das Buch gelesen und mit dem Autor gesprochen.

25.09.2006
    Der Autor sitzt in einer Krakauer Kneipe, ein polnischer Tango über Tabak, Tod und Liebe erklingt, ein nicht mehr ganz junges Paar tanzt. Zeit für ein Gespräch mit dem Tresennachbarn:

    "Polski Tango, ein schöner Polski Tango", sagte ich zu ihm.
    "Nein", erwiderte er, "es heißt Polskie Tango. Tango ist ein Neutrum." Es war hoffnungslos. Ich wurde verstanden, aber ein jeder wusste sogleich, dass ich aus Deutschland kam. Dort war ich oftmals "der Pole", trotz eines deutschen Passes, in Polen würde ich fortan "der Deutsche" sein.


    Adam Soboczynskis Familie siedelt 1981 nach Deutschland über, kurz bevor der neue Partei- und Staatschef Wojciech Jaruzelski in Polen das Kriegsrecht verhängt und die Gewerkschaft Solidarność verbietet. 25 Jahre später macht sich Soboczynski auf die Reise zurück in das Land, das er mit sechs Jahren verlassen hat. Er, der heute in Berlin lebt und die polnische Sprache nur noch mit deutschem Akzent beherrscht, nähert sich als "polnischer Deutscher" den Polen an. In seinem Buch "Polski Tango" vermischen sich Kindheitserinnerungen, Zustandsbeschreibungen des heutigen Polen und persönliche Reiseeindrücke. Dabei wird jener Tango, den er in der Kneipe gehört hat, zu einer Metapher. Er ist ein Tanz "der Nähe und der Ferne, des Abschieds und der Wiederkehr". Und genau das macht für Soboczynski auch das Verhältnis Deutschland - Polen aus.

    "Die Annäherungen, die ich sehe, beruhen auf zwei Aspekten. Der eine ist, dass man sich wirtschaftlich annähert ( ... ) - Der zweite Punkt ist, dass Polen ( ... ) deutlich konservativer ist durch nen katholischen Hintergrund und natürlich durch traditionelle Lebensweisen immer noch auf dem Land - und in Deutschland gibt es auch so etwas wie neues Bürgertum, darüber wird ja die ganze Zeit diskutiert, also auch mentalitätsgeschichtlich kommt es mir manchmal so vor, als würden sich die Länder ein wenig annähern. Bei allen Unterschieden."

    In vielen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen sieht Soboczynski auch Sinnbilder für die politische und gesellschaftliche Lage. Er trifft seine Liebe aus Kindertagen wieder und muss feststellen, dass sie mittlerweile das konservative Ideal einer polnischen Hausfrau mit drei Kindern verkörpert. Er berichtet über seinen Geschichten erzählenden Onkel, der das Leben nur mit Alkohol erträgt. Und er erzählt über den Wegzug seiner Familie aus Polen. Nie wieder, so ist die knappe Begründung seiner Mutter für diesen Schritt, nie wieder wolle sie in Schlangen stehen. Zunächst scheint man sich in Deutschland schnell anpassen zu können.

    Über Nacht verschwanden die Insignien des Ostens: Mein Vater nahm sich seinen polnischen Schnurrbart ab, und Mutter trug Jeans statt bunter Röcke, die kleinen Kioske mit Plastiksoldaten wurden ersetzt durch Kaufhäuser mit Spielwarenabteilungen.

    Doch tatsächliche Integration erweist sich für die Familie als ungeahnt schwierig - Soboczynski fasst es paradigmatisch zusammen.

    Es geschah oft, dass Vater nicht verstanden wurde. Er hatte sich ein eigentümliches Deutsch angeeignet, es folgte einer einsamen Grammatik. Mutter wiederum schämte sich beim Metzger. Sie kochte gerne Flaki, eine polnische Innereiensuppe. Kaufte sie die Kutteln, dann fühlte sie sich ertappt. Nur Polen kaufen in großen Mengen Kutteln ein, behauptete sie. Die Deutschen kauften sie nur, um sie an ihre Hunde zu verfüttern.

    Die Eltern bleiben auf halbem Wege stehen, nicht mehr in Polen, noch nicht in Deutschland - und mit ihnen viele, die in den 80er Jahren hierher kommen. Soboczynski beschreibt dies als "dritte Art" der Integration - statt sich anzupassen oder gänzlich zu verweigern mache man sich "unsichtbar".

    "( ... ) das heißt, man integrierte sich insofern, als man dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand, aber es reichte nicht ins Private hinein, da traf man andere Asylbewerber oder Aussiedler und lebte sehr unter sich ( ... )."

    Immer wieder ist bei Soboczynski von Scham die Rede. Die Eltern schämen sich bei Besuchen in Polen zuzugeben, dass sie in Deutschland putzen; sie schämen sich allerdings auch ihrer polnischen Verwandtschaft, die sie in Deutschland besucht, die "nach billigem Wodka und billigem Rasierwasser riecht und die Zigaretten bereits im Hausflur anzuzünden pflegt." An die eigene Vergangenheit möchte man einfach nicht erinnert werden. Und auch Soboczynski schämt sich als Jugendlicher seiner polnischen Wurzeln.

    "( ... ) das Polenbild war ja auch in Opposition zum Deutschlandbild gesetzt, verlottert, statt sauber, arm statt reich beispielsweise, also es war etwas herablassend, nichts ... und katholisch vor allen Dingen, sehr katholisch und so'n bisschen provinziell, und das ist etwas, womit man sich als Heranwachsender nicht unbedingt identifizieren wollte ( ... ) - Das hat sich ja gelegt, nicht ohne Grund sind ja diese Polenwitze irgendwie verschwunden, selbst Harald Schmidt macht keine mehr. Ich glaube, dass es eine gewisse Irritation gibt, jeder, der jetzt nach Krakau fährt, Warschau fährt, der merkt, dass es Städte sind, zumindest, was Krakau anbetrifft, auch architektonisch, wo man genauso gut in Florenz sein könnte, das widerspricht natürlich dem Bild, was man vom armen, verlotterten Polen mit leeren Wurstregalen und so was hatte, natürlich vollkommen."

    Das veränderte Polenbild, so Soboczynski, sei unter anderem eine Folge der Veränderungen in Deutschland. Die Deutschen würden allmählich selbst zu Polen, rein wirtschaftlich gesehen. Da könne man nicht mehr auf die Nachbarn herabblicken, sie wie bisher, stolz belächeln. Neben der Darstellung des deutsch-polnischen Verhältnisses finden sich in Adam Soboczynskis Buch "Polski Tango" Reportagen über polnische Maler und Schriftsteller, über einen Freund des verstorbenen Papstes Johannes Paul II., über Krakau und Warschau. Und natürlich wird auch über die rückwärtsgewandte neue Regierung in Polen unter den beiden Kaczynski-Brüdern berichtet, die für eine Wiedereinführung der Todesstrafe plädiert, vorehelichen Geschlechtsverkehr verteufelt und Berufsverbote für homosexuelle Lehrer fordert.

    "( ... ) es gibt ja ein politisches Statement, das ist ziemlich klar, und wird ziemlich schnell deutlich, dass ich ein wenig enttäuscht bin über bestimmte politische Entwicklungen, die stattgefunden haben, also eine Wiederkehr des ganz, ganz starken auch dogmatischen, auch vor allem politisch konnotierten Katholizismus, mit dem ich wenig anfangen kann auch aufgrund meiner eigenen Biographie in Deutschland in einer sehr liberalen Jugend. Und es gibt Polen, die genau das auch als Angriff wahrnehmen auf sich selbst. Es gibt Polen, die vor allen Dingen in den Städten leben, vor allen Dingen in Warschau und in Krakau, die das, die diese Kritik genau nachvollziehen können, weil sie mit dem Gedanken spielen, sogar aus dem Land auszuwandern im Moment, weil es wirklich nicht besonders, weil es wirklich nicht besonders schön ist. Im Moment."

    Soboczynski überzeugt, wenn er den polnischen Alltag genau beobachtet und Erlebnisse zu Miniaturen verdichtet, die über sich selbst hinausweisen. Zuweilen irritieren allerdings die unterschiedlichen Erzählperspektiven. Kindheitserinnerungen stehen neben quasi-soziologischen Analysen und flott geschriebenen Reportagen - das bedeutet einen häufigen Wechsel der Stilebenen. Und so manches sicher ironisch gemeinte Bild ist zumindest fragwürdig: etwa, wenn die typische polnische Putzfrau mit der deutschen Trümmerfrau verglichen wird: Beide, so Soboczynski, konnten so richtig zupacken. Doch häufig kommt er gerade durch die gelungene Verkürzung auf den Kern. Gegen Ende stellt er Polen und Deutschland noch einmal einander gegenüber und resümiert: ...

    Polen ist abgrundtief patriotisch, aber niemand kommt auf die Idee, der Staat könne für ihn sorgen. Deutschland ist vollkommen unpatriotisch, hat aber dem Staatswesen gegenüber heftige Ansprüche. Beide Länder haben einen Komplex. Die Polen haben einen Minderwertigkeitskomplex, da Russland und Deutschland ihnen mächtiger, finanzstärker und größer erscheinen. Deutschland hat einen moralischen Komplex gegenüber Frankreich und Polen, der unheilvollen Geschichte wegen. Deshalb wird hier so gesund gegessen, deshalb gibt es so viele Lehrer, deshalb wird Müll getrennt und werden lebhaft Geschlechterkonflikte ausgetragen. Deshalb kreist immer alles um Moral. Deshalb sind viele Deutsche so europafreundlich, suchen eine europäische Identität. Um ihre deutsche loszuwerden. Die Polen hingegen sind häufig europaskeptisch, da sie ihre nationale Identität bedroht sehen.

    Das Paar in der Kneipe, schreibt Soboczynski, das Paar, das zum Tango tanzt, das Entfernung und Nähe im Tanz zelebriert, das stolzeste Paar der Welt - am Ende stolpert es und fällt auf den harten Kneipenboden. Doch es lacht und erhebt sich in Würde, wohl wissend, dass Leben auch immer Verlieren heißt.

    Und genauso haben vielleicht auch Polen und Deutschland, die Adam Soboczynski in dem nicht mehr jungen Paar gespiegelt sehen will, eine Chance - immer wieder von Neuem.

    Sabine Weber über Adam Soboczynski: Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen. Erschienen ist der Band im Gustav Kiepenheuer Verlag Berlin, er ist 207 Seiten stark und kostet 17 Euro und 90 Cent.