Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Von Höllenhunden und Haien in der Küche

Fünf Erzählungen enthält das neue Buch von Sylvia Geist, und obwohl es "Letzte Freunde" heißt, geht es dort um Beziehungen, die man zunächst gar nicht für Freundschaften halten würde. Schauplätze der Geschichten liegen in Kanada, Südafrika und Deutschland.

Von Katrin Hillgruber | 16.11.2011
    Die Lyrikerin Sylvia Geist verfügt über einen klaren Blick fürs Katastrophische. Dies bewies sie bereits eindrucksvoll in ihrem Prosadebüt "Der Pfau". Irgendwo in der spanischen Pampa verliebt sich das Titelgeschöpf unglücklich in eine Zapfsäule und verendet schließlich. In seiner an der Tankstelle völlig deplatzierten Schönheit steht der bunt-schillernde Vogel für das behinderte Streben nach Glück.

    Auch mit ihrem zweiten Prosabuch, dem Erzählungsband "Letzte Freunde", fächert die Autorin ein universelles Brevier der Sehnsüchte auf. Sie erklärt:

    "Eigentlich sind sämtliche Konstellationen in den Erzählungen zunächst solche, die man gar nicht für Freundschaften halten würde. Es sind Notgemeinschaften, es sind Beziehungen, die auch durchaus flüchtigen Charakter haben können, die defizitären Charakter haben können, oder auch Trostcharakter."

    Dabei sind die Protagonisten dieser fünf Erzählungen völlig unterschiedlich. Da wäre etwa die zwölfjährige Mia, deren Großmutter gerade gestorben ist. Doch in den letzten Wochen vor den großen Ferien macht sie sich vor allem Gedanken über den merkwürdigen Neuzugang in ihrer Klasse. Dabei ist ihr der Junge gar nicht sympathisch, er stößt sie sogar vom Bordstein. Doch er ist "hellsichtig, wie es sonst nur Freunde sein können", wie es im Text heißt.

    Hellsichtig erscheint auch die Kanadierin Leonie in der Titelgeschichte. Sie nimmt ausgerechnet jenen unheimlichen schwarzen Hund bei sich auf, der sie im Park angefallen hat. Sie tauft ihn Black. Mit dem Hund namens Black hat es für Sylvia Geist eine besondere Bewandtnis.

    "Die Titelgeschichte ist die jüngste, ist mir vielleicht darum auch die wichtigste, sie ist zugleich die längste Geschichte, vielleicht auch eine, die mich am ehesten in Versuchung hätte bringen, in Richtung Roman zu gehen und auch wieder eine mit einem Tier, in dem Falle mit einem Hund, der dort, ja, angesiedelt ist und dann natürlich als eine Art Höllenhund, auf der anderen Seite aber schon auch, ja, als Freund, Tier als Totemtier. Für mich insofern wichtig, als ich bis heute eine Hundephobie habe und das hat mir endlich mal Gelegenheit gegeben, mit allen schwarzen Albtraumhunden abzurechnen oder mich mit diesem Bildsymbol auch zu beschäftigen."

    Aus den Weiten Kanadas oder Südafrikas, wo eine seltsame Liebesgeschichte mit dem Titel "Haie in der Küche" spielt, kehrt Sylvia Geist immer wieder in heimische Gefilde zurück. Geht es der Autorin, die zeitweise auch in Kanada lebt, um eine Art geografische Eroberung durch Prosa?

    "Eroberung durch Prosa ist ein tolles Stichwort, darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber Orte sind für mich auch Haltepunkte. Handlungen erfinde ich; die Orte nicht, an die erinnere ich mich höchstens erfinderisch, also ich nehme nicht in Anspruch, all die Orte, die dort auftauchen wie zum Beispiel Colesberg in Südafrika tatsächlich in die Geschichte so hineingerettet zu haben, wie man sie heute wiederfindet oder wie man sie wiederfindet, wenn man auf Google Earth geht. Also, es handelt sich um erinnerte Orte und natürlich spielt das Moment eine Rolle, das mich allerdings auch beim Schreiben von Lyrik begleitet, selbstverständlich in diesem schreibenden Rückblick auch eine Vergewisserung dessen, ja, was mir begegnet ist, vorzunehmen."

    Die sehr realistisch gehaltene Erzählung "Vielleicht hatte ich Glück" ist aus der Innensicht einer älteren, vereinsamten Frau gestaltet. Die frühere Arbeiterin kann wegen ihrer kranken Beine kaum mehr aus dem Haus gehen, würzt ihre Erinnerungen aber mit sarkastischem Humor. Trost und unverhoffte Glücksmomente spendet ihr ein Krankenpfleger, indem er ihr illegale Substanzen spritzt. So wird er zu ihrem "letzten Freund".

    Sylvia Geist justiert die erzählerische Brennweite in ihren Texten stets neu. Dieser Perspektivwechsel ist offenbar ein ständiger Antrieb für ihr Schreiben.

    "Mich hat gereizt zu fragen, was Nähe überhaupt ist, also wie nah kann ich jemandem kommen und empfinde ihn dann als tatsächlich nah, also es ist vielleicht auch vergleichbar mit der Blickeinstellung einer Brille oder mit dem Glattschliff. Wenn ich eine Brille für die Fernsicht auf der Nase habe und trete zu nah an Gegenstände heran, dann nützt mir das überhaupt nichts. Also wie nah kann ich Figuren dadurch kommen, dass ich auf sie zoome und in welcher Entfernung treten sie mir tatsächlich in einer Unvermitteltheit vors innere Auge, die sich dann auch am ehesten als Nähe verstehen ließe. Und für mich habe ich festgestellt, dass ich gerade, wenn ich einen Schritt zurücktrete und eine Figur scheinbar aus der Distanz beobachte und vielleicht auch etwas leidenschaftsloser als wenn ich beispielsweise aus der Ich-Perspektive erzählen würde, dass sich dann aus dieser beobachteten Erfindung heraus durchaus etwas einstellen mag wie das Gefühl, diese Person zu kennen oder ihr schon einmal begegnet zu sein, Wiedererkennensmomente."

    Neben den Perspektivwechseln machen einprägsame Bilder den besonderen Reiz dieser Erzählungen aus. Sie wirken wie Kulminationspunkte und lassen deutlich die Lyrikerin erkennen. Da ist zum Beispiel "ein Knäuel aus schönen silbernen Leibern", wie es heißt. Es handelt sich dabei um Fische in einem Bottich, die auf dem Markt feilgeboten werden. Der alten Frau geht nicht mehr aus dem Kopf, wie einer der sterbenden Fische sie anstarrte. Auch für die Autorin persönlich ist das eine Schlüsselszene.

    "Wobei ich an der Stelle gestehen muss, dass das ein geschenktes Bild ist, das ist die, ein Jugendsplitter meines verstorbenen Großonkels. Er erzählte mir eben genau diese Szene, wie er mit einer Mutter auf den Markt ging und ja, so einen existenziellen Horror empfand bei diesem Anblick, wie ein Fisch geköpft wird. Das hat er mir vor, ich weiß gar nicht, 20 Jahren erzählt, das hat mich nie losgelassen, und das war dann auch schon im Romanerstling in diesem Kapitel enthalten."

    Durch ihre sprechenden Bilder entwickeln Sylvia Geists "Letzte Freunde" ein Eigenleben, sei es im südafrikanischen Colesberg oder auf märkischem Sand. Für ihre Leser sind es Reisen mit hohem poetischen Mehrwert.

    Sylvia Geist: "Letzte Freunde. Erzählungen."
    Luftschacht Verlag, Wien 2011. 144 Seiten, 16,50 Euro.