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Von Knigge wenig zu spüren

"Wildsau", "Gurkentruppe", dem "netten Herrn Rösler" - so sprachen die schwarz-gelben Koalitionäre übereinander, aber nicht nur in diesem Knigge-fernen Ton. Wolfgang Labuhn mit einem Rückblick.

Von Wolfgang Labuhn | 07.07.2011
    Dies ist die Geschichte von Dreien, die ausritten, um die Welt zu verbessern, oder zumindest erst einmal Deutschland:

    Wie lange hatten sie sich auf diesen Tag gefreut, die Angela, der Horst und vor allem der Guido. Dann die Bundestagswahl am 27. September 2009 - Wahlabend bei der FDP. Der Guido kann sein Glück kaum fassen - 14,6 Prozent für die Liberalen:

    "Wer Verluste erklären muss, braucht lange Reden. Wer einen Sieg feiern kann, kann sich kurz fassen. Herzlichen Dank!" (Jubel)

    Siegestrunken macht man sich an die Arbeit. "Wachstum. Bildung. Zusammenhalt" steht schließlich auf dem Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb. Und das mit dem Zusammenhalt, das scheint man zunächst auch auf sich selbst zu beziehen. 24. Oktober 2009. Nach einer letzten langen Verhandlungsnacht präsentieren die Angela, der Horst und der Guido auf einer Pressekonferenz nicht nur einen Koalitionsvertrag. sondern auch überraschende Neuigkeiten:

    Westerwelle:"Um 02:15 Uhr sagen wir Horst und Guido zueinander."

    Zwischenrufe: Oh! Gelächter.

    Seehofer:"Erst die Arbeit, dann das Spiel!"
    Westerwelle:"Das ist der Beginn einer großen Freundschaft."

    Und so ritten sie los, die Angela, der Horst und der Guido, um Deutschland aus der Krise zu führen und seinen Mittelstand von der Steuerfron zu befreien. Man dankte es ihnen nicht.

    Gleich das erste Vorhaben, das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz", wurde von den Kritikern gnadenlos zusammengeschossen. Das Kindergeld wurde zwar erhöht und die Mehrwertsteuer gesenkt, aber letztere nur für Hoteliers. Klientelpolitik, hieß der Vorwurf.

    Es kam noch dicker. Die Zusammenstellung der Wirtschaftsdelegationen, die den frisch gebackenen Außenminister auf seinen ersten Auslandsreisen begleiteten, brachte dem Guido den Vorwurf der Vetternwirtschaft ein. Und er selbst hatte nichts Besseres zu tun, als eine Sozialstaatsdebatte anzuzetteln, als er nach dem Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts meinte, wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspreche, der lade zu "spätrömischer Dekadenz" ein.

    "Ich habe natürlich die Diskussion verfolgt und auch die Worte, die Guido Westerwelle über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV gewählt hat. Ich sage das ausdrücklich: Das sind nicht meine Worte und das ist nicht mein Duktus!"

    Angela sprach's, aber ritt weiter mit dem Horst und dem Guido. Doch der Guido wurde immer unruhiger. Denn er stand im Wort:

    "Ein niedrigeres, einfaches und gerechteres Steuersystem - das haben wir versprochen, und das halten wir auch hier mit diesem Koalitionsvertrag," ... "

    ... hatte er kurz nach der Wahl erklärt. Doch es kam nicht, bis heute nicht. Denn die Angela und der Wolfgang, der sich um die Finanzen kümmert, wollten lieber den Bundeshaushalt konsolidieren. Die Stimmung in der Koalition wurde gereizter, doch der große Showdown blieb aus. Dafür prügelte man sich in der Gesundheitspolitik. Wie eine "Wildsau" habe sich die CSU da aufgeführt, giftete Gesundheitsstaatssekretär Daniel Bahr, FDP. "Gurkentruppe" lautete die Retourkutsche von CSU-Generalssekretär Alexander Dobrindt. Der Guido versuchte, die Wogen zu glätten:

    ""Im Eifer des Gefechtes wird manches laute Wort auch mal gesprochen - und dann ist es auch gut."

    Der Irrtum des Jahres 2010. Spätestens nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war nichts mehr gut bei Schwarz-Gelb. Die Stimmung wurde gereizter, der "Herbst der Entscheidungen", auf den man sich während der Sommerpause verständigt hatte, empörte die Öffentlichkeit, weil das schwarz-gelbe Energiekonzept verlängerte AKW-Laufzeiten vorsah - und die Talfahrt von Union und FDP in den Meinungsumfragen ging weiter. Und nicht einmal der blitzartige Kurswechsel der Angela in der Atompolitik nach dem Unglück von Fukushima konnte dann die schwarzgelbe Kernschmelze in Baden-Württemberg verhindern. Die FDP schickte den Guido in die Wüste. Ein neuer Mann, ein neuer Stil:

    "Wenn Sie einen Frosch in heißes Wasser werfen, dann hüpft er sofort heraus. Wenn Sie einen Frosch in kaltes Wasser setzen und dann langsam die Temperatur erhöhen, wird er zunächst nichts merken und nichts machen. Und wenn er etwas merkt, dann ist es zu spät für den Frosch. Soviel zum netten Herrn Rösler ... "

    ... der dann freilich erleben musste, wie der Wolfgang immer wieder das Feuer unter dem Kessel schürte, in dem die Liberalen saßen. Trotz kräftig sprudelnder Steuerquellen bremst der Finanzminister bis heute, obwohl es nun zum 1. Januar 2013 tatsächlich eine Steuersenkung geben soll - Umfang unbekannt:

    "Die ganze Zukunft ist ein Geheimnis. Sie wissen nie so ganz genau, wie sich die Zahlen entwickeln." (lacht)

    Und so reiten sie nun in den Sommer, die Angela, der Horst - jetzt mit dem Philipp. Und der freut sich schon über die verschobene Lösung für die Dauer der Anti-Terrorgesetze und über einen vagen Steuerkompromiss:

    "Ich glaube, es gibt da sehr viele Gemeinsamkeiten. Und das ist im Sinne des Klimas zwischen den Koalitionären."