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Von Körper- bis Unternehmenskultur

Ist "Kultur"-Soziologie nur ein weiteres Kompositum? Oder ist sie gar die eigentliche Gesellschaftswissenschaft? Stephan Moebius hat nun den Versuch gemacht, eine Orientierung in Sachen Verhältnis Kultur und Soziologie zu geben.

Von Enno Stahl | 08.06.2009
    Kultur ist heute, das stellt Stephan Moebius an den Anfang seiner Einführung in die Kultursoziologie, ein allgegenwärtiger Begriff. Die unterschiedlichsten Dinge werden damit verbunden: von Körperkultur über Unternehmenskultur hin zur Leitkultur, politische, soziale, ökonomische Konzepte also, die eigentlich nicht viel miteinander gemein haben.

    Gerade deshalb ist das ein Thema für die Soziologie. Denn alle diese Facetten kultureller Aktivitäten sind selbstverständlich gesellschaftliche Phänomene. Zu Recht konstatiert Moebius in seiner Vorrede:

    "Soziologisch gesehen ist Vergesellschaftung immer schon kulturelle Vergesellschaftung gewesen."

    Insbesondere Max Weber und Georg Simmel konzipierten Soziologie als eine kritische Kulturwissenschaft. Aus diesem Grunde stehen beide am Anfang des Buches, das nicht zuletzt auch eine Geschichte der Kultursoziologie ist.

    Mit gutem Grund: denn tatsächlich sind diese Klassiker, Weber, Simmel, aber auch Karl Mannheim, Walter Benjamin oder Marcel Mauss noch heute wichtige Anknüpfungspunkte aktueller Theoriekonglomerate. Die weltanschaulichen Differenzen zwischen den Autoren des beginnenden 20. Jahrhunderts spiegeln sich bis in heutige Debatten wieder.

    Wie Moebius seine Aufgabe erledigt, eine kurze, studientaugliche Überblicksdarstellung zu liefern, es sei vorweg verraten: das kann man eigentlich nicht besser machen! In einem flüssigen Stil, aus einer gleichbleibend neutralen Perspektive, die sich dennoch gut begründeter Wertungen nicht enthält, trägt er seine Argumentation vor.

    Ihm gelingt dabei das Kunststück, schwierige Theoriekomplexe auf wenigen Seiten verständlich zusammen zu fassen. Gleichzeitig läuft dabei das dynamische Verhältnis von Kultur und Gesellschaft als roter Faden durch, so dass der Leser einen hervorragenden Einblick in den historischen Begriffs- und Wertewandel bekommt und zugleich die Rezeptionsgeschichte verschiedener Modelle nachvollziehen kann.

    Das ist natürlich nur dadurch möglich, dass Moebius die entsprechenden Systeme sehr stark reduziert, dass er etwa auf insgesamt zwölf Seiten die gesamte "Kritische Theorie", inklusive Adorno, Horkheimer, Benjamin und Kracauer, skizziert. Oder dass Michel Foucault ganze fünf, den "Cultural Studies" ganze vier Seiten gestattet werden.

    Aber wie sollte man das auch anders machen?

    Natürlich muss eine solche Einführung sich auf eine thematische Leitlinie im Werk der einzelnen Autoren beschränken. Sie kann nur einen minimalen Ausschnitt aus der Gedankenwelt dieser großen Intellektuellen liefern, sonst verstrickte sie sich zwangsläufig in Aporien.

    Aufgrund der luziden und sachlichen Herangehensweise schafft es Moebius indes, auf diesen wenigen Seiten eine ganze Menge unterzubringen. Für angehende Soziologiestudenten, aber auch solche, die sich ganz allgemein für Kulturtheorie interessieren, ist dieses Buch nachgerade perfekt. Man kann seine eigenen Präferenzen dort finden, erhält Lesetipps und Ansatzpunkte, anhand derer man tiefer in die Welt der jeweiligen Soziologen einsteigen kann.

    Zudem schreitet Moebius bis zu den neuesten Entwicklungen voran: Fast die Hälfte des Buches widmet sich Theorien nach 1990. In aller gebotenen Kürze werden die allerjüngsten Tendenzen wie Queer, Postcolonial oder Space Studies behandelt. Nach Lektüre dieses Buches könnte man sich durchaus auf ein spezifisches Forschungsfeld werfen, da der aktuelle Wissenschaftsstand hier ausreichend angerissen ist, um sich weiter in die Thematik einzuarbeiten.

    Nur eines: wenn der Verlag damit wirbt, dies sei die allererste Einführung in die Kultursoziologie, dann stimmt das nicht. Die erste ist es sicherlich nicht, aber eine sehr gelungene.


    Stephan Moebius, Kultur. transcript Verlag (Reihe Einsichten: Themen der Soziologie), 243 Seiten, 14, 80 Euro