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Von Kulenkampff bis YouTube

Seit 1968 veranstaltet das ZDF jährlich ein öffentliches Forum der Medienkritik, um den Stellenwert und die gesellschaftliche Verantwortung des Mediums Fernsehen zu durchleuchten: von der Gemütlichkeit des öffentlich-rechtlichen Monopols über die neue private Konkurrenz bis hin zu den digitalen Herausforderungen des World Wide Web. Vor 40 Jahren fanden die ersten "Mainzer Tage der Fernsehkritik" statt.

Von Hartmut Goege | 23.10.2008
    Am 23. Oktober 1968 lud der ZDF-Gründungs-Intendant Karl Holzamer erstmals seine Zunftkollegen der öffentlich-rechtlichen Sender nach Mainz auf den Lerchenberg ein. Damals war die Fernsehwelt von ARD und ZDF noch konkurrenzlos gemütlich.

    Zu Zeiten von ZDF-Hitparaden, Kulenkampff-Shows oder der Gangsterjagd "Aktenzeichen XY ungelöst" wollten sich die Fernsehmacher auch ein wenig Selbstkritik gönnen. Eingeladen waren alle, die in der Journalistik und Publizistik Rang und Namen hatten. An zwei Tagen tauschten Fachleute, Produzenten und Rezensenten sich in Vorträgen und Diskussionsrunden aus, um am Ende festzustellen, dass das Objekt ein flüchtiges ist.

    Man sprach über Programme, die längst Vergangenheit waren, um aus ihnen etwas für die Zukunft des Fernsehens zu gewinnen. Bei dieser Selbstreflexion blieb nur der Zuschauer außen vor, wie Karl Holzamer einräumte:

    "Eines fehlt natürlich den Mainzer Tagen der Fernsehkritik, dass der eigentliche Verbraucher, der Konsument als solcher nicht oder höchstens mal beiläufig zur Sprache kommen kann. Und das gibt natürlich oft den Eindruck, dass etwas "l'art pour l'art'" betrieben wird. Das ist unstreitig der Fall."

    Auf den alljährlich wiederkehrenden Tagen diskutierten die Teilnehmer quasi vom Podium herab ihre Schwerpunktthemen. In den 60er und 70er Jahren redete man über die "Gesellschaftskritische Funktion", über "Kreativität und Verantwortung", "Wirklichkeit und Fiktion", aber auch konkret über "Kinder vor dem Bildschirm".

    Hans Abich, ehemaliger ARD-Koordinator und einer der Gründerväter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, war sich nicht sicher, ob davon die tägliche Fernsehroutine profitieren konnte.

    "Wenn man oft dabei gewesen ist, hat man natürlich bei diesen Mainzer Tagen so eine Art Heimatgefühl, aber gleichzeitig überprüft man immer, ist das denn alles vorangekommen, was hier immer erörtert wird. Das wird verschieden beurteilt."

    Mitte der 80er Jahre wandelten sich die Mainzer Tage langsam zu einem kritischen Forum zur Verteidigung von ARD und ZDF gegen die neue private Konkurrenz. Dagobert Lindlau, damals Reporter des Bayerischen Rundfunks:

    "Ich muss ihnen sagen, ich halte es für eine großartige Sache, dass das ZDF das macht. Denn das öffentlich-rechtliche System ist im Moment in einer Abwehrsituation. Wir haben im Grunde eine Idee zu verteidigen, von Fernsehen und von Radio, die nicht die Einschaltquote zur alleinigen Richtschnur machen. Ich will nicht sagen, dass alles schlecht ist, was hohe Einschaltquoten hat, aber man kann definitiv nicht sagen, dass etwas gut ist, bloß weil es hohe Einschaltquoten hat."

    Entsprechend ausgerichtet war die Wahl der Themen in den folgenden Jahren: "Medien-Monopoly Fernsehmarkt" oder "Was kosten Qualität und Quote?" - und 1996 endlich die Frage "Wohin treibt das Fernsehen?". Eines wurde deutlicher. Die Annäherung von Privaten und Öffentlich-Rechtlichen war dank des wachsenden Quotendrucks nicht mehr wegzudiskutieren.

    Kritische Stimmen, so etwa der Berliner Medienredakteur Joachim Huber, ärgerten sich beispielsweise über das zunehmende Aufblasen von Themen in politischen Sendungen:

    "Ein Magazin zur Hauptsendezeit ist gefordert, auf eine ganz bestimmte Erregungsschwelle zu kommen, damit die Aufmerksamkeit gesichert ist. Ich kann allen nur raten abzurüsten. Ein Problem ist ein Problem und hat einen Gehalt und es hat eine Kraft. Da muss ich es nicht noch künstlich hochfahren."

    Da hört sich die Entschuldigung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender fast wie eine Kapitulation an vor der Angst, der Zuschauer könnte wegbleiben:

    "Wir haben es versucht, aber was wir noch nicht hingekriegt haben, ist diese Kombination zwischen Bild, Emotion, Rationalität einer Reform und Information. Das haben wir in dieser Form noch nicht geschafft."

    Die Digitalisierung und das Internet sind die neuen Herausforderungen und damit Themen für die Mainzer Tage der Fernsehkritik. Viele alte Hasen im Fernsehgeschäft sehen angesichts von YouTube und anderen Internet-Phänomenen schwarz. Der in Zürich tätige Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren ist sich aber sicher:

    " Das trifft alle gleichermaßen, das heißt, das Fernsehen als Fernsehen stellt sich nur die Frage, können wir noch das Medium sein, dass aktuell berichtet, das eine Programmstruktur vorgibt, das sicher nicht? Private wie öffentlich-rechtliche werden zunehmend auch Abrufangebote machen müssen. Sie werden zugleich diese Angebote in digitalen Plattformen verpackt, auch variantenreicher für Zielgruppen als Abruf-Programme machen müssen. Das geht zurzeit politisch und rechtlich noch nicht vollständig, aber logischerweise wird es diese Angebote geben."