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Von Männerfreundschaft und Judentum

Der Brite Howard Jacobson ist seit gut 30 Jahren im angloamerikanischen Literaturbetrieb bekannt, wurde von der Kritik oft als "englischer Philipp Roth" bezeichnet. 2010 gewann Jacobson den renommierten und hoch dotierten Man Booker-Prize für seinen tragikomischen Roman "Die Finkler-Frage".

Von Sigrid Brinkmann | 09.02.2012
    Die jüdischen Witwer Libor Sevcik und Sam Finkler sowie der schwermütige Nichtjude Julian Treslove gehören zum Hauptpersonal dieses Buches, das sich durch eine trickreiche Komposition und ungemein bissige Dialoge auszeichnet. Geschickt verstrickt Jacobson seine Protagonisten in Handlungen, die oft durch missverstandene Worte und falsche Rückschlüsse in Gang gesetzt werden. Und es kann geschehen, dass manch aufgeschnappter Satz seine Bedeutung mit voller Wucht erst 20 Jahre später entfaltet. Mit untrüglichem Gespür für Situationskomik führt Jacobson vor, was passieren kann, wenn man sich nichts sehnlicher wünscht, als dass das eigene Leben eine schicksalhafte Wende erfährt. Julian Treslove liefert das Paradebeispiel. In den Korridoren und Archiven der BBC hat er jahrelang ein Schattendasein gefristet, bevor er mit seinem Allerweltsappeal als Doppelgänger berühmter Schauspieler Geld zu verdienen begann. Mit Sam Finkler, dem beliebten philosophischen Talkshowplauderer, verbindet ihn seit der Schulzeit eine alte Rivalität. Er, der mit einem Gefühl des Mangels durchs Leben stolpert, beneidet Finkler und den alten Libor um ihre jüdische Identität. Eines Abends wird Treslove auf der Straße von einer Frau geschlagen. Er glaubt fest, sie habe ihn als Juden beschimpft. Die Empörung über den vermeintlich rassistischen Übergriff ist der Fingerzeig, den Treslove braucht, um fortan hartnäckig eine Konversion zum Judentum anzustreben.

    "Er ist ein unschuldiger Mann und hat keine Ahnung, was er in Gang setzt. Die "Judenfrage" ist ein furchtbarer Begriff. Eine ganze Reihe Bücher wurden im 19. Jahrhundert dazu verfasst. Auch Karl Marx hat sich mit ihr auseinandergesetzt. Bei der Erörterung der Frage, was machen wir mit den Juden, ging es immer nur darum, wie man sie am besten loswird. Treslove fühlt sich nicht wohl, wenn er das Wort Jude ausspricht, wenn er fragt, was Juden von Nichtjuden unterscheidet. Er nennt sie lieber Finkler und denkt dabei an seinen Freund, dessen großspurige Chuzpe er bewundert und zugleich fürchtet. Mit einer gewissen Leichtigkeit reproduziert er arglos Klischees über Juden. Also, in meinem Roman gibt es Juden, die keine mehr sein wollen und Nichtjuden, die sich danach sehnen, jüdisch zu sein. Die "Finkler-Frage" spielt mit der Ironie, die in dieser gegenläufigen Bewegung steckt."

    Libor Sevcik war1948 aus Furcht vor den Kommunisten aus Prag geflohen, hatte als Klatschspaltenkolumnist in Hollywood und als Geschichtslehrer in London gearbeitet. Er kritisiert Israels Besatzungspolitik, käme aber nie auf die Idee, den zionistischen Staat als Schande zu empfinden. Sam Finkler hingegen scharrt fanatische jüdische Israelkritiker um sich und gründet die Gruppe ASCHandJiddn. Für Howard Jacobson sind die "Schamjuden" eine Parodie derer, die ihre Missbilligung israelischer Politik stolz vor sich hertragen. Er selbst hat angefangen, jüdische Charaktere zu erfinden, weil diese in der englischen Romanliteratur - im Gegensatz zu Bühnenwerken - kaum vorkommen. Howard Jacobson ist in Manchester aufgewachsen, mit Vorfahren aus Litauen und der Ukraine.

    "Wir haben Bar-Mitzvas gefeiert und sind einmal im Jahr in die Schul gegangen, aber darüber hinaus wussten wir nichts über das Judentum. Mein Vater konnte mir nichts erklären. Wenn mich einer fragt, was jüdisch ist, dann sage ich: Lust an Streitgesprächen, spitzfindig sein. Mein Vater hat in seinem Leben kein einziges Buch gelesen. Er war Arbeiter. Man war stolz darauf, jüdisch zu sein, ohne zu wissen, was es bedeutete. Als Junge habe ich immer wieder nachgehakt. Die immer gleiche Antwort war: Wenn du eine nicht-jüdische Frau heiratest, hörst du auf, Jude zu sein."

    Howard Jacobson setzt die Quintessenz solch jüdischen Selbstverständnisses konsequent um. Treslove braucht für einen glaubhaften Übertritt eine Liebesbeziehung mit einer Jüdin. Libor spielt unwissentlich den Kuppler, und schon lässt der Autor für Treslove die Schicksalsglocken läuten.

    Ihre Ringe verwirrten ihn. Sie sahen aus, als wären sie in einem Hell-s Angelshop gekauft worden. Nur, wo ihre Kleider herkamen, das wusste er: Hampstead Bazar. ( ... ) Hephzibah Weizenbaum trug ein Zeltkleid, das den Nahen Osten heraufbeschwor. In der Oxford Street gab es ein arabisches Geschäft, das Parfüm in den Verkehr versprühte. So roch Hephzibah Weizenbaum - nach Autoabgasen, Touristenscharen und dem Euphrat, an dem alles begonnen hatte.

    Hephzibah wird für Treslove zur Offenbarung. Sie ironisiert seine täppischen Bemühungen, im Alltag mit jüdischen Gepflogenheiten zurecht zu kommen, steht aber treu zu ihrem "Kuckucks-Goi". Der alte Libor hingegen entdeckt an sich eine wachsende "Mitleidsmüdigkeit", ein auffälliges Desinteresse an antisemitischen Attacken und jüdischen Schicksalsschlägen. Souverän erledigt Howard Jacobsen mit den Mitteln der Satire in "Die Finkler-Frage" Verfehlungen, die aus einer übersteigerten Liebe zum Judentum wie aus jüdischem Antisemitismus erwachsen. Durch die melancholischen Weltbetrachtungen Libors erdet er seinen an witzigen Szenen so reichen Roman. Ernst und mit zarten Worten schildert Jacobson intime Momente, in denen existenzielle Verluste und die Untreue von Freunden beklagt werden. Gebannt folgt man dem lebensklugen Roman über vierhundert Seiten hinweg und weiß, dass der Autor schlicht recht hat, wenn er schlussendlich nüchtern festhält, dass uns nichts bleibt, als sich mit dem Gefühl der Unvollständigkeit des Lebens auszusöhnen.

    Howard Jacobson: "Die Finkler-Frage". Roman.
    Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
    Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011. 436 S., geb., 22,99 Euro.