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Von missachteten Dingen

Die jetzige Lyriker-Generation findet wieder zurück zu einer mehr inhaltlichen Auseinandersetzung, sagt Kurt Drawert, Schriftsteller und Jurymitglied. Er lobt die "radikale Schnitttechnik" des diesjährigen Preisträgers des Léonce- und Lena-Preises.

Kurt Drawert im Gespräch mit Christoph Schmitz | 28.03.2011
    Christoph Schmitz: Am Anfang aber Steffen Popp, der diesjährige Gewinner des Léonce- und Lena-Preises für Lyrik.

    O-Ton Steffen Popp: Na, diese Dinge sind ja Teil eigentlich der Lebenswelt von jedem und es ist eigentlich gar nicht einzusehen, warum die nicht gleichberechtigt behandelt werden sollten wie die großen Dinge, die in der Naturlyrik, aber auch in der Kunst von Beginn an einen großen Status haben, also das Meer, die Bäume und das Licht, das kommt ja auch alles vor. Aber die anderen Dinge, menschengemachte Dinge meistens, aber eben auch Meeresabfälle und so was, sind auch da und haben dasselbe Eigenrecht, fand ich, und es hat sich auch gezeigt, dass es sich lohnt, ihnen dieses einzuräumen.

    Schmitz: Das Eigenrecht der Dinge will er verteidigen, der Lyriker Steffen Popp. Er ist der 22. Gewinner des Léonce- und Lena-Lyrikpreises der Stadt Darmstadt. Am Samstag wurde er nach einem Lesewettbewerb der Nominierten an ihn vergeben. Wolf Wondratschek hat den Preis schon bekommen, Friederike Roth, Ulla Hahn, Ulrich Treichel, Raoul Schrott, um nur einige zu nennen. Es ist ein Preis eher für den lyrischen Nachwuchs. Steffen Popp ist allerdings kein Neuling. Drei Lyrikbände liegen von ihm bereits vor, eine ganze Reihe anderer Preise hat der 32jährige, aus Greifswald stammende Lyriker bereits bekommen. – Jurymitglied in Darmstadt ist der Schriftsteller Kurt Drawert. Ihn habe ich gefragt, was denn die vorgetragenen Gedichte von Steffen Popp auszeichnen.

    Kurt Drawert: Ja, also er hat eine radikale Schnitttechnik zwischen Landschaftsgedicht und Subjektivität, die die Gedichte also sehr stark machen und die auch eine Antwort sind auf unsere schnelle Welt mit vielen Bildern, die sich inkohärent überlagern und gegeneinandersetzen. Und diese Radikalität der Unvermittelbarkeit von Bildern ist in seinen Gedichten wiederzusehen. Und wir waren uns da eigentlich alle auch sehr einig, dass die Gedichte sehr stark sind.

    Schmitz: Sie sagten, Sie deuteten an, dass er in seinen Gedichten auf die Welt heute, auf Aktualität eingeht. In welcher Form und wie verarbeitet er das?

    Drawert: Ja, er ist ja nicht einer, der jetzt einen ganz unmittelbaren Zugang hat zur Wirklichkeit, was ja gar nicht geht. Das Gedicht ist ja vermittelt über die Sprache. Aber man kann die Technik der Überschneidungen in eine Beziehung bringen zur Wirklichkeit. Es werden sozusagen innere strukturelle Muster im Gedicht aufgenommen, die auch unsere Zeit durchströmt. Und das macht die Gedichte sehr gegenwärtig. Also ich glaube, man hätte so eine Art von Gedichten vor 50 Jahren nicht geschrieben, was mit der Geschwindigkeit der Bilder zu tun hat. Und das ist eine Antwort darauf, die ich also sehr modern finde und sehr, sehr poetisch finde.

    Schmitz: Was haben denn seine Gedichte, was hat seine Lyrik den Mitkonkurrenten voraus?

    Drawert: Nichts voraus. Also man kann jetzt nicht den einen gegen den anderen ins Verhältnis setzen und gegenrechnen. Also, wir haben uns mit dem zweiten Preisträger, Andre Rudolf, lange, lange um den zweiten Preis gestritten. Also, die sind ebenbürtig, kann man sagen. Also solche Abstufungen, die man ja treffen muss. Von Gerechtigkeit kann man da also überhaupt nicht reden. Es war einfach überzeugend, aber es war nichts, wo man sagt, da kommt jetzt niemand ran mit anderen Konzepten. Das würde ich so nicht sagen.

    Schmitz: Herr Drawert, wie klang denn überhaupt die junge Lyrik des diesjährigen Léonce- und Lena-Wettbewerbs?

    Drawert: Also, wir hatten sehr, sehr spannende Gespräche. Und das war auf einem lyrischen Niveau in diesem Jahrgang, den ich als den höchsten seit langer Zeit sehe. Und es ist eine Ernsthaftigkeit wieder im Gedicht, die von Selbstreferenzialitäten und einer gewissen Verliebtheit in das Spiel mit den Zeichen auf substanzielle Hintergründigkeiten kommt. Und es mag sein, dass der Weltzustand Anlass gibt, auch ernstere Tonart zu finden. Also, ich fand das sehr, sehr spannend dieses Jahr.

    Schmitz: Herr Drawert, können Sie in wenigen Worten vielleicht einmal beschreiben, worin sich der Ton dieser ganz jungen Lyriker-Generation unterscheidet zu der mittleren Generation, zu der Sie ja auch gehören, oder auch Raoul Schrott? Was hat sich da verändert?

    Drawert: Ich glaube, dass die Literatur immer stärker in ihrer Generation spricht und immer schwieriger übergreifende Rezeptionsmöglichkeiten hat zu anderen Generationen. Das hat mit einer raschen Ablösung von Generationen und von wieder völlig neuen Welterfahrungen zu tun. Und da denke ich schon, dass meine Generation jetzt auch mit dem Ost-Hintergrund viel existenzialistischer aufgewachsen ist und ein existenzialistischeres Verhältnis entwickelt hat zur Literatur an sich und auch zum Gedicht, während die jüngere Lyrik sehr in die Zeichen hineinschaut und die Bedeutungsebene aus dem Blick genommen hat. Das ist ein Unterschied. Für mich ist das Gedicht wichtig, wenn es die gewisse Ganzheitlichkeit von sinnlicher Erfahrung und von Sprachgenauigkeit und von Welterfahrung hat. Und ich kann mich nicht ganz so stark begeistern, wenn das Gedicht so in sich selbst verliebt ist und nur auf seinen Klang hört. Aber wenn es das tut, sagt es uns ja auch etwas aus über die Welt. Und da hatte ich auch zum Teil Schwierigkeiten. Und hier sehe ich, dass die jetzigen Strömungen doch wieder neue Töne haben, die weiter auch in inhaltliche Auseinandersetzung geht und nicht nur die Vögel im Walde pfeifen hört.

    Schmitz: ..., sagt Kurt Drawert über den Léonce- und Lena-Preisträger Steffen Popp.