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Von Mozart bis Offenbach

Die Liebhaber der klassischen Musik lassen sich Südfrankreich im Sommer nicht entgehen. Sie pilgern ins malerische Studentenstädtchen Aix-en-Provence, in dem das weltweit angesehene Musikfest stattfindet. Begonnen hatte es mit Wagners "Götterdämmerung und einem blassen Regisseur Stéphane Braunschweig. Dann aber folgten Stücke, die besser ins Mediterrane passten.

Von Frieder Reininghaus | 07.07.2009
    Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" und Mozarts "Idomeneo" - beides sind Bühnenwerke, in welchen den Göttern ein Menschenleben abgehandelt wird. Während der Meergott Neptun in Mozarts Huldigungsoper die Herrschaftsverhältnisse im antiken Kreta in vernünftiger und gütiger Weise zugunsten der jüngeren Generation (und deren Herzensbedürfnisse) regelt, endet Offenbachs Muster-Operette im Grunde tragisch: Orpheus, mutiert zum Violinprofessor am Konservatorium von Theben, verliert trotz des Engagements der leibhaftig auftretenden Öffentlichen Meinung seine Ehefrau Eurydice für immer (worüber beide angesichts der längst zerrütteten Verhältnisse allerdings alles andere als Gram sind).

    Er wendet sich weiterhin seinen gewiss bedeutenden, womöglich aber auch entsagungsvollen Aufgaben im Rahmen der musikalischen Nachwuchsförderung zu. Sie widmet sich mit vollem Körpereinsatz der Erfrischung des alternden Oberweltgottes Jupiter und seinem nicht minder strapaziösen Bruder Pluto, der dem Reich der Finsternis vorsteht. Da gibt es kein Zurück ins Mittelmaß der Normalsterblichen. Lebenslänglich Champagner und kein klares Wasser mehr!
    Der allzeit wachsame und umsichtige Alain Altinoglu dirigiert mit der wünschenswerten Präzision und dem nötigen Gefühl für die feinen Modifikationen der Tempi eine Mischfassung aus der Uraufführungs-Version des Offenbachschen "Orphée" von 1858 und der 16 Jahre später entstandenen Überarbeitung, für die dem Komponisten reichere Mittel und Möglichkeiten zu Gebote standen. Zwei Juristen, die ins Sängerfach wechselten, bestreiten in Aix die Partien der Irdischen: Julien Behr gibt den staatsdienernden Musiker Orpheus überzeugend, Pauline Courtin die lebenslustige und tanzwütige Eurydice mit Verve. Die eigentliche Entdeckung des Abends aber ist die treffsichere Stimme der als Cupido eingesetzten Emmanuelle de Negri, die dem Ensemble entschiedenen Nachdruck verleiht.
    Yves Baunesne hat für die Operette aller Operetten eine Inszenierung vom Schlag des Stadttheaters der 50er-Jahre angeboten: zunächst in der Wohnküche des Geigers und seiner Gattin. Sie arbeitet ihre temporären Entsagungen an einem Teigklumpen ab, er setzt seine Violine als Tatwaffe im häuslichen Krieg ein. Der Beischäfer Aristeus rollt auf Rollschuhen als alternativer Imker herein, entpuppt sich aber rasch als feiner Herr der Unterwelt; auch als vorzüglicher Gastgeber, der die nackten Grazien aus dem Kamin hervorzuzaubern versteht. Die Olympier werden auf die bewährteste Weise als Schnarchsäcke und rivalisierende Zicken vorgeführt, Eurydice am Ende als Weinkönigin. So ist das eben in der Sommerfrische - und findet einhelligen Zuspruch.

    Am Samstagabend hatte Olivier Py mit einer pfiffig mobilen Bebilderung für "Idomeneo" eine modernere Lösung angeboten. Seine Inszenierung des Stücks von Menschenopfer, kretischen Liebeswirren, langwieriger göttlicher Zumutung und schlussendlicher Huld für die Herrschenden geriet weithin kurzweilig, musste dann aber angesichts der vom Dirigenten Marc Minkowski bis halb zwei in der Nacht und damit allzu sehr in die Länge gezogenen musikalischen Darbietung die Waffen strecken. Zur Ouverture zeigte Py die Katakomben einer modernen Modell-Stadt. Kriegsgefangene oder Migranten wurden da von Maskierten mit Maschinenpistolen drangsaliert. Zwischen den etwa im Maßstab 1:20 vorgestellten Straßenzügen arbeiteten sich die Choristen und Solisten voran - die sensible Sophie Karthäuser aus Malmédy als Trojanerprinzessin Ilia, Yann Beuron als ihr Liebhaber und Kronprinz Idamante, Mireille Delunsch als eifersüchtige und suizidgefährdete Prinzessin Elektra - und, höchst markant, Richard Croft in der Titelpartie.
    Olivier Py zog mit seinem moderat aktualisierenden Zugriff auf Giambattista Varescos spätbarockes Libretto den Unmut eines Publikums auf sich, das hier offensichtlich nur Musik "genießen" und einfach mit keinerlei Problemen konfrontiert sein möchte.