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Von Neid und Boshaftigkeit

Der Neid ist angeblich die böseste aller Todsünden. Joseph Epstein beleuchtet das Gefühl in seinem Essay und schuf ein kleines, ironisches Brevier dieses Lasters.

Von Christian Gampert | 10.02.2011
    Als der Verlag bei ihm anfragte, ob er - in einer geplanten Buchreihe - eine der sieben Todsünden übernehmen wolle, waren Hochmut, Völlerei und Habgier leider schon vergeben, schreibt Joseph Epstein in schöner Offenheit in seinem Vorwort. Es blieben also noch Wut, Trägheit, Wollust und Neid. Völlerei hätte ihn durchaus gereizt, gibt der nachweislich eher schlanke Autor zu, auch zur Faulheit fühle er sich zumindest als Essayist hingezogen, da sie ihm im wahren Leben verwehrt sei; Wollust scheide aus Altersgründen aus. Epstein ist 1937 geboren.

    Es blieb für ihn der Neid, angeblich die böseste aller Todsünden - sie durchdringe alle anderen Sünden "auf geradezu heimtückische Weise" schreibt Epstein. Nicht ohne kokett zuzugeben, dass er selbst nicht frei sei von dieser Eigenschaft. Von einem Autor, dessen bekanntestes Werk sich mit Snobismus beschäftigt ("Snobbery: the American version" heißt es), hätte man es nicht anders erwartet. Der selbstironische Ton zieht sich durch das ganze Werk - und das ist Vor- und Nachteil der Arbeit, die glänzend - um nicht zu sagen: beneidenswert gut - geschrieben und wunderbar übersetzt ist, die aber, mit voller Absicht, jeden systematisch-philosophischen Zugriff vermissen lässt.

    Hat man sich von den Zwängen der Systematik aber erstmal befreit, so lässt sich umso geistreicher dieses und jenes herbeiassoziieren: Werbeindustrie und Yellow-Press, die der Neiderzeugung dienen; Marxismus und Feminismus, die, so meint Epstein, sich die Neidreduktion auf's Panier geschrieben haben; die Psychoanalyse, die mit dem Penisneid beginnt und mit Ödipus weitergeht, der neidisch auf den Papa ist. Von den Beispielen aus der Literatur ganz zu schweigen.

    Da Epstein das große Standardwerk von Helmut Schoeck aus den 1960iger Jahren nur streift, der den Neid als ein unvermeidliches Grundphänomen von Gesellschaft betrachtet, bleibt ihm das Problem einer überzeugenden Neiddefinition. Wie ist der Neid - zum Beispiel - abgrenzbar gegen Missgunst, Bosheit, Eifersucht? Und auch gegen daraus folgende Phänomene wie Groll, Häme, Niedertracht, Schadenfreude? Übelwollen, Rache, Unrechttun? Epstein ist da nicht sehr erfolgreich - und entscheidet sich schließlich für die Aussage des alten Oxford English Dictionary, das Neid so definiert:

    "Das Gefühl von Verdruss und Missgunst angesichts größerer Vorzüge, die ein anderer besitzt ... " (zitiert nach Epstein, S.21).

    Daraus lassen sich - mit Epstein - dann mehrere psychologische Details ableiten: Neid ist etwas, was wir meist mit uns selber ausmachen, still, oft unbeweisbar. Neid und Bewunderung liegen eng beieinander. Neid ist aber die einzige Sünde, die überhaupt keinen Spaß macht, er steigert nie das eigene Glücksgefühl, im Gegenteil - er ist gerichtet auf die Zerstörung des Glücks anderer und ist dies erreicht, so ist das eigene Befinden nicht unbedingt viel besser als zuvor.

    Während die Eifersucht immer eine sexuelle Konnotation hat, ist der Neid allgemeiner. Er tritt - seltsamerweise - meist zwischen Konkurrenten gleichen Geschlechts auf, im Beruf, in der Familie, in der Politik. Und man findet den Neid immer nur bei minimal ungleichen Wettbewerbern - es hat für mich keinen Sinn, Cary Grant zu beneiden, wohl aber den charmanten Kollegen von der Literaturredaktion, der bei Frauen gut ankommt. Und der vielleicht auch gar nicht so schlecht schreibt. Besonders häufig grassiert Neid nämlich unter Künstlern und Intellektuellen - Epstein weiß, wovon er redet:

    "Meiner Erfahrung nach finden die drei oder vier Spitzenleute in irgendeinem intellektuellen Bereich nur selten freundliche Worte füreinander. Neid kommt meistens auf, wenn jemand auch nur einen winzigen Vorsprung vor der restlichen Meute erlangt." (Epstein, S.49).

    Die berühmtesten Theoretiker des Neides waren übrigens sämtlich Junggesellen, warum auch immer: Kant, Kierkegaard, Schopenhauer, Nietzsche. Letzter sagte, ein verheirateter Philosoph sei ein Witz - womit er sicher recht hat, aber auch auf ein weiteres Problemfeld schon hindeutet, auf Sexualneid und Neid auf die Jugend. Viele gesellschaftliche Konflikte, meint Epstein, seien auf dieser Folie interpretierbar.

    Der stärkste Teil des Buches ist der Darstellung von Neid in der Literatur gewidmet. Die falsche Unterwürfigkeit des hässlichen Uriah Heep aus Dickens' "David Copperfield", die Verworfenheit des John Cleggart in Melvilles "Billy Budd", der sich in der Offiziersrangliste zurückgesetzt fühlende Jago in Shakespeares "Othello": Oft ist es der Neid, der die großen Dramen in Gang setzt und das Ressentiment, das im wirklichen Leben den Neid oft überlagert. Der Antisemitismus der Nazis hatte einen Grund im Neid auf die übermäßig erfolgreichen Juden, sagt der Jude Epstein; deshalb mussten dann jüdische Ärzte mit Zahnbürsten die Bürgersteige Wiens säubern - der Neid gab den Nazis letztlich auch die Lizenz zum Töten. Der Phänomenologe Max Scheler, den Epstein zustimmend zitiert, analysiert das neidvolle Ressentiment als ein Gefühl der Ohnmacht:

    "Ressentiment ist eine seelische Selbstvergiftung ... Die hier an erster Stelle in Betracht kommenden Gemütsbewegungen und Affekte sind: Rachegefühl und -impuls, Hass, Bosheit, Neid, Scheelsucht, Hämischkeit." (zitiert nach Epstein S. 93)

    Epstein ist aber so fair, den Neid als eine psychische Grundtatsache zu beschreiben, die uns alle betrifft: wir alle sind Neider, haben aber zivilisatorisch gelernt, die große Wut im Zaum zu halten. Das ist ja die eigentliche Frage: Ist Neid therapierbar?? In Grenzen, sagt Epstein. Er selbst macht es so:

    "Ich brauche nur daran zu denken, welche Unsummen der Unterhalt eines großen Hauses verschlingt, wie unpraktisch ein Cabrio im Winter ist, welche Charakterschweine die höchsten Literaturpreise eingeheimst haben, und schon schrumpft mein Neid in sich zusammen."

    Die Realitätsprüfung ist immer eine gute Medizin. Und Neid ist ja nur dann krankhaft und eine große geistige Energieverschwendung, solange er persönlich ausgetragen wird. Verallgemeinerter Neid führt zu so edlen Dingen wie dem Sozialstaat oder auch zu den Gerechtigkeitstheorien des John Rawls, der auf die Beseitigung der Bedingungen hinwirken will, die Neid verursachen; dazu gehört, dass Chancengleichheit herrscht und die Bevorzugten ihren Reichtum nicht übermäßig zur Schau stellen.

    Dieser überaus amüsante Epstein-Essay ist ein typisches, schön ausgestattetes und zudem noch preiswertes Wagenbach-Buch - giftgrüner Umschlag, neidgelber Vorsatz, und auf dem Cover duckt sich ein rheumatischer Bräutigam unter seinem Groll, weil seine soeben Angetraute schon ausgangs der Kirche nach dem nächstbesten Konkurrenten schielt. Ein kleines, ironisches Brevier des Neids und der Boshaftigkeit, das man - auch aus selbsttherapeutischen Zwecken - bequem in der Tasche tragen oder gar bedeutungsvoll verschenken kann.

    Joseph Epstein: "Neid. Die böseste Todsünde". Verlag Klaus Wagenbach Berlin (Wagenbach Taschenbuch 650). 124 Seiten, 9.90 Euro.